Schreibend kämpfen: Schwule Studierende in Jordanien

Ich habe mich inzwischen bestimmt viermal geoutet, sagt David. © Kirsten Jöhlinger

Wenn man auf der Web­site der jor­da­ni­schen Zei­tung Jordan Times das Wort »gay« ein­gibt, zeigt die Web­site genau null Tref­fer an. Doch das heißt nicht, dass es in Jor­da­nien keine Schwu­len-Szene gibt. David Samhan-Hattar und AJ Burg sind schwul und erzäh­len von ihrem Leben in Amman.

Noch sechs Wochen, dann ist er weg. AJ Burg hat ein Visum für die USA bekom­men. Dort möchte er Jour­na­lis­mus stu­die­ren. Das Meer sehen. Stolz auf seinen Part­ner sein. Und viel­leicht irgend­wann mal Kinder haben.
AJ Burg ist nicht sein echter Name. Eigent­lich hat der 22-Jäh­rige einen mus­li­mi­schen Namen; den möchte er aber ändern lassen. AJ Burg soll sein neuer Name werden. Unter diesem möchte er Geschich­ten ver­öf­fent­li­chen. Bisher schrieb er unter einem ande­ren Pseud­onym für ein jor­da­ni­sches Online­ma­ga­zin namens »My.Kali«, das für und über die LGBT-Szene (Les­bian, Gay, Bise­xual und Trans­gen­der) berichtet.

David Samhan-Hattar behält seinen Namen. Der 23-Jäh­rige stu­dierte Über­set­zungs­wis­sen­schaf­ten. Jetzt ver­dient er sein Geld bei einer NGO, die sich für Kinder und Jugend­li­che ein­setzt und arbei­tet frei­wil­lig bei der Orga­ni­sa­tion »Awn«, die LGBT unterstützt.

AJ und David sitzen im hippen Café Graf­fiti, im euro­pä­isch anmu­ten­den Stadt­teil Jabal El Webdeh der jor­da­ni­schen Haupt­stadt Amman. An den Wänden hängen von Graf­fiti inspi­rierte Bilder. Aus den Laut­spre­chern klingt eng­lisch­spra­chige Pop­mu­sik. AJ singt häufig mit. Hier ist es kein Pro­blem, über Schwul­sein zu spre­chen. An ande­ren Orten wäre das wohl anders. Obwohl Jor­da­nien Homo­se­xua­li­tät nicht ver­bie­tet, werden Schwule von Jor­da­ni­ens Gesell­schaft nicht akzeptiert.

Die Hauptstadt Amman: Obwohl Jordanien Homosexualität nicht verbietet, werden Schwule von der Gesellschaft nicht akzeptiert. © Kirsten Jöhlinger

Die Haupt­stadt Amman: Obwohl Jor­da­nien Homo­se­xua­li­tät nicht ver­bie­tet, werden Schwule von der Gesell­schaft nicht akzep­tiert. © Kirs­ten Jöhlinger

Rausgeschmissen

Die beiden wissen das genau. AJ hat seinen Eltern nie erzählt, dass er schwul ist: »Meine Mutter hat mich mal gefragt. Aber ich habe es abge­strit­ten.« Seine Schwes­ter weiß es und akzep­tiert es inzwi­schen. Das hat aber einige Jahre gedau­ert. »Sie mochte meinen dama­li­gen Freund. Dann hat sie ange­fan­gen, zu akzep­tie­ren, dass ich schwul bin«, so AJ.

Als David 21 Jahre alt war, bekam sein Vater mit, dass sein Sohn schwul ist. Er schmiss ihn dar­auf­hin aus dem Haus. »Ein Freund – meine »gay mother« – hat mich dann auf­ge­nom­men. Ich konnte dort wohnen, bis ich Arbeit und einen an- deren Wohn­ort gefun­den hatte«, erzählt David.
Inzwi­schen lebt er wieder bei seinem Vater. Der hat zwar irgend­wie akzep­tiert, dass sein Sohn nicht dem Ide­al­bild der Gesell­schaft ent­spricht, leug­net aber sein Schwul­sein: »Mein Vater ver­gisst immer wieder, dass ich schwul bin. Ich habe mich inzwi­schen bestimmt vier­mal geoutet«, sagt David.

Bei »Awn,« begeg­nen ihm ähn­li­che Pro­bleme. »Awn« bedeu­tet »Hilfe« auf Ara­bisch und wurde vor einem Jahr gegrün­det. Dessen Mit­glie­der küm­mern sich um Leute, die von ihrer Fami­lie nicht akzep­tiert werden. »Manch­mal werden Söhne von ihren Vätern geschla­gen oder die Eltern ver­su­chen ihr Kind von seinem Umfeld zu iso­lie­ren, wenn sie erfah­ren, dass es les­bisch oder schwul ist«, so David. Es kommt auch vor, dass die Eltern ihr Kind zu einer Hoch­zeit zwin­gen. »Wir bieten Leuten, die von ihrer Fami­lie raus­ge­schmis­sen wurden, ein Zimmer.«, erzählt David, »Wenn ihre Situa­tion sehr gefähr­lich ist, helfen wir ihnen in den Liba­non zu kommen. Dort können sie Asyl bean­tra­gen. Bisher hatten wir vier sol­cher Fälle.«

