Studieren in Dublin

Ein Jahr gewar­tet, immer drüber gere­det, viel davon geträumt und dann ging’s wirk­lich los: Mitte Sep­tem­ber machte ich mich auf den Weg in das Land des euro­päi­schen Tigers: Irland.

Alles, was ich davor über dieses Eiland wusste, beschränkte sich auf ver­klärte Ste­reo­ty­pen und eine Hand voll Basis­ge­schichts­wis­sen, zusam­men­ge­klaubt aus mehr oder weni­ger schlech­ten Reiseführern.

Ich erwar­tete also ein Völk­chen pri­mi­tiv leben­der Euro­päer, die Schafe züch­ten, abends ein oder zwei Guin­ness trin­ken und deren IRA sich die Ein­heit Irlands zusam­men­bombt. Bel­fast war für mich eine Stadt, besie­delt mit poten­ti­el­len Bom­ben­le­gern und Dublin eigent­lich nur vom Hören­sa­gen in meinem Bewusst­sein. Die Sache mit dem kel­ti­schen Tiger nahm ich bis zu jenem Tag nicht so ernst, sie wollte auch so gar nicht in mein Bild der zwi­schen grünen Hügeln umher­lau­fen­den Schafe passen oder wie sollte ich mir Chip­fa­bri­ken statt Schaf­her­den vorstellen.…

Nach einer unend­lich langen Reise mit dem Auto von Berlin über Groß­bri­tan­nien kam ich am Morgen des 13. Sep­tem­ber end­lich in Dublin an. Was folgte war eine Odys­see aus Ereig­nis­sen: Die Woh­nungs­su­che!! 11 Monate im Jahr ist die Woh­nungs­si­tua­tion in Dublin ziem­lich ent­spannt. Dann jedoch, kurz vor dem iri­schen Stu­di­en­be­ginn im Okto­ber, begin­nen Heer­scha­ren von Eras­mus­stu­den­ten und ein Teil der immer noch Woh­nungs­lo­sen iri­schen Iren, sich auf die weni­gen freien Woh­nun­gen zu stür­zen. Die Suche nach Zim­mern oder gar ganzen Häu­sern artet somit zu einer wirk­li­chen “Erfah­rung” aus… Gene­rell gilt, dass man bei seiner zukünf­ti­gen Behau­sung nicht von deut­schen Stan­dards aus­ge­hen darf. Die Preise gehen für das ein­fachste Zimmer bei €250 los und lassen sich leicht auf €500 stei­gern. Ein Zimmer als Unter­mie­ter bei einer Fami­lie zu erhal­ten, ist weit­aus ein­fa­cher und bil­li­ger. Strom und Hei­zung sind zudem inklusive.

Was man in Irland jedoch unter “Heizen” ver­steht, weicht doch sehr von unse­rem Ver­ständ­nis dar­über ab. 2 Stun­den mor­gens und 2 Stun­den Abends, mehr gibt es meis­tens nicht. Manche hatten das Glück, dass Sie die Hei­zung allein steu­ern konn­ten, über einen Auto­ma­ten im Trep­pen­haus, der pro Stunde ein Pfund­stück schluckte. Nach der Euro­ein­füh­rung konnte man die immer glei­chen Pfund­stü­cke beim Ver­mie­ter kaufen, der den Auto­ma­ten natür­lich nicht umstellte. Obwohl die Appar­te­ments in der Uni vor meiner Anreise von ehe­ma­li­gen Aus­tausch­stu­den­ten mit Gefäng­nis­sen ver­gli­chen wurden und mir daher von einer Bewer­bung für diese abge­ra­ten wurde, sehnte sich doch so man­cher nach der Ankunft nach einem warmen Zimmer auf dem Campus.

