Smoothies statt Schnaps

Von links: Tom mit Mütze und Bart, klatschend, Stargäste DJane Annie O. mit blonder Lockenmähne und DJ Alle Farben im blauen T-Shirt. Rechts daneben: Marta mit Plüschpferd © Manolo Ty

Mor­gens, 6:30 Uhr in Berlin: Wäh­rend sich ver­ka­terte Gestal­ten der Club­szene auf den Weg ins Bett machen, fängt bei Marta Cor­nellana und Tom Barber erst die Party an. Die beiden sind Ver­an­stal­ter des Morning Glo­ry­ville in Berlin – einer Party für Früh­auf­ste­her. Unter dem Motto »Rave your way into the day« ani­mie­ren sie Men­schen aller Alters­grup­pen dazu, ener­gie­ge­la­den in den Tag zu star­ten – ohne Drogen und Alkohol.

6:00 Uhr, der Wecker klin­gelt. »Ach du hei­lige Sch****, worauf habe ich mich da bloß ein­ge­las­sen«, denke ich mir. Früh auf­ste­hen ist defi­ni­tiv nicht mein Ding, vor allem nicht in den Semes­ter­fe­rien. Bevor ich aber wieder in den Schlaf falle, rapple ich mich schnell auf und schlendre zum Klei­der­schrank. »Can’t wait to see you dres­sed-up under the disco ball«, das waren die letz­ten Worte, die Marta in ihrer E‑Mail an mich geschrie­ben hat. »Dres­sed-up?« – wie man sich für den Club am Abend anzieht, das weiß ich. Aber eine Party am Morgen? Die »Neue Heimat« ist auf dem RAW-Gelände, da feiert man übli­cher­weise etwas lege­rer. Ich ent­scheide mich für ein schwar­zes Top und eine gemus­terte Leg­gings – damit ich nicht allzu lang­wei­lig erscheine. Na dann, mach’ ich mich mal auf den Weg.

Kunterbunte Heimat

Fried­richs­hain, S‑Bahnhof War­schauer Straße: Am RAW-Gelände ange­kom­men stehe ich erst etwas ratlos da. Men­schen­leere – was erwar­tet man ande­res zu dieser Uhr­zeit. Glück­li­cher­weise treffe ich auf eine kleine Gruppe von Bau­ar­bei­tern. Ich schaffe es gerade so noch ein »Ent­schul­di­gen Sie bitte, wo finde ich…« über die Lippen zu brin­gen, da been­det einer der netten Herren schon meine Frage: »Neue Heimat? Die ganze Zeit gera­de­aus, ist nicht zu über­se­hen.« Ich scheine wohl nicht die ein­zige Person an diesem Morgen zu sein, die diese Frage gestellt hat. Ich merke schnell, dass ich meinem Ziel näher komme. Ver­ein­zelt laufen junge Men­schen mit Jute­beu­teln an mir vorbei, Bass­klänge erfül­len mein Ohr und eine rie­sige weiße Gir­lande mit der Auf­schrift »Neue Heimat« über meinem Kopf heißt mich will­kom­men. Spä­tes­tens als ich vor mir die lange Men­schen­schlange erbli­cke, weiß ich, dass ich hier rich­tig bin.

Als ich das gigan­ti­sche Ein­gangs­tor öffne, kann ich es kaum fassen: Pas­send zur Kar­ne­vals­zeit sehe ich bunt geklei­dete Men­schen unter einer Dis­co­ku­gel tanzen. Die ganze Loca­tion ähnelt einem rie­si­gen Zir­kus­zelt. Jetzt ver­stehe ich, was Marta mit »dres­sed-up« gemeint hat: Ab und an trifft man auf ver­rückte Hut­trä­ger, gefie­derte Gestal­ten oder Tanz­bä­ren im Ganz­kör­per­kos­tüm. Kleine Kinder mit Ohren­schüt­zern bewun­dern das ganze Spek­ta­kel auf den Schul­tern ihrer Eltern. Dane­ben schwingt ein älte­rer Herr – stil­si­cher mit Fliege, Hut und Hosen­trä­gern – das Tanz­bein, als würde er jeden Morgen nichts ande­res machen. In der Regel trifft man so viele ver­schie­dene Men­schen am Morgen höchs­tens in einer über­füll­ten U‑Bahn. »Es ist mitt­ler­weile unser drit­tes Morning Glo­ry­ville und es war noch nie so voll wie dieses Mal!«, stellt Tom stolz fest, als ich mich mit ihm und Marta unterhalte.

