»Wir erzählen von Menschen, nicht von Opfern« 

»Mit den Asyl-Monologen und -Dialogen möchten wir nicht von Opfern erzählen, sondern von Menschen«, sagt Ruf. © Schokofeh Kamiz

Die Bühne für Men­schen­rechte schafft mit den »Asyl-Dia­lo­gen« ein deutsch­land­wei­tes Pro­jekt, das die ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven von Akteu­ren im Bereich der Asyl­po­li­tik ver­eint. Auch an der HU wurde das Stück aufgeführt.

Der Saal ist voll­kom­men still. Zu hören ist nur die Stimme der Person, die ihre Geschichte erzählt. Beglei­tet wird sie von einem Kla­vier und Per­kus­sion. Der junge Mann, Wazir (Moses Leo), berich­tet aus seinem Leben, warum er und wie er nach Deutsch­land kam. Er beschreibt, wie er Linda (Meri Koi­visto) traf. Und wie seine Abschie­bung in Osna­brück durch Blo­cka­den ver­hin­dert werden konnte.

Sechs pro­fes­sio­nelle Schau­spie­ler erwe­cken die »Asyl-Dia­loge« zum Leben. An einem Abend in Berlin an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät oder im Hei­mat­ha­fen Neu­kölln, an ande­ren Tagen in Aachen, Stutt­gart oder Jena. Deutsch­land­weit ist ein Netz aus 250 Schau­spie­lern, Musi­kern und etwa 450 Dis­ku­tan­ten ent­stan­den, die an dem Pro­jekt betei­ligt sind. Das Stück kann über­all auf­ge­führt werden, wo sich bereit­wil­lige Schau­spie­ler und Pro­jekt­part­ner finden. Das ist das span­nende Kon­zept hinter dem Pro­jekt. Michael Ruf ist Autor, Regis­seur und Grün­der der Bühne für Men­schen­rechte. Er hat die »Asyl-Dia­loge« initi­iert, denen die »Asyl-Mono­loge« als erstes Stück dieser Art vor­aus­gin­gen. Inspi­rie­ren ließ sich Ruf durch die in Eng­land akti­ven »Actors for Human Rights«, die mit den »Asylum Mono­lo­gues« bereits ein Thea­ter­stück rund um die Geschichte von Geflüch­te­ten und ihren Erfah­run­gen mit der Asyl­po­li­tik geschaf­fen hatten.

An diesem Abend geht es auch um Rayana (Martha Fes­se­hat­zion) und Anna (Eli­sa­beth Pleß), die sich in Süd­deutsch­land ken­nen­ler­nen, weil Rayana mit ihrer Fami­lie aus Tsche­tsche­nien nach Deutsch­land geflüch­tet ist und Anna sich ent­schei­det zu helfen – sich zu enga­gie­ren. Am Ende ist sie völlig ver­wirrt und von ihrer eige­nen Nai­vi­tät gren­zen­los ent­täuscht. »Ich hatte in meinem Kopf über­haupt nicht rea­li­siert, dass Flücht­linge – für die wir eine Will­kom­mens­kul­tur auf­bauen – abge­scho­ben werden.«

Erzählt wird an diesem Abend auch von Hawar (Asad Schwarz-Mses­i­lamba) und Sara (Aline Joers), seiner Anwäl­tin. Von Angrif­fen aus der Luft, gegen die Fami­lie, von miss­mu­ti­gen Behör­den­an­ge­stell­ten und von dem Ver­such, einen Kran­ken­haus­auf­ent­halt zu insze­nie­ren, damit die Fami­lie nicht abge­scho­ben wird.

Die Asyl-Dia­loge ent­ste­hen durch Inter­views, deren Inhalt ledig­lich gekürzt wird, aber sprach­lich unver­än­dert bleibt. Es sind immer zwei, die ihre eigene und die gemein­same Geschichte erzäh­len. Eine geflüch­tete und eine ein­hei­mi­sche Person. Namen und Orte werden eben­falls ver­än­dert, der Tenor und die Bedeu­tung der Geschich­ten bleibt. Das bemerkt auch der Zuschauer, für den sich die Authen­ti­zi­tät des Gesag­ten in den Worten der Prot­ago­nis­ten wider­spie­gelt. Unbe­rührt bleibt keiner im Saal.

Es gelingt, durch dieses Stück den Bogen zwi­schen der Absur­di­tät der euro­päi­schen Asyl­po­li­tik und den Erfah­run­gen der betrof­fe­nen Per­so­nen – ob Flücht­ling oder Ein­hei­mi­scher – zu schla­gen, ohne dabei profan Gewalt und Schmerz in den Vor­der­grund zu stel­len. Es erfolgt eine schlichte, wenn auch wir­kungs­volle Wie­der­gabe von Erleb­tem und Erfah­run­gen, die der Zuschauer allein auf sich wirken lassen kann. Die schau­spie­le­ri­sche Leis­tung der Betei­lig­ten und der mini­ma­lis­ti­sche Ein­satz von Musik und Licht sind für dieses Ergeb­nis maß­geb­lich. Die anschlie­ßende Dis­kus­sion gibt noch einmal die Mög­lich­keit, das Gese­hene zu reflektieren.

Was dieses Pro­jekt so ein­zig­ar­tig macht, ist, dass es gerade nicht darum geht, Kli­schees zu bedie­nen oder herz­zer­rei­ßende Geschich­ten zu erzäh­len. »Mit den Asyl-Mono­lo­gen und ‑Dia­lo­gen möch­ten wir nicht von Opfern erzäh­len, son­dern von Akteu­ren, nicht von eigen­schafts­lo­sen Geflüch­te­ten, son­dern von Men­schen«, sagt Ruf.