Nach­dem ich das Glück hatte, mit eini­gen ande­ren netten Stu­den­ten ein klei­nes Haus gefun­den zu haben, wurde die Uni zum Zen­trum unse­res All­tags. “Meine” Uni war die DCU, was für Dublin City Uni­ver­sity steht. Die jüngste iri­sche Uni ist, wie im anglo-ame­ri­ka­ni­schen Raum üblich, in Campus-Form ange­legt. Obwohl das Flair der Gebäude nicht mit dem der alt­ehr­wür­di­gen Innen­stadtuni­ver­si­tät, dem Tri­nity, mit­hal­ten kann, über­zeugte doch das groß­ar­tige Ange­bot der agilen und auf­stre­ben­den Uni­ver­si­tät. Sowohl Bank als auch Lebens­mit­tel­la­den, Rei­se­büro, ein gut aus­ge­stat­te­ter Sports­kom­plex, eine her­vor­ra­gende Biblio­thek und natür­lich der uniei­gene Pub run­de­ten das posi­tive Gesamt­kunst­werk DCU ab. Dane­ben werden an den iri­schen Unis Unmen­gen von Clubs und Socie­ties ange­bo­ten, die nicht nur sport­li­chen Akti­vi­tä­ten nach­ge­hen. Für einen Jah­res­bei­trag von 2 Euro wird man schnell Mit­glied in einem Dut­zend von Clubs und füllt so seine Frei­zeit sehr gut aus.

“Chipfabriken statt Scharfherden”

ISo bot die Kino­ge­mein­schaft wöchent­lich vier Filme an und die ande­ren Socie­ties boten neben dem wöchent­li­chen Akti­vi­tä­ten Wochen­end­trips in alle Ecken Irlands an. Gerade für Leute, die nicht über ein eige­nes Auto ver­füg­ten und zudem noch nicht über 21 Jahre alt waren, also noch kein Auto in Irland aus­lei­hen konn­ten, bot sich so eine gute Gele­gen­heit zum Erkun­den der Insel.

Die Kurse an den iri­schen Uni­ver­si­tä­ten sind mehr auf prak­ti­sche Anwen­dun­gen des Lehr­stof­fes aus­ge­legt. Grup­pen­ar­bei­ten und Prä­sen­ta­tio­nen sind des­halb in fast allen Kursen obli­ga­to­risch. Doch gerade hier macht sich der extreme Alters­un­ter­schied zwi­schen Iren und Aus­län­dern bemerk­bar. Die Iren begin­nen ihr Stu­dium mit 18 Jahren und haben mit 21 ihren ersten Abschluss in der Tasche, aus­län­di­sche Stu­den­ten kommen mit diesem Alter frü­hes­tens nach Irland. Nichts desto trotz machte gerade die Grup­pen­ar­beit das Stu­dium für uns Ber­li­ner Stu­den­ten wieder zu einem Erleb­nis. End­lich konnte man das anwen­den, was man an trock­ner Theo­rie in Berlin ein­ge­paukt bekom­men hatte. Auf der ande­ren Seite ließen die Iren jedoch viel vom grund­le­gen­den Ver­ständ­nis der Dinge ver­mis­sen, da Ihnen die not­wen­dige Theo­rie vorher nur sehr ober­fläch­lich nahe gebracht wurde.

Die Stadt Dublin an sich ist geprägt von vielen in Sied­lungs­form ange­leg­ten Rei­hen­häu­sern, welche den Außen­be­zir­ken eine gewisse Mono­to­nie ver­lei­hen. Die Rei­hen­haus­fron­ten in der Innen­stadt werden durch die soge­nann­ten Dublin-Doors etwas auf­ge­lo­ckert. Dar­un­ter ver­steht man durch cle­vere Haus­be­sit­zer anders­far­big gestri­chene Haus­tü­ren, die jedes Haus auf diese Weise ein­zig­ar­tig erschei­nen lassen. Ein buntes Gemisch der unty­pischs­ten Woh­nungs­tür­far­ben durch­zieht so weite Teile der Stadt. Die weni­gen Prunk­bau­ten und damit Sehens­wür­dig­kei­ten der Stadt sind schnell besichtigt.

Doch was dann noch bleibt, ist schon schwie­ri­ger zu bewerk­stel­li­gen: die unzäh­li­gen Pubs in Dublin! Jedes für sich stellt ein Unikum dar und strahlt eine eigene Atmo­sphäre aus.

