STADTSTUDENTEN Berlin – Die erste Adresse für alle, die in Berlin studieren
  • Start
  • Letzte Beiträge
  • Mitmachen
  • Heft-Archiv
  • Datenschutz

»Niemand verlässt sein Heimatland für Hartz IV«

Veröffentlicht am 15. Juli 2015 von Hannah Wagner in Leben, Wohnen

Mit einem der Initiatoren von »Flüchtlinge Willkommen«, Jonas Kakoschke (rechts), hat Hannah gesprochen. © Jean-Paul Pastor Guzmán

Das Pro­jekt »Flücht­linge Will­kom­men« ver­mit­telt geflüch­tete Men­schen an Wohn­ge­mein­schaf­ten in ganz Deutsch­land. Egal, ob Stu­den­ten-WG, Fami­li­en­woh­nung oder Sin­gle­haus­halt – jeder kann ein freies Zimmer zur Ver­fü­gung stel­len. Jonas Kakoschke, einer der Initia­to­ren, erklärt wie das funk­tio­niert und was in der deut­schen Flücht­lings­po­li­tik schief läuft.

Viele Flüchtlingsorganisationen sammeln Sachspenden oder organisieren Freizeitgestaltung, euer Projekt dagegen vermittelt Geflüchtete an WGs. Was ist die Idee hinter dem Konzept?

Jonas: Geflüch­tete Men­schen leben nach ihrer Ankunft in Deutsch­land in der Regel in Mas­sen­un­ter­künf­ten. Diese liegen oft am Stadt­rand und sind in unse­ren Augen stig­ma­ti­sie­rend, da sie den dort leben­den Men­schen die Mög­lich­keit nehmen, am gesell­schaft­li­chen Leben teil­zu­neh­men und mit Nicht-Geflüch­te­ten in Kon­takt zu kommen. Wohn­ge­mein­schaf­ten zwi­schen Geflüch­te­ten und Nicht-Geflüch­te­ten bieten eine tolle Mög­lich­keit, Vor­ur­teile auf beiden Seiten abzu­bauen und in einen Dialog zu treten.

Der erste Geflüchtete, der vermittelt wurde, war Bakary aus Mali – und zwar an deine eigene WG.

Jonas: Genau, Baka­rys Einzug im ver­gan­ge­nen Dezem­ber war quasi der Start­punkt für unser Pro­jekt, auch wenn das damals noch nicht geplant war: Meine Freun­din Mareike hatte eine Zusage für einen Job in Kairo bekom­men und so war in unse­rer Woh­nung für zehn Monate ein Zimmer frei. Wir haben uns dazu ent­schie­den, das Zimmer nicht ganz normal zu ver­mie­ten, son­dern einem Geflüch­te­ten zur Ver­fü­gung zu stel­len. Anfangs dach­ten wir, dass ein großer büro­kra­ti­scher Auf­wand auf uns zukom­men würde, aber über­ra­schen­der­weise ver­lief Baka­rys Einzug dann total unkom­pli­ziert. Also haben wir den Plan gefasst, eine Platt­form zu grün­den, um unsere Erfah­run­gen zu teilen und das Kon­zept publik zu machen. Nach nicht mal einem Jahr haben wir schon über 40 geflüch­tete Men­schen ver­mit­teln können.

Eine Wohngemeinschaft meldet sich bei euch und stellt ein Zimmer zur Verfügung. Wie geht es weiter?

Jonas: Jede WG, die sich bei uns meldet, muss zunächst ein Anmel­de­for­mu­lar aus­fül­len, auf dem unter ande­rem abge­fragt wird, wie viele Leute in der Woh­nung leben oder welche Spra­chen gespro­chen werden. Auf dieser Grund­lage suchen wir dann nach einem Geflüch­te­ten, der in diese WG passt. Dazu arbei­ten wir mit Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen wie AWO und Cari­tas und mit Pro­jek­ten, die sich auf loka­ler Ebene für Geflüch­tete ein­set­zen, zusam­men. Wenn wir dann jeman­den gefun­den haben, küm­mern wir uns um einen Paten, der dem Geflüch­te­ten als Ansprech­part­ner zur Seite steht und beim ersten Ken­nen­ler­nen mit den WG-Bewoh­nern dabei ist. Es können sich aber natür­lich auch Geflüch­tete direkt bei uns melden, dann ver­mit­teln wir ein­fach andersherum.

Können nur Menschen vermittelt werden, die legal in Deutschland leben?

Jonas: Nein, wir sind kom­plett sta­tusof­fen, das heißt, wir ver­mit­teln auch Men­schen, die »ille­ga­li­siert« in Deutsch­land leben. In unse­ren Augen ist es unmensch­lich, Men­schen in Grup­pen ein­zu­tei­len und zu sagen, ob jemand legal oder ille­gal geflüch­tet ist.

Geflüchtete haben kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland in der Regel nicht genug Geld, um sich ein Zimmer in einer WG leisten zu können. Wer übernimmt die Mietkosten?

