Flucht in die Uni

Etwa 300 Geflüchtete sind zur Informationsveranstaltung an der Humboldt-Universität gekommen. © HU Berlin

Wir schaf­fen das, sagt Angela Merkel und bezieht in der Flücht­lings­krise Posi­tion. Joa­chim Gauck spricht vom »epo­cha­len Ereig­nis«. Doch schafft das unsere Gesell­schaft? Wie gehen bei­spiels­weise die Ber­li­ner Hoch­schu­len mit Geflüch­te­ten um, die ein Stu­dium auf­neh­men wollen? Ein Überblick.

Manch­mal ent­schei­det ein Stück Papier über die Zukunft eines Men­schen. Das kann ein bestä­tig­ter Asyl­an­trag, eine Arbeits­er­laub­nis oder eben ein Zeug­nis sein. Nur sind bei vielen Geflüch­te­ten all diese Posi­tio­nen unge­wiss. Da ist die Freude umso größer, wenn gerade jungen, stu­dier­wil­li­gen Geflüch­te­ten trotz­dem eine Chance gege­ben wird.

Abra­ham van Veen kann das bestä­ti­gen. »Dass eine Stu­di­en­per­spek­tive auf­ge­zeigt werden kann und im Gegen­satz zu vielen ande­ren Hoch­schul­stand­or­ten sogar prin­zi­pi­ell – mit Zustim­mung der jewei­li­gen Leh­ren­den – ein­zelne Prü­fun­gen abge­legt werden könn­ten, sorgt fast schon für Eupho­rie«, sagt van Veen, der Leiter des Stu­die­ren­den­ser­vices der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät (TU). Er muss an den Rat­su­chen­den denken, der sagte: »Atten­ding cour­ses, taking part in and lis­tening is great. And if I could even pass exams – that would be a dream!« Damit es nicht beim Traum vom Stu­dium bleibt, berät Abra­ham van Veen mit seinem Team im Rahmen des Pro­jekts »In(2)TU Berlin« Stu­di­en­in­ter­es­sierte, die geflüch­tet sind.

Zwischen Bürokratie und Pragmatik

Die Vor­teile liegen auf der hilfs­be­rei­ten Hand: Junge Neu­an­kömm­linge könn­ten Anschluss finden, sich wei­ter­bil­den und inte­griert werden. Alltag, Nor­ma­li­tät und vor allem eine Per­spek­tive, deren Fehlen viele erst aus ihren Hei­mat­län­dern getrie­ben hat, würden wirk­lich helfen.

Doch ist es so ein­fach? Wie gehen die Ber­li­ner Uni­ver­si­tä­ten – zwi­schen Büro­kra­tie und Prag­ma­tik – mit den Geflüch­te­ten um, die hier stu­die­ren wollen? Ein Über­blick zur Will­kom­mens­kul­tur der Ber­li­ner Hochschullandschaft.

Gasthörerschaft an der Humboldt-Uni

An Inter­es­sier­ten man­gelt es nicht. Etwa 300 Geflüch­tete seien am Diens­tag, den 22. Sep­tem­ber zur Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät (HU) gekom­men, schätzt Susanne Cho­lod­nicki. Eine Stunde reichte kaum, um alle Fragen zu beant­wor­ten. »Wir haben dann spon­tan eine zweite Infor­ma­ti­ons­ses­sion direkt ange­schlos­sen, damit alle, die gekom­men waren, auch die Infor­ma­tio­nen sowie die Mög­lich­keit erhiel­ten, ihre Fragen zu stel­len«, sagt die stell­ver­tre­tende Pres­se­spre­che­rin der HU. Grund für den Andrang: Die HU gibt Geflüch­te­ten ab diesem Win­ter­se­mes­ter die Mög­lich­keit, eine Gast­hö­rer­schaft zu begin­nen. So können sie ein Semes­ter lang an Vor­le­sun­gen und Lehr­ver­an­stal­tu­gen teil­neh­men – ohne Studierendenstatus.

»Die Gast­hö­rer­schaft sollte als Ein­la­dung betrach­tet werden, sich Per­spek­ti­ven für ein Stu­dium an der HU zu eröff­nen«, sagt Michael Kämper-van den Boo­gaart, Vize­prä­si­dent für Stu­dium und Inter­na­tio­na­les. »Auch wenn die Gast­hö­rer­schaft zunächst ein Über­brü­ckungs­an­ge­bot ist, wird die HU sich an allen Schrit­ten betei­li­gen, die es Flücht­lin­gen ermög­li­chen, diese Per­spek­ti­ven dann auch in einem ordent­li­chen Stu­dium erfolg­reich zu verfolgen.«

Eine Perspektive mit »In(2)TU Berlin«

Die TU möchte wie die HU eine Adresse sein, wo geflüch­tete Men­schen will­kom­men sind, unab­hän­gig davon, ob sie bereits stu­diert haben oder anfan­gen wollen. Das kos­ten­lose Gast­hö­rer­pro­gramm »In(2)TU Berlin« ermög­licht Geflüch­te­ten den Besuch von Lehr­ver­an­stal­tun­gen, im Ein­zel­fall können sogar Prü­fun­gen abge­legt werden.

