Was meint Berlin zur Uni?

In der Ber­li­ner Hoch­schul­po­li­tik ging es diesen Sommer heiß her. Finanz­se­na­tor Thilo Sar­ra­zin wollte Hun­derte von Mil­lio­nen Euro an den drei Ber­li­ner Uni­ver­si­tä­ten einsparen.

Diese reagier­ten erzürnt, droh­ten zum Bei­spiel mit Schlie­ßung des Bota­ni­schen Gar­tens und tota­lem Zulas­sungs­stopp. Das vor­läu­fige Ende vom Lied: Kaum noch ein Fach an den Ber­li­ner Hoch­schu­len ist NC-frei, mit mehr Per­so­nal muss wohl erst­mal nicht gerech­net werden, eher mit weni­ger. An die schlechte Situa­tion eini­ger Biblio­the­ken mag man da gar nicht erst denken… Und Herr Wowe­reit bringt wieder das Thema Stu­di­en­ge­büh­ren ins Spiel. Da kommt man als Stu­den­tIn schon ins Grü­beln — soll­ten nicht noch viel mehr Leute eines Jahr­gangs stu­die­ren? Müssen die jetzt alle ein Einser-Abi machen? Sollen wir alle schnel­ler fertig werden mit dem Studium?

Das sind unsere Pro­bleme — aber was denken eigent­lich die übri­gen Ber­li­ner, die nichts mit der Uni zu tun haben, über diese Dinge? Denken sie über­haupt dar­über nach oder hat Wis­sen­schaft keine Bedeu­tung in ihrem Leben? Immer­hin finan­zie­ren sie uns ja, sofern sie Steu­ern zahlen. Und wir können noch davon leben, es gibt das BaföG und außer den berühm­ten 50 Euro “Ver­wal­tungs­ge­büh­ren” quasi ein Gratis-Stu­dium. Da muss man für einen Kita-Platz schon bedeu­tend tiefer in die Tasche greifen…

Wir haben uns an einem ganz nor­ma­len Tag an einen ganz nor­ma­len Ort in Berlin gestellt — vor den S‑Bahnhof Schön­hau­ser Allee — und nicht-stu­den­ti­sche Pas­san­ten gefragt, was sie über die Uni­ver­si­tä­ten, die Ein­spa­run­gen, das (stu­den­tisch-geprägte?) Stadt­bild und über uns Stu­die­rende denken. Gibt es immer noch das Vor­ur­teil von dem faulen Party-Macher und Rum­dis­ku­tie­rer, der nicht vor 12 Uhr aufsteht?

Über­rascht hat uns dann doch die ins­ge­samt gute Mei­nung über Stu­die­rende und die ein­hel­lige Ableh­nung des Spa­rens an der Bildung.

Marie, 17, Schü­le­rin: “Im Ver­gleich mit Ame­rika geht’s den Stu­den­ten hier gut…”

“Berlin ist eine große Stadt, eine große Aus­wahl an den Unis finde ich okay. Aller­dings sind die NCs krass, man kriegt ja kaum noch einen Stu­di­en­platz. Wer sich die Arbeit mit dem Abi macht, sollte auch stu­die­ren können. Von meinem Bruder weiß ich, dass sich ein Stu­dent nicht mehr so viel Zeit nehmen kann, son­dern er muss sich ganz schön beei­len. Hier ist das Stu­die­ren ja kos­ten­los. In Ame­rika ist das anders. Ich habe da eine Weile gelebt und weiß, wie viel tau­send Euro da ein Semes­ter kosten kann. Ich würde sagen: im Ver­gleich zur Kita sollte das Stu­dium etwas mehr kosten.”

Ahmed, 18, Abitu­ri­ent: “Die Uni-Leis­tung sollte schon bezahlt werden…”

“Uni ist wich­tig, egal wie viel man dafür aus­gibt. Die Leis­tung, die man dort bekommt, sollte schon bezahlt werden. Man kann doch dafür neben der Uni arbei­ten oder die Eltern sollen zahlen.”

.

Ein wei­te­rer Mann, 68, Rent­ner (früher in einem Forst­be­trieb) aus Gru­ne­wald (wollte anonym blei­ben) meinte:

“Wissen ist Macht! Wir sind doch nach dem Krieg hier in Berlin von “Bauer Leh­mann” geschult worden — wissen Sie, was uns jetzt fehlt? Ich kann nicht rich­tig lesen und schrei­ben! Hab’s aber trotz­dem zu was gebracht. Aber an der Bil­dung zu sparen ist nicht rich­tig, da soll­ten die lieber die Diäten kürzen. Wenn alle Penner sind, geht’s doch nicht! Ich kenne keine Stu­den­ten, aber die werden schon flei­ßig sein, wenn sie nicht bekloppt sind. Ist doch in ihrem eige­nen Inter­esse. For­schung inter­es­siert mich sehr, Tech­nik — Geis­tes­wis­sen­schaf­ten eher nicht.”