Jonas: Das ist ein wich­ti­ger Punkt, denn viele WGs denken zunächst, sie müss­ten die Miet­kos­ten für ihren neuen Mit­be­woh­ner aus eige­ner Tasche bezah­len. Doch genau das wollen wir nicht. Statt­des­sen gibt es ver­schie­dene Finan­zie­rungs­mög­lich­kei­ten: Zuerst einmal gibt es bestimmte Bun­des­län­der, in denen eine dezen­trale Unter­brin­gung geför­dert wird, dort kann man eine Kos­ten­über­nahme bean­tra­gen. Das geht natür­lich nur bei Geflüch­te­ten, die legal in Deutsch­land leben. Die zweite Mög­lich­keit ist das so genannte »Mikro­fun­ding«, das heißt, die WG-Bewoh­ner sam­meln Spen­den in ihrem Freun­des- und Bekann­ten­kreis. Sollte das nicht klap­pen, ist auch ein Mikro­fun­ding über unsere Home­page mög­lich: Wir ver­mit­teln die jewei­lige WG dann an Men­schen, die sich in unse­rer Daten­bank als Spen­der regis­triert haben.

Eure Homepage richtet sich an Leute, die »den Umgang mit geflüchteten Menschen in Deutschland nicht gut finden«. Was genau läuft schief in der deutschen Flüchtlingspolitik?

Jonas: Unsere der­zei­ti­gen Gesetze hin­dern geflüch­tete Men­schen daran, in Deutsch­land anzu­kom­men. Da sind zum einen die bereits ange­spro­che­nen Mas­sen­un­ter­künfte, in denen Men­schen auf engs­tem Raum zusam­men­ge­pfercht werden. Wenn so viele Men­schen aus ver­schie­de­nen Län­dern, Kul­tu­ren und Reli­gio­nen in einer so depri­mie­ren­den Umge­bung und ohne Beschäf­ti­gung zusam­men leben, ist es kein Wunder, wenn es dort mit­un­ter zu Streit kommt. Dar­über hinaus bekom­men Geflüch­tete teil­weise jah­re­lang keine Arbeits­er­laub­nis, obwohl die meis­ten von ihnen sehr gerne arbei­ten würden. Das wie­derum för­dert das Vor­ur­teil vom Geflüch­te­ten als »Sozi­al­schma­rot­zer«, der auf Kosten des deut­schen Sozi­al­staats leben will. Dabei ist das völ­li­ger Quatsch: Nie­mand ver­lässt für Hartz IV sein Hei­mat­land und seine Familie.

Was entgegnest du Leuten, die der Meinung sind, Deutschland könne nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen?

Jonas: Deutsch­land kann defi­ni­tiv noch mehr Flücht­linge auf­neh­men! Es gibt so viele Länder, die viel ärmer sind als Deutsch­land und deren Flücht­lings­zah­len die von Deutsch­land um ein Viel­fa­ches über­stei­gen. Als rei­ches Land ist es unsere Pflicht, diesen Men­schen zu helfen. Abge­se­hen davon sind viele Flücht­lings­be­we­gun­gen von Europa mit ver­ur­sacht. Bei­spiels­weise sind auf dem afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent die Folgen der Kolo­nia­li­sie­rung noch deut­lich spür­bar und auch heute ist der hohe euro­päi­sche Lebens­stan­dard nur dadurch mög­lich, dass in er in vielen afri­ka­ni­schen Län­dern extrem nied­rig ist. Davor die Augen zu ver­schlie­ßen und die Gren­zen dicht zu machen, wäre unmensch­lich. Wenn ich dann das Wort »Wirt­schafts­flücht­ling« höre, werde ich sauer: Jemand ist ein hohes Risiko ein­ge­gan­gen und aus seinem Hei­mat­land geflo­hen, hat Fami­lie und Freunde zurück­ge­las­sen. Da habe ich doch nicht das Recht dar­über zu urtei­len, ob diese Flucht nun berech­tigt war oder nicht.

Bei euch in der WG ist gerade ein Zimmer frei, ihr wollt spen­den oder ein­fach nur mehr Infor­ma­tio­nen über das Projekt?

facebook.com/fluechtlingewillkommen

  • Flüchtling; WG; Flüchtlingspolitik; Asyl; Engagement

Neueste Artikel

  • Diplom‑, Bachelor- und Masterarbeit drucken

  • Auf der Couch mit: Der köllschen Modebloggerin

  • Vom Hörsaal vor die Flimmerkiste

  • Erlesene Fundstücke: Feedern. Angeln mit dem Futterkorb

  • Das beste Magazin Deutschlands

Letzte Kommentare

  • Mythos Uni-Sex – Spree bei Unisex für alle
  • Neues Interview „Engagement gegen Alltagsbelästigung“ | Berlin Hollaback! bei Engagement gegen Alltagsbelästigung
  • Jana bei Unterwegs in Russland
  • Das Container-Prinzip: Wie eine Wohnform das studentische Leben darstellen kann | UNIGLOBALE – Das moderne Hochschulmagazin bei Wohnen in Berlin: Berliner Luftschlösser
  • Patricia bei Stipendium
Neuigkeiten
Letzte Kommentare
  • Mythos Uni-Sex – Spree bei Unisex für alle
  • Neues Interview „Engagement gegen Alltagsbelästigung“ | Berlin Hollaback! bei Engagement gegen Alltagsbelästigung
  • Jana bei Unterwegs in Russland
Werde Aktiv
  • Anmelden
  • Feed der Einträge
  • Kommentare-Feed
  • WordPress.org
  • Impressum
  • Datenschutz
  • Hochschulmarketing
  • Mediadaten
  • Teilnahmebedingungen

© 2018 by SD Media Service. All Rights Reserved.