»Stu­dier­wil­lige Flücht­linge sind für uns ja in erster Linie stu­dier­wil­lig, erst danach Flücht­linge«, sagt Abra­ham van Veen. Geflüch­tete hätten oft bereits einen aka­de­mi­schen Hin­ter­grund und diesen Wer­de­gang not­ge­drun­gen unter­bro­chen. »Des­halb gilt, dass für alle Stu­di­en­in­ter­es­sier­ten natür­lich eine mit­tel­fris­tige Per­spek­tive für ein regu­lä­res Stu­dium besteht, wenn die Stu­di­en­be­rech­ti­gung, die Vor­bil­dung und ins­be­son­dere die Sprach­kennt­nisse irgend­wann vor­lie­gen«, erklärt van Veen. Die Idee sei es, in der Zeit bis zu einer regu­lä­ren Bewer­bung den Abstand zum uni­ver­si­tä­ren Leben nicht zu groß werden zu lassen. Bis zum 25. Sep­tem­ber konnte mit »In(2)TU Berlin« bereits 25 Per­so­nen eine Gast­hö­rer­schaft aus­ge­stellt werden.

Vorbereitung aufs Studium

Wei­tere Ber­li­ner Hoch­schu­len, die eine Gast­hö­rer­schaft anbie­ten, sind die Hoch­schule für Wirt­schaft und Recht (HWR) und die Alice Salo­mon Hoch­schule (ASH). An der HWR sollen Geflüch­tete kos­ten­frei beim Stu­dium Gene­rale als Gast­hö­re­rin­nen oder ‑hörer teil­neh­men können. Die Anmel­dung für die Lehr­ver­an­stal­tun­gen zu Wirtschafts‑, Sozial- und Rechts­the­men, Geschichte, Kultur, Phi­lo­so­phie und Ethik erfolgt ein­fach per Mail. An der ASH können Geflüch­tete eben­falls kos­ten­frei Kurse besu­chen: Das Stu­di­en­an­ge­bot umfasst die Berei­che Soziale Arbeit, Gesund­heit und frühe Bildung.

Auch am Rande Ber­lins, in Pots­dam, sind Geflüch­tete will­kom­men. Die Uni Pots­dam bietet eine Gast­hö­rer­schaft, die laut ihrer Web­site aber einem »deut­lich erwei­ter­ten Status« ent­spricht. So können alle Ange­bote der Hoch­schule genutzt und Stu­di­en­leis­tun­gen später ange­rech­net werden. Denn ein Pro­blem der Gast­hö­rer­schaft ist, dass nur selten Scheine gemacht und Prü­fun­gen abge­legt werden können. Außer­dem sind die büro­kra­ti­schen Hürden zwar recht gering, die größte ist und bleibt aber die Sprach­bar­riere. Daher stehe bei der Uni Pots­dam auch die Sprach­aus­bil­dung und die Vor­be­rei­tung auf ein regu­lä­res Stu­dium im Mittelpunkt.

Engagement und Nachbarschaftshilfe

Es muss nicht gleich die Chance auf einen Stu­di­en­platz sein, oft fehlen grund­le­gen­dere Dinge. Bei­nahe an jeder Hoch­schule gibt es stu­den­ti­sche Initia­ti­ven, die dieses Pro­blem ange­hen und sich für Hilfs­be­dürf­tige oder Geflüch­tete ein­set­zen. »HTW hilft« ist ein Bei­spiel. Die stu­den­ti­sche Initia­tive der Hoch­schule für Tech­nik und Wirt­schaft (HTW) unter­stützt mit Sam­mel­ak­tio­nen, bei denen Klei­der, Spiel­sa­chen und Sach­spen­den zusam­men kommen, Flücht­lings­ein­rich­tun­gen in Berlin. »Die Spen­den waren schnel­ler weg als ich gucken konnte«, berich­tet Sebas­tian Winzer der Web­re­dak­tion der HTW. Der Mas­ter­stu­dent der Gebäu­de­en­er­gie- und Infor­ma­ti­ons­tech­nik ist Teil des Pro­jekts, das seit 2012 besteht und das auch eine kos­ten­lose Schü­ler­hilfe umfasst. Er hofft, dass sich noch mehr Stu­die­rende für Men­schen in ihrer Umge­bung einsetzen.

Ein Fazit

Ins­ge­samt schei­nen die Ber­li­ner Hoch­schu­len – samt Stu­die­ren­den, Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­lern sowie Ange­stell­ten – offen zu sein für die Neu­an­kömm­linge. Ein Teil reagiert auf die Situa­tion und bietet Geflüch­te­ten die Mög­lich­keit ein Stu­dium auf­zu­neh­men. Fehlt nur noch, dass andere dem Bei­spiel folgen – nicht nur Hoch­schu­len, son­dern die Gesell­schaft insgesamt.

Man ist ver­sucht mit dem Film­klas­si­ker Metro­po­lis zu sagen, Mitt­ler zwi­schen Hirn und Händen muss das Herz sein. Denn die Frage, wie wir mit Geflüch­te­ten umge­hen, betrifft auch die Art, wie und in was für einem Deutsch­land wir leben wollen.