Schreibend kämpfen: Schwule Studierende in Jordanien
Wenn man auf der Website der jordanischen Zeitung Jordan Times das Wort »gay« eingibt, zeigt die Website genau null Treffer an. Doch das heißt nicht, dass es in Jordanien keine Schwulen-Szene gibt. David Samhan-Hattar und AJ Burg sind schwul und erzählen von ihrem Leben in Amman.
Noch sechs Wochen, dann ist er weg. AJ Burg hat ein Visum für die USA bekommen. Dort möchte er Journalismus studieren. Das Meer sehen. Stolz auf seinen Partner sein. Und vielleicht irgendwann mal Kinder haben.
AJ Burg ist nicht sein echter Name. Eigentlich hat der 22-Jährige einen muslimischen Namen; den möchte er aber ändern lassen. AJ Burg soll sein neuer Name werden. Unter diesem möchte er Geschichten veröffentlichen. Bisher schrieb er unter einem anderen Pseudonym für ein jordanisches Onlinemagazin namens »My.Kali«, das für und über die LGBT-Szene (Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) berichtet.
David Samhan-Hattar behält seinen Namen. Der 23-Jährige studierte Übersetzungswissenschaften. Jetzt verdient er sein Geld bei einer NGO, die sich für Kinder und Jugendliche einsetzt und arbeitet freiwillig bei der Organisation »Awn«, die LGBT unterstützt.
AJ und David sitzen im hippen Café Graffiti, im europäisch anmutenden Stadtteil Jabal El Webdeh der jordanischen Hauptstadt Amman. An den Wänden hängen von Graffiti inspirierte Bilder. Aus den Lautsprechern klingt englischsprachige Popmusik. AJ singt häufig mit. Hier ist es kein Problem, über Schwulsein zu sprechen. An anderen Orten wäre das wohl anders. Obwohl Jordanien Homosexualität nicht verbietet, werden Schwule von Jordaniens Gesellschaft nicht akzeptiert.
Rausgeschmissen
Die beiden wissen das genau. AJ hat seinen Eltern nie erzählt, dass er schwul ist: »Meine Mutter hat mich mal gefragt. Aber ich habe es abgestritten.« Seine Schwester weiß es und akzeptiert es inzwischen. Das hat aber einige Jahre gedauert. »Sie mochte meinen damaligen Freund. Dann hat sie angefangen, zu akzeptieren, dass ich schwul bin«, so AJ.
Als David 21 Jahre alt war, bekam sein Vater mit, dass sein Sohn schwul ist. Er schmiss ihn daraufhin aus dem Haus. »Ein Freund – meine »gay mother« – hat mich dann aufgenommen. Ich konnte dort wohnen, bis ich Arbeit und einen an- deren Wohnort gefunden hatte«, erzählt David.
Inzwischen lebt er wieder bei seinem Vater. Der hat zwar irgendwie akzeptiert, dass sein Sohn nicht dem Idealbild der Gesellschaft entspricht, leugnet aber sein Schwulsein: »Mein Vater vergisst immer wieder, dass ich schwul bin. Ich habe mich inzwischen bestimmt viermal geoutet«, sagt David.
Bei »Awn,« begegnen ihm ähnliche Probleme. »Awn« bedeutet »Hilfe« auf Arabisch und wurde vor einem Jahr gegründet. Dessen Mitglieder kümmern sich um Leute, die von ihrer Familie nicht akzeptiert werden. »Manchmal werden Söhne von ihren Vätern geschlagen oder die Eltern versuchen ihr Kind von seinem Umfeld zu isolieren, wenn sie erfahren, dass es lesbisch oder schwul ist«, so David. Es kommt auch vor, dass die Eltern ihr Kind zu einer Hochzeit zwingen. »Wir bieten Leuten, die von ihrer Familie rausgeschmissen wurden, ein Zimmer.«, erzählt David, »Wenn ihre Situation sehr gefährlich ist, helfen wir ihnen in den Libanon zu kommen. Dort können sie Asyl beantragen. Bisher hatten wir vier solcher Fälle.«
Gesetz zum Erhalt der Moral
»Awn« bietet nicht nur Hilfe. Die Organisation kämpft auch gegen das Gesetz 320 des jordanischen Strafgesetzes. Dieses besagt, dass jeder der eine »ungehörige Handlung« im öffentlichen Raum begeht, mit maximal sechs Monaten Haft bestraft werden kann. Wenn die Polizei Schwule festnimmt, beruft sie sich auf dieses Gesetz. Zu einem Prozess kommt es normalerweise nicht, die Polizei ruft aber den Vater, Bruder oder Onkel des Festgenommenen an und so werden Mitglieder der LGBT-Szene oft unfreiwillig geoutet.