Gesetz zum Erhalt der Moral

»Awn« bietet nicht nur Hilfe. Die Orga­ni­sa­tion kämpft auch gegen das Gesetz 320 des jor­da­ni­schen Straf­ge­set­zes. Dieses besagt, dass jeder der eine »unge­hö­rige Hand­lung« im öffent­li­chen Raum begeht, mit maxi­mal sechs Mona­ten Haft bestraft werden kann. Wenn die Poli­zei Schwule fest­nimmt, beruft sie sich auf dieses Gesetz. Zu einem Pro­zess kommt es nor­ma­ler­weise nicht, die Poli­zei ruft aber den Vater, Bruder oder Onkel des Fest­ge­nom­me­nen an und so werden Mit­glie­der der LGBT-Szene oft unfrei­wil­lig geoutet.

Der Kampf gegen dieses Gesetz ist nicht ein­fach. Kein jor­da­ni­scher Par­la­men­ta­rier will mit Homo­se­xua­li­tät in Ver­bin­dung gebracht werden. Des­halb orga­ni­siert »Awn« all­ge­meine Dis­kus­sio­nen zu Men­schen­rech­ten. »Wir laden dann neben einem LGBT-freund­li­chen Spre­cher, natür­lich auch einen Par­la­men­ta­rier ein. So gewöh­nen wir Poli­ti­ker Schritt für Schritt an die Idee, dass LGBT-Rechte nichts Schlech­tes sind.«

In Badehose vor der Moschee

Poli­ti­ker sind hin­ge­gen nicht das wich­tigste Publi­kum für das Online­ma­ga­zin »My.Kali«. AJ beschreibt dies so: »‚My. Kali‘ wurde gegrün­det, um das rich­tige Image für die LGBT-Szene auf­zu­bauen. Die Arti­kel beschäf­ti­gen sich aber nicht alle mit der Szene.« Das Maga­zin pro­vo­ziert. Seinen Grün­der, ein jor­da­ni­sches Model, zeigt ihn in Bade­hose vor einer Moschee.

Das gefällt nicht jedem. Auf You­Tube wurde das heute acht­jäh­rige Maga­zin von reli­giö­sen Per­sön­lich­kei­ten bedroht. Weder die jor­da­ni­schen Mus­lime, noch die jor­da­ni­schen Chris­ten akzep­tie­ren Homo­se­xua­li­tät. Doch auch einige Schwule sind reli­giös. »Ich ver­mute, dass wir Mit­glie­der der LGBT-Szene mehr von Reli­gion ver­ste­hen als die Mehr­heit der Jor­da­nier«, sagt AJ.

Reli­gion mag eine Rolle darin spie­len, dass viele schwule Jor­da­nier in eine Iden­ti­täts­krise gera­ten. Manche gehen dann zu Psy­cho­lo­gen, von denen einige behaup­ten, Homo­se­xua­li­tät heilen zu können. Andere werden auch von ihren Eltern zu einem Psych­ia­ter geschleppt, der ihnen dar­auf­hin Medi­zin ver­schreibt. »Ein Bekann­ter wird gezwun­gen Anti­de­pres­siva zu nehmen«, erzählt AJ.

Partner auf Zeit

Doch alleine ist man nicht. Einige Orte in Amman sind bekannte Treff­punkte der Szene. Es gibt das »Books@« im Zen­trum und im »Café Graf­fiti« nennt AJ den Kell­ner den »Café-Pro­sti­tu­ier­ten«. Außer­halb der Haupt­stadt ist es schwie­ri­ger. Manche Schwule ziehen des­we­gen nach Amman. Einen Part­ner findet man aber nicht so leicht. Über Dating-Seiten findet man Affä­ren. Nicht selten ist die Person, die man ken­nen­lernt ver­hei­ra­tet und hat Kinder. Manch­mal ent­wi­ckelt sich aber auch eine Bezie­hung. Die kann vier Monate dauern, viel­leicht auch ein Jahr. »Dein Part­ner kann dich aber plötz­lich ver­las­sen, weil sein Vater möchte, dass er hei­ra­tet«, sagt David.

»Awn« und »My.Kali« kämp­fen weiter für Akzep­tanz. Aber manch­mal brau­chen Leute trotz­dem einen Neu­an­fang im Aus­land: »Ich hoffe, dass diese Bot­schaft die Stu­den­ten und die Uni­ver­si­tä­ten in Deutsch­land erreicht. Wir brau­chen drin­gend Sti­pen­dien. Es pas­siert näm­lich häufig, dass LGBT-Mit­glie­der von ihren Eltern raus­ge­schmis­sen werden. Dann stehen sie ohne etwas auf der Straße. Oft ist die ein­zige Lösung dann Pro­sti­tu­tion«, sagt David.