Hipster war gestern: Der Nerpster übernimmt die Uni

Vielleicht ein neues Phänomen, der Nerpster? @ Miriam Nomanni

Leonie und Miriam haben bei ihrem obli­ga­to­ri­schen Mensabe­such nicht nur die Spei­se­karte stu­diert. Sind sie viel­leicht einem neuen Trend auf der Spur? Ein Kommentar

Text: Leonie Braam & Miriam Nomanni

In der Mensa müssen wir mit unse­ren Tabletts stän­dig den Massen aus­wei­chen. Wir setzen uns schnell an zwei freie Plätze. Am Tisch sitzt bereits eine Gruppe Stu­die­rende, auf­ge­regt plap­pernd. Wir widmen uns unse­rem bereits lau­war­men Essen und beob­ach­ten aus dem Augen­win­kel die bunte Gruppe. »Es gibt diese Theo­rie um John Snow. Nein, wirk­lich. Habe da ein rich­tig gutes You­tube-Video gefun­den. Super span­nend. Erklärt unheim­lich viel Back­ground zur Serie.« Aha. Eine von uns zieht eine Augen­braue hoch, nickt wis­send. Es geht also um Game of Thro­nes. Der Große im Star Wars-Shirt holt umständ­lich ges­ti­ku­lie­rend aus. Wäh­rend wir weiter in unse­rem Essen sto­chern, dis­ku­tiert die Gruppe inzwi­schen die Theo­rie hinter Shel­dons und Leo­nards Ver­öf­fent­li­chung zum »super­fluid vacuum«. »Bazinga!«, ruft eine junge Frau mit Horn­brille. Big Bang also jetzt. Wir schauen uns an. »Kaffee?« — »Kaffee.«

Auf dem Weg zur Kaf­fee­bar beob­ach­ten wir die an uns vor­bei­strö­mende Masse in der Mensa und uns fällt ein inter­es­san­ter Typ Stu­die­ren­der auf: junge Men­schen mit hippen Kla­mot­ten-Hoo­dies mit Band-Logo oder Sprü­chen aus den der­zeit belieb­tes­ten Serien, dazu Röhren-Jeans und DocMar­tens-Stie­fel. Mit großer, schwe­rer Brille und ange­sag­tem Haar­schnitt. Leicht zer­zaust, mit Star­bucks-Becher in der Hand werden Debat­ten geführt – von der neus­ten Epi­sode bis zur gesell­schafts­kri­ti­schen Single-Aus­kopp­lung irgend­ei­ner Band. Der neue Typ »Stu­die­rende« scheint auf ganz eigene Art ver­schie­dene Strö­mun­gen zu ver­ei­nen: hip, dem neus­ten Fashion-Trend fol­gend, ganz indi­vi­du­ell – wie der Hips­ter. Serien-affin, dem neus­ten Tech­nik-Trend unter­wor­fen, ganz geeky – wie der Nerd. Viel­leicht ein neues Phä­no­men, der Nerpster?

Plötz­lich sehen wir den Nerps­ter. Über­all. Ein Gefühl all­täg­li­cher Prä­senz – in der Uni, der U‑Bahn, auf den Stra­ßen Ber­lins. Und vor allem in den Medien. Ist nicht Jan Böh­mer­mann ein eben­sol­cher Nerps­ter? Tech­nik-Geek, irgend­wie ein biss­chen in den 90ern ste­cken geblie­ben und doch zur Zeit ange­sagt wie einst MTV Home. In der Schule hätten wir ihn ver­mut­lich gehän­selt. Jetzt reden alle über ihn. Das #fin­ger­gate geht um die Welt. Gibt es einen neuen Trend in den all­täg­li­chen Dingen? In den Medien und der Mode? Immer­hin: es gibt sogar Star Wars-Jute­beu­tel. Und die sind nicht etwa Aus­prä­gung eines exzes­si­ven Fan­doms, son­dern gesell­schafts­fä­hig. Aber wie misst man eigent­lich Trends? Wie unter­sucht man Strö­mun­gen und Bewe­gun­gen unter jungen Menschen?

Stu­die­rende sind eine Gruppe, die per se schon für Wandel, Ver­än­de­rung, Fluk­tua­tion prä­de­sti­niert zu sein scheint – gerade hier in Berlin. Berlin ist in Deutsch­land wohl die Stadt mit den meis­ten Sub­kul­tu­ren, Jugend­be­we­gun­gen und Trend-Phä­no­me­nen. Hier werden neue Trends geschaf­fen und aus den Metro­po­len der Welt impor­tiert, getra­gen und aus­ge­lebt. Aber diese Phä­no­mene unter­lie­gen auch stän­di­ger Ver­än­de­rung. Wie will man eigent­lich in einer sol­chen vom Wandel gepräg­ten Gruppe wie der Stu­die­ren­den­schaft Ber­lins neue Trends erken­nen? Wer sagt eigent­lich was »in« ist und was sowas­von »out«?