Der Kampf gegen dieses Gesetz ist nicht einfach. Kein jordanischer Parlamentarier will mit Homosexualität in Verbindung gebracht werden. Deshalb organisiert »Awn« allgemeine Diskussionen zu Menschenrechten. »Wir laden dann neben einem LGBT-freundlichen Sprecher, natürlich auch einen Parlamentarier ein. So gewöhnen wir Politiker Schritt für Schritt an die Idee, dass LGBT-Rechte nichts Schlechtes sind.«
In Badehose vor der Moschee
Politiker sind hingegen nicht das wichtigste Publikum für das Onlinemagazin »My.Kali«. AJ beschreibt dies so: »‚My. Kali‘ wurde gegründet, um das richtige Image für die LGBT-Szene aufzubauen. Die Artikel beschäftigen sich aber nicht alle mit der Szene.« Das Magazin provoziert. Seinen Gründer, ein jordanisches Model, zeigt ihn in Badehose vor einer Moschee.
Das gefällt nicht jedem. Auf YouTube wurde das heute achtjährige Magazin von religiösen Persönlichkeiten bedroht. Weder die jordanischen Muslime, noch die jordanischen Christen akzeptieren Homosexualität. Doch auch einige Schwule sind religiös. »Ich vermute, dass wir Mitglieder der LGBT-Szene mehr von Religion verstehen als die Mehrheit der Jordanier«, sagt AJ.
Religion mag eine Rolle darin spielen, dass viele schwule Jordanier in eine Identitätskrise geraten. Manche gehen dann zu Psychologen, von denen einige behaupten, Homosexualität heilen zu können. Andere werden auch von ihren Eltern zu einem Psychiater geschleppt, der ihnen daraufhin Medizin verschreibt. »Ein Bekannter wird gezwungen Antidepressiva zu nehmen«, erzählt AJ.
Partner auf Zeit
Doch alleine ist man nicht. Einige Orte in Amman sind bekannte Treffpunkte der Szene. Es gibt das »Books@« im Zentrum und im »Café Graffiti« nennt AJ den Kellner den »Café-Prostituierten«. Außerhalb der Hauptstadt ist es schwieriger. Manche Schwule ziehen deswegen nach Amman. Einen Partner findet man aber nicht so leicht. Über Dating-Seiten findet man Affären. Nicht selten ist die Person, die man kennenlernt verheiratet und hat Kinder. Manchmal entwickelt sich aber auch eine Beziehung. Die kann vier Monate dauern, vielleicht auch ein Jahr. »Dein Partner kann dich aber plötzlich verlassen, weil sein Vater möchte, dass er heiratet«, sagt David.
»Awn« und »My.Kali« kämpfen weiter für Akzeptanz. Aber manchmal brauchen Leute trotzdem einen Neuanfang im Ausland: »Ich hoffe, dass diese Botschaft die Studenten und die Universitäten in Deutschland erreicht. Wir brauchen dringend Stipendien. Es passiert nämlich häufig, dass LGBT-Mitglieder von ihren Eltern rausgeschmissen werden. Dann stehen sie ohne etwas auf der Straße. Oft ist die einzige Lösung dann Prostitution«, sagt David.