Zuhause im freien Netz
Das gemeinnützige Projekt Freifunk bietet offenes Internet durch ein Bürgernetz an. Dafür teilen die Unterstützer ihre Bandbreite, gehen in Flüchtlingsheime oder steigen auf Dächer. In Berlin sind über 500 Router Teil des Netzwerks, das mehr sein will, als freies Wifi.
Philipp Borgers richtet auf dem Turm der Emmauskirche am Lausitzer Platz eine von acht selbstgebauten Antennen aus, für jedes Rundfenster eine. In der Spitze des über 70 Meter hohen Kirchturms installiert er an einem Oktobertag 2013 einen Router. Nichts ungewöhnliches für den heute 28-Jährigen, der eher nebenbei einen Master in Informatik an der Freien Universität macht. »Es kann schon mal sein, dass ich aus dem Bett geklingelt werde, um irgendwo auf ein Dach zu steigen und dort Router zu installieren«, sagt der Informatikstudent, der langsam-lässig wie ein Norddeutscher spricht.
Die acht Antennenträger mit neu gestartetem Router sollen den Standort an der Skalitzer Straße als wichtigen Knotenpunkt des Freifunk-Netzwerks wiederherstellen, sodass im Umfeld der Kirche und des Görlitzer Parks freies WLAN verfügbar ist. Dieses Netz besteht allein in Berlin aus über 540 Knoten, also miteinander verbundenen Routern, und wird daher BerlinBackBone genannt. Das Besondere ist, dass es von vielen Freiwilligen betrieben wird, die ihre Bandbreite teilen und beispielsweise Router am Fenster, auf dem Balkon oder der Hauswand installieren.
Das Gemeinschaftsprinzip
„Freifunk ist nicht einfach kostenfreies Wifi, sondern eine unabhängige Infrastruktur, über die Menschen ihre Internetanschlüsse teilen und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen können.“ sagt Monic Meisel, eine der Mitbegründerinnen von Freifunk, „Dabei werden Strom, Internetanschluss und Hardware von den Mitmacherinnen selbst bezahlt und bereitgestellt.“ Die 36-Jährige sitzt auf einer gemütlichen Couch im C‑Base, in dem sich die Leute von Freifunk jeden Mittwoch treffen. Überall blinken Lämpchen und Anzeigen, die Bar könnte aus Star Wars stammen. »Das Netzwerk lebt daher von Unterstützern, die ihre Router verbinden. Sonst hätten wir kein freies und selbstverwaltetes Funknetzwerk aufbauen können«, sagt Monic Meisel. Sie hat Design studiert, viele Jahre für Agenturen gearbeitet und ist mittlerweile freiberufliche Beraterin für das E‑Business. Nebenbei ist sie für Freifunk aktiv. »Probleme bereitet uns Freifunkern die Störerhaftung, da sie Leute abschreckt und davon abhält, ihren Router fürs Freifunknetz zur Verfügung zu stellen«, sagt sie. »Rechtlich ist es aber unbedenklich und alles im grünen Bereich«, erklärt Monic, »Es gilt das sogenannte Providerprivileg. Wer seine Bandbreite teilt, ist selbst Provider und muss als Übermittler nicht für Inhalte einstehen, die er nicht selbst erstellt hat.«
»Ein vielschichtiges Projekt«
Freifunk gibt es als Initiative seit 2001, zwei Jahre später wurde der Verein gegründet, um nicht-kommerzielle drahtlose Kommunikation in der Öffentlichkeit zu fördern. Philipp Borgers engagiert sich seit zweieinhalb Jahren bei Freifunk. »Mit der Erweiterung des Netzes könnte man ja sein ganzes Leben verbringen«, sagt Philipp, der von einfachen Installationen wie an Balkonen bis zu aufwendigeren, zum Beispiel auf Dächern, alles mitgemacht hat. »Es ist ein super vielschichtiges Projekt und wir haben eine gute Atmosphäre«, sagt Philipp. Er moderiert auch Freifunk-Treffen im C‑Base, zu denen etwa 15 Leute kommen. »Wir sind eine Gruppe Berliner Enthusiasten. Schön wäre es, wenn noch mehr Leute mitmachen würden, sodass wir die Aufgaben in der Community besser verteilen können.«
Die etwas andere Flüchtlingshilfe
Seit zwei Monaten koordiniert Freifunk im digitalen Bereich Hilfe für Flüchtlinge. »Es gibt ein Grundbedürfnis nach Kommunikation, à la my home is where Wi connects automatically«, sagt Monic Meisel, »Daher wollen wir auch Flüchtlingsheime mit unserem Netz abdecken und mit Konnektivität versorgen.« Spontan haben sich alle Freifunk-Gruppen entschlossen, bei dem Projekt zu helfen. Die Leute vor Ort können eh am schnellsten die Infrastruktur für Netzwerke hochziehen, sagt Monic. Tom Oberhauser und Max Wagenbach studieren beide Medieninformatik an der Beuth Hochschule. Sie sind seit Neuestem dabei und erst über die Flüchtlingshilfe zu Freifunk gekommen. »Ich war bei einem Unterstützertreffen von Weißensee hilft. Durch eine Freundin bin ich so zu Freifunk gekommen«, sagt Tom, der einen Kapuzenpullover vom Chaos Communication Camp trägt. »Mein Ziel ist es nun, das Flüchtlingsheim in der Bühringstraße in Weißensee mit WLAN zu versorgen«, sagt der 30-Jährige. Sein Kommilitone Max möchte Ähnliches in Wilmersdorf erreichen. »Mit dem Heimleiter am Fehrbelliner Platz haben wir bereits gesprochen. Das sollte klappen«, sagt der 21-Jährige. So einfach ist es allerdings nicht immer. Der Heimleiter in Weißensee hat sich dagegen entschieden: »Daher überlegen wir mit der Kunsthochschule Weißensee zu kooperieren und von deren Dach rüber zu funken«, sagt Tom und trinkt einen Schluck Mate. Wenn es über A nicht funktioniert, geht man eben über B.
Freifunken
Um eure Bandbreite zu teilen, nehmt Kontakt zur lokalen Freifunk-Gruppe auf. Dort bekommt ihr Hilfe und erfahrt, ob euer Router von der Firmware unterstützt wird. Diese spielt ihr auf euer Gerät und entscheidet, wie viel Bandbreite ihr zur Verfügung stellen möchtet. Der Router kann auch auf zwei Frequenzen senden: ein privates Heimnetzwerk und ein offenes Freifunk-Netzwerk.
C‑Base
Auf dem zweiten Hinterhof in der Rungestraße 20, mit Blick auf die Jannowitzbrücke, befindet sich dieser Szene-Treffpunkt für Entwickler und Computerfreunde. Man betritt das C‑Base durch einen Röhrengang, wie in einem Raumschiff, und gelangt so zu Bar, Seminarräumen und der »Member Area«. Es wird seit 1995 von einem gemeinnützigen Verein betrieben.