Mela­nie, 16, Azubi Zahn­arzt­hel­fe­rin: “Der NC ist okay, schließ­lich sollen die Guten studieren…”

“Das mit dem NC ist schon O.K., es sollen doch die guten Leute stu­die­ren. Ich weiß gar nicht — Stu­den­ten krie­gen keinen Lohn, oder? Nein, sie soll­ten nicht für ihre Aus­bil­dung zahlen — wovon denn? Irgend­wie wird immer an den fal­schen Stel­len gespart. Bei den Stu­den­ten gibt es sicher, wie in der Schule auch, zwei Grup­pen: Die einen sind flei­ßig, die ande­ren faul und haben keinen Bock.”

Ein rei­fe­rer Herr ist uns leider vor dem Foto­gra­fie­ren in die Stra­ßen­bahn ent­wischt. Aber seine Mei­nung ist inter­es­sant und soll euch nicht vor­ent­hal­ten werden:

“Drei Uni­ver­si­tä­ten zu haben ist rich­tig — es kann nie genug Uni­ver­si­tä­ten geben! Wenn man für Krieg und Profit ist, mag das rich­tig sein, Geld bei den Unis ein­zu­spa­ren. Aber ich bin fürs Leben!

Ich bin strikt gegen Stu­di­en­ge­büh­ren. Die sind abso­lu­ter Quatsch. Dafür zu arbei­ten? Meine Toch­ter hat wäh­rend des Stu­di­ums am Flug­ha­fen gear­bei­tet, weil das BaföG nicht aus­reichte, und dabei viel Zeit ver­lo­ren. Die Kosten sind der all­ge­meine Anteil der Gesell­schaft an der Bil­dung, egal ob Kita oder Uni. Und das Geld ist da, nur nicht rich­tig ver­teilt. Mein Stand­punkt ist, dass das jugend­li­che Alter dafür da ist, dass man wächst, es sollte nicht vom Geld abhän­gen, welche Mög­lich­kei­ten man hat.”

Ute, 43, Ver­käu­fe­rin, Pankow: “Stu­di­en­ge­büh­ren kann man nicht mit Kita­ge­büh­ren vergleichen!”

“Die Stadt gewinnt durch die Stu­den­ten, es wird leben­di­ger. Wenn die Aus­bil­dung gut ist, bedeu­tet das auch für Berlin einen bes­se­ren Ruf auf dem Welt­markt. Ich denke, dass hier die drei Uni­ver­si­tä­ten gut sind. Schließ­lich sind ver­schie­dene Fach­rich­tun­gen nötig. So ist “Sparen an der Zukunft” Sparen am ver­kehr­ten Ende. Vor­stel­len könnte ich mir Stu­di­en­ge­büh­ren, aber eigent­lich sollte Bil­dung kos­ten­los bleiben.

Mit der Kita kann man das nicht ver­glei­chen — das ist doch vor allem Betreu­ung, nicht so sehr Bil­dung. Die Bei­träge sind aus­ser­dem noch nach dem Ein­kom­men gestaf­felt und Essen usw. ist auch noch mit drin. Über die Stu­den­ten bin ich geteil­ter Mei­nung: Es gibt bestimmt so’ne und solche. Die jungen Leute soll­ten das Stu­dium in ange­mes­se­ner Zeit zu Ende brin­gen, aber man­cher braucht halt länger — in der Schule hängt man ja manch­mal auch ein Jahr dran.”

Petra, 45, Psy­cho­lo­gin, mit 2 stu­die­ren­den Kin­dern, Potsdam:

Klar braucht Berlin drei Uni­ver­si­tä­ten. Es ist Haupt­stadt und Lernen kann man ja schließ­lich nie genug. Daß jetzt gespart werden muss, kann man auch als Chance sehen. Denn dabei stellt sich die Frage: Was brau­chen wir wirk­lich? Nicht für die Selbst­dar­stel­lung der Pro­fes­so­ren oder der Uni­ver­si­tä­ten, son­dern wirk­lich für die Stu­den­ten. Man muss genau hin­schauen und nicht das Gieß­kan­nen­prin­zip anset­zen. Leider denken dabei die Poli­ti­ker nicht über ihre Wahl­pe­ri­ode hinaus. Nicht Sparen, koste es was es wolle, son­dern ein Denken an die Gegen­wart und auch an die Zukunft sollte in deren Köpfen sein. Ich bin gene­rell dage­gen an der Jugend zu sparen, weder Kita noch Stu­dium soll­ten etwas kosten. Stu­di­en­ge­büh­ren sind der fal­sche Weg, die Leis­tung sollte zählen. Es ist selten, dass ein junger Mensch direkt ziel­ge­rich­tet ist, aber die Frei­heit aus­zu­pro­bie­ren ist wich­tig. Es wäre gut, wenn sich ein Stu­dent in der Mitte des zwei­ten Stu­di­en­jah­res auf das Stu­die­ren kon­zen­trie­ren würde.

Frauke Luchow, Meike Bratz, Sarah Ludwig