Auch ein Nerpster? Die Büste des Gelehrten E.E. Kummer im Weierstraß-Hörsaal in der HU ziert seit einiger Zeit eine hippe Mütze. © Tobias Hausdorf

Auch ein Nerps­ter? Die Büste des Gelehr­ten E.E. Kummer im Wei­er­straß-Hör­saal in der HU ziert seit eini­ger Zeit eine hippe Mütze. © Tobias Hausdorf

Es gibt Ver­su­che, die ver­schie­de­nen Jugend­kul­tu­ren und Trends zu erfas­sen und zu unter­su­chen – so sam­melt zum Bei­spiel das Archiv der Jugend­kul­tu­ren e.V. Publi­ka­tio­nen zu Jugend­be­we­gun­gen, Sub­kul­tu­ren und Trends. Etwas nerdi­ger geht es da schon bei der Gesell­schaft für Fan­tas­tik­for­schung zu. Die aka­de­mi­sche Gesell­schaft, die die Zeit­schrift für Fan­tas­tik­for­schung publi­ziert, erforscht die Fan­tas­tik in Kunst, Lite­ra­tur und Kultur. So gibt es aktu­ell ein World Hobbit Rese­arch Pro­ject. Sind die Betei­lig­ten jetzt Nerds? Oder nerdige Hips­ter? Ist die Gesell­schaft für Fan­tas­tik­for­schung viel­leicht auch ein Kon­strukt des Phä­no­mens, dass vor­mals noch belä­chelte Themen jetzt eine weite Akzep­tanz finden? Die dicken Fan­tasy-Bücher zu lesen, geeky Sprü­che-Shirts zu tragen und stun­den­lang vor dem Rech­ner zu hocken und die neus­ten Games zu spie­len gehört plötz­lich zum Lebens­lauf eines hippen Studenten?

Zumin­dest in Deutsch­land ist zu beob­ach­ten, dass die Imma­tri­ku­la­ti­ons­zah­len für tech­ni­sche Stu­di­en­gänge, vor allem aber für den Stu­di­en­gang Infor­ma­tik, stetig stei­gen. Mit mehr als 50.000 Stu­die­ren­den im ersten Fach­se­mes­ter Infor­ma­tik im WS 2013/2014 waren die Zahlen zum ersten Mal auf einem Rekord­hoch. Immer mehr wird auf die Aktua­li­tät eines Infor­ma­tik-Stu­di­ums auf­merk­sam gemacht, unsere schnell­le­bige, tech­nisch kon­trol­lierte Gesell­schaft brau­che Infor­ma­tik-Absol­ven­ten. Und Game Desi­gner. Oder App Desi­gner. Irgend­et­was mit Tech­nik jeden­falls. Die Nerds aus unse­rem Abitur­jahr­gang sind jetzt die gefei­er­ten Hips­ter, nein, Nerps­ter, in jungen Star­tups in Berlin. Mit schi­ckem City­bike, teurer tech­ni­scher Aus­rüs­tung und mit stolz getra­ge­nem »I write codes«-Shirt. Fast ein klei­nes Sili­con Valley in Berlin. Und wir fanden das Nerd-Sein früher uncool! Dem Nerps­ter stehen mit einem Abschluss in Infor­ma­tik und Phi­lo­so­phie, der Kom­bi­na­tion des aktu­ell tren­di­gen App-Desi­gners und kri­ti­schen Intel­lek­tu­el­len alle Türen offen. Jeden­falls, wenn er dann auch eine indi­vi­du­elle Chip­karte der Firma trägt.

»Legen‘se bitte die Men­sa­Card auf, junge Dame. Ik hab nich ewich Zeit.« Schnell bezah­len wir unse­ren Kaffee. Hinter der ganzen Dis­kus­sion um neue Trends und die Frage, was jetzt eigent­lich gerade ange­sagt, steckt noch so viel mehr. Zuschrei­bun­gen und ver­all­ge­mei­nernde Bezeich­nun­gen für Men­schen sind häufig nega­tiv besetzt. War nicht auch »Nerd« eigent­lich eine Belei­di­gung? Glei­ches gilt für den Hips­ter – alle finden es cool, nie­mand will einer sein. Wir finden uns selbst manch­mal in einem sol­chen Para­do­xon wieder. Wir sind abso­lute Seri­en­jun­kies. Aber Nerds, nie­mals! Und das bunt karierte Hemd vom Floh­markt ist über­haupt nicht »hips­ter«. Eine von uns trägt ihre große Brille ja auch nur, weil die so prak­tisch ist. Wie so viele folgen auch wir – bewusst oder unbe­wusst – den aktu­el­len, gesell­schaft­li­chen Trends. Aber doch wollen wir alle indi­vi­du­ell sein, wollen uns den Ver­all­ge­mei­ne­run­gen und der Ste­reo­ty­pen-Bil­dung ent­zie­hen. So för­dern wir viel­leicht genau das, was wir eigent­lich ableh­nen, indem wir über den nerdi­gen Hips­ter, den Nerps­ter, diskutieren.

Aber viel Zeit für große Fragen bleibt uns nicht. Wir müssen los. Heute Abend gibt es die neue Game of Thro­nes-Folge. Hek­tisch finden wir unse­ren Weg durch die Her­um­ste­hen­den im Ein­gang der Mensa. Im Vor­bei­ge­hen stößt eine junge Stu­den­tin gegen einen unse­rer umwelt­freund­li­chen Kera­mik-To-Go-Becher. Jetzt ist ein rie­si­ger Kaf­fee­fleck auf dem neuen Hei­sen­berg-Shirt. So ein Mist aber auch.