Diese Party kennt kein Alter, jeder ist willkommen. © Manolo Ty

Diese Party kennt kein Alter, jeder ist will­kom­men. © Manolo Ty

Wunderland für alle

Tom kommt aus Schott­land und ist Yoga­leh­rer. In London war er das erste Mal bei einem Morning Glo­ry­ville, wo 2013 der Anfang mit diesem Event gemacht wurde. In über 15 Städ­ten finden sich schon Nach­ah­mer. Die Jour­na­lis­tin Marta, die eigent­lich aus Bar­ce­lona kommt, war eben­falls in London dabei. »Ich war so begeis­tert davon, dass ich auch in Berlin ein Morning Glo­ry­ville ver­an­stal­ten wollte«, erzählt Marta. »Dann habe ich gehört, dass Tom zum glei­chen Zeit­punkt in Berlin ist und Lust darauf hätte. Also haben wir uns getrof­fen und es hat auf Anhieb gepasst«, fügt sie an. »Wir haben uns im Okto­ber ken­nen­ge­lernt und zwei Monate später stand die erste Party in den Start­lö­chern«, so Tom.

Ich schaue mich um; neben uns räkeln sich Sport­be­geis­terte auf ihren Yoga­mat­ten, weiter hinten lassen sich gestresste Gemü­ter mit Mas­sa­gen von Kopf bis Fuß ver­wöh­nen. »Du kannst sogar dein Gesicht bema­len lassen«, verrät mir Marta. Das lasse ich mir nicht ent­ge­hen! Ein paar Minu­ten später zieren pink glit­zernde Schnör­kel mein Gesicht und ich schwelge in meinen alten Kind­heits­er­in­ne­run­gen. Weiter geht es zur Mas­sage-Ecke… oder auch nicht: Alle Listen sind bereits voll, als ich ankomme. Um mich ein wenig zu trös­ten, gönne ich mir einen »Cho­co­late-Smoot­hie« und einen »Scho­ko­la­den-Wal­nuss-Ener­gy­ball«. Mehr Glücks­ge­fühl geht nicht. Die Smoot­hie-Bar ist sehr beliebt, zeit­weise sind die War­te­schlan­gen meh­rere Meter lang. Glück­li­cher­weise kann ich die War­te­zeit auf der Tanz­flä­che über­brü­cken. Wer denkt, dort wird nur Elek­tro-Musik gespielt, sei eines Bes­se­ren belehrt: Von Disco, Swing bis zu Charts ist alles dabei. Oder wie es Marta beschrei­ben würde: »Haupt­sa­che es macht wach und bringt gute Laune!«

Hinter dem Schneemonster verbirgt sich die Künstlerin Anne Bengard. © Manolo Ty

Hinter dem Schnee­mons­ter ver­birgt sich die Künst­le­rin Anne Ben­gard. © Manolo Ty

Morning Glo­ry­ville trennt sich klar von der klas­si­schen Club­szene ab: »Con­scious Club­bing«, also »bewuss­tes Feiern« heißt der neue Par­ty­t­rend. Hier steht der Spaß am Tanzen im Vor­der­grund und man trinkt Smoot­hies statt Schnaps. Was hier zählt, fasst Tom tref­fend zusam­men: »Sei du selbst und fühl’ dich wohl dabei!«