Von Papas Prinzessinnen und wilden Kerlen

Amber-Sophie (30) aus Amsterdam: »Ich finde nicht, dass junge Kinder solche Sprüche auf Shirts tragen sollten. Ihnen wird dadurch unterstellt, dass sie schlechter sind.« © Ariane Böhm

Obwohl bereits ein Shit­s­torm los­ge­bro­chen war, findet sich noch immer Kin­der­klei­dung mit sexis­ti­schen Sprü­chen im Sor­ti­ment nam­haf­ter Her­stel­ler. Muss das sein?

Long-T-Shirt für Mäd­chen, breite Bünd­chen, Maschi­nen­wä­sche geeig­net, Preis 4,99€. Darauf gedruckt: »In Mathe bin ich Deko« – online zu kaufen bei »Otto«. Zumin­dest bis ein Shit­s­torm auf der Face­book-Seite des Ver­sand­händ­lers wütete. Das Shirt flog aus dem Sor­ti­ment, aller­dings nur in Öster­reich. In Deutsch­land war es bereits aus­ver­kauft. Das war 2013.

Lassen wir die Sache Revue pas­sie­ren: Es gibt Men­schen, die den Spruch witzig finden. Und es gibt Men­schen, die ihn sexis­tisch finden, eklig, bescheu­ert und hin­ter­wäld­le­risch – die Liste der Vor­würfe ist lang. Der Shirt-Trä­ge­rin wird eine Rechen­schwä­che unter­stellt. Rech­nen? Für Mäd­chen irrele­vant. Solange sie schön sind. Dabei sind Jungen und Mäd­chen nach­weis­lich gleich gut in Mathe – es sei denn jemand redet ihnen ein, sie könn­ten nicht rechnen.

Stereotype und soziale Folgen

Das liegt am »Ste­reo­type Threat«. Im ZDF-Neo-Expe­ri­ment »Der Ras­sist in uns« erklärt die Ham­bur­ger Sozi­al­psy­cho­lo­gie-Pro­fes­so­rin Juliane Degner: »Daran erin­nert zu werden, dass nega­tive Leis­tungs­er­war­tun­gen herr­schen – ‚du bist ’ne Frau, du kannst kein Mathe; du bist Afro­ame­ri­ka­ner, du bist nicht gut bei Intel­li­genz­tests’, zum Bei­spiel – allein das Wissen um diese poten­zi­elle Erwar­tung führt dazu, dass die Leis­tung schlech­ter wird.« Weil die Betrof­fe­nen Angst davor haben, ein Ste­reo­typ zu bestä­ti­gen und sich des­halb nicht mehr auf die eigent­li­che Auf­gabe kon­zen­trie­ren können.

Doch wie kommt es über­haupt zur Sexis­mus-Debatte in Deutsch­land? Alles fängt im Januar 2013 mit einem Por­trät über FDP-Poli­ti­ker Rainer Brü­derle an. »Der Her­ren­witz« erscheint im Maga­zin »Der Stern«. Laura Him­mel­reich (damals 29) schreibt über ihre Begeg­nun­gen mit Brü­derle (damals 67) und beklagt seine sexis­ti­schen Bemer­kun­gen. Zeit­gleich initi­iert Netz­fe­mi­nis­tin Anne Wizo­rek die Anti-Sexis­mus-Aktion »#Auf­schrei« bei Twit­ter. Her­ren­witz und Hash­tag finden zuein­an­der – die Reso­nanz ist groß: Online und off­line dis­ku­tie­ren Leit­me­dien und Bou­le­vard, Men­schen in Foren und auf der Straße. Über Her­ren­witze. Über T‑Shirts. Über Alltags-Sexismus.

Jungs blau, Mädchen rosa

Hat sich etwas geän­dert? Eine inter­dis­zi­pli­näre Stu­die­ren­den-Gruppe im Semi­nar »Ein­füh­rung in die Gender-Stu­dies«, an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Berlin will es genauer wissen. Ins­ge­samt ana­ly­sie­ren sie 501 Kinder-Sprü­che-Shirts auf Leit­mo­tive und geschlecht­li­che Ste­reo­type. Das Ergeb­nis: ernüchternd.

Tra­di­tio­nelle Rol­len­bil­der finden sich auch 2015 bei allen elf unter­such­ten Marken. Von Bil­lig­brands wie »Kik« und »Pri­mark« über »H&M« und »Zara« bis ins hohe Preis­seg­ment zu »Diesel« oder »Guess«. Bei Mäd­chen geht es um Liebe, Freund­schaft, Mär­chen, Unschuld, Lebens­freunde und Schön­heit. Bei Jungs dreht sich alles um Sport, Wett­kampf und Team­geist, Aben­teuer, Super­hel­den und Rebellion.

Das Ergeb­nis über­rascht nicht nur die Stu­die­ren­den, son­dern auch deren Pro­fes­so­rin, Sozio­lo­gin und Diplom-Phy­si­ke­rin Petra Lucht: »Ange­sichts des Ein­drucks, dass die Mög­lich­kei­ten sich zu klei­den, sehr viel­fäl­tig erschei­nen, hat mich das Ergeb­nis der Stu­di­en­gruppe, dass T‑S­hirt-Sprü­che geschlechts­ko­diert sind, in der Tat doch sehr überrascht.«

Alessandro (35) aus Berlin: »Es ist eine sehr negative Aussage. Finde ich nicht angemessen auf einem Shirt für Kinder.« © Ariane Böhm

Ales­san­dro (35) aus Berlin: »Es ist eine sehr nega­tive Aus­sage. Finde ich nicht ange­mes­sen auf einem Shirt für Kinder.« © Ariane Böhm

Sexismus steckt im Detail

Bei den meis­ten Shirts sind sexis­ti­sche Ten­den­zen nur ver­deckt wahr­nehm­bar. Das ist nicht minder gefähr­lich. Im Gegen­teil, Kli­schees werden unbe­wusst ver­här­tet. Posi­tive Aus­nah­men finden sich wenige. Ein Bei­spiel ist der Auf­druck »Little Love« auf einem Jungen-Stramp­ler. Die Stu­die­ren­den-Gruppe ist sich einig: »Bei einem klei­nen Jungen wird noch eher das Weiche erlaubt, später findet man das gar nicht mehr.«

Glaubt man der Zeit­schrift »Gla­mour«, möch­ten Männer gar nicht »nied­lich oder nett sein, son­dern stark und sexy«. Rich­tig ist: Männer dürfen nicht süß sein, solange das tra­di­tio­nelle Rol­len­bild es nicht vor­sieht. Damit sich das ändert, muss zunächst über­haupt ein Bewusst­sein für geschlechts­be­dingte Vor­ur­teile geschaf­fen werden. Lucht betont: »Für Kinder und ihre Eltern wäre es wich­tig, dass Geschlech­ter­ste­reo­type nicht ‚wie eine zweite Haut’ mit der Klei­dung über­ge­streift werden.«

Wir wollen wissen, ob sich mitt­ler­weile etwas bei der Kin­der­mode von »Otto« geän­dert hat. Und, wie das Unter­neh­men zu geschlechts­neu­tra­ler Kin­der­klei­dung steht. Eine Pres­se­re­fe­ren­tin ant­wor­tet eher aus­wei­chend: »Für uns stand nach diesem Vor­fall fest, dass wir an künf­tige Krea­tio­nen mit noch mehr Bedacht und Sen­si­bi­li­tät her­an­ge­hen werden, was von unse­ren Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern seit­dem auch in die Tat umge­setzt wird.«

Shoppen wir bald gender-neutral?

Doch »Otto« ver­kauft heute noch immer ein »Ich schmeiß’ alles hin… und werd’ Prinzessin!«-Shirt. Aber auch viele andere Her­stel­ler lassen »Top-Model« auf Mäd­chens­hirts dru­cken und »So sehen Sieger aus« auf Klei­dung für Jungs. Lucht plä­diert im Sinne einer gesell­schaft­li­chen Mit­ver­ant­wor­tung von Unter­neh­men für eine Selbst­ver­pflich­tung der Klei­dungs­in­dus­trie, um so »mög­li­che Effekte des Designs von Kin­der­klei­dung zu ver­mei­den, die zu Dis­kri­mi­nie­run­gen auf­grund des Geschlechts beitragen«.

Eine wei­tere Mög­lich­keit sind neue Store-Kon­zepte. So wie beim bri­ti­schen Edel-Kauf­haus »Sel­fri­d­ges«. Frauen und Männer shop­pen Unisex-Kol­lek­tio­nen dort nun in einer gemein­sa­men Abtei­lung. Zumin­dest in eini­gen Läden. Alles nur Mar­ke­ting oder ein Kon­zept mit Zukunft, viel­leicht und gerade für Kin­der­klei­dung? Wir werden sehen.