Schnell ver­stand ich, wes­halb der Pub als das ver­län­gerte Wohn­zim­mer der Iren ange­se­hen wird. Nicht nur die junge Genera­tion zieht es ab halb sieben zu einem oder meh­re­ren Bieren in die Innen­stadt oder das nächst­ge­le­gene hei­mi­sche Pub, auch lie­be­voll das “Local” genannt. In ent­spann­ter Atmo­sphäre lässt man dort den Tag Revue pas­sie­ren, hört Live-Musik oder unter­hält sich ange­regt. Mehr als zehn Minu­ten steht hier keiner allein an der Theke, dafür sorgen schon die auf­ge­schlos­se­nen Iren, die immer für einen Plausch zu haben sind.

Beson­ders bekannt ist Dublin momen­tan auch für sein sehr umtrie­bi­ges Night­life. Das Sze­ne­vier­tel heißt Temple Bar, ist direkt im Herzen der Stadt gele­gen und quillt jeden Abend über von Tou­ris­ten und Ein­hei­mi­schen. Das Beson­dere und für Ber­li­ner Ver­hält­nisse nicht Denk­bare ist dabei, dass ab sieben Uhr durch­aus schon beste Stim­mung in den Pubs herr­schen kann — nicht ohne Grund, denn gegen halb zwölf gehen in den meis­ten Pubs die Lich­ter aus, in den Nacht­clubs spä­tes­tens um 3 Uhr. Wer dann noch auf ein Taxi ange­wie­sen ist, hat nicht selten über eine Stunde darauf zu warten — iri­sche Ver­hält­nisse eben. Taxis halten zu dieser nächt­li­chen Stunde nur an weni­gen bestimm­ten Stel­len in der Stadt und dort wird dann eben ange­stan­den. Eine etwas andere Art von Lebens­weise ver­setzte uns Aus­län­der immer wieder in Erstaunen.

Das monat­li­che Zahlen der Miete artete in einen Akt unbe­kann­ter Größe aus. Für unse­ren Ver­mie­ter war nur Bares Wahres und so muss­ten wir ihn jeden Monat anru­fen und freund­lich bitten, unsere Miete doch zu kas­sie­ren. Dieser ließ sich damit meist meh­rere Tage Zeit, so dass wir immer mit einem Geld­sack unterm Bett schla­fen muss­ten. Nicht dass wir unser Geld unbe­dingt los­wer­den woll­ten, aber im ein­bruch­ge­fähr­de­ten Norden der Stadt hat man nicht gerne grö­ßere Mengen davon im Haus.

Die Sicher­heits­vor­keh­run­gen in Dublin waren etwas, woran wir uns am Anfang sehr gewöh­nen muss­ten. Alle Häuser in Dublin sind aus ver­si­che­rungs­tech­ni­schen Grün­den mit Alarm­an­la­gen aus­ge­stat­tet. Zudem ver­fügt die Uni­ver­si­tät über einen eige­nen Wach­dienst, der die Uni­ge­bäude mit Hilfe von über 150 Kame­ras über­wacht. Man konnte sich also posi­tiv aus­ge­drückt rela­tiv sicher auf dem Campus bewe­gen, wenn auch nie­mals unbemerkt …

“… der uni-eigene Pub rundet den Gesamteindruck ab”

Neben Dublin als Haupt­stadt ist es aber doch die Land­schaft, die Irland zu einem beson­de­ren Stu­di­en­erleb­nis macht. Natür­lich spielt dabei das Wetter die größte Rolle, denn nie­mals erstrahlt das Grün so saftig, wie in einem früh­lings­haf­ten Son­nen­schein. Doch allen Gerüch­ten zum Trotz, über­raschte mich das iri­sche Wetter mit milden Tem­pe­ra­tu­ren, weni­gen und wenn dann nur sehr kurzen Regen­schau­ern und nie­mals mit Tem­pe­ra­tu­ren unter­halb der Null­grad­grenze. Nichts­des­to­trotz machte uns Aus­län­dern der teil­weise hef­tige Wind zu schaf­fen. An dieser Stelle muß noch auf das schein­bar unter­schied­li­che Wär­me­emp­fin­den der Iren ein­ge­gan­gen werden. Dieses äußert sich nicht nur an man­geln­der Heiz­dis­zi­plin, nein, auch schei­nen die Iren im All­ge­mei­nen jede Tem­pe­ra­tur um zehn Grad wärmer wahr­zu­neh­men, als es ihre aus­län­di­schen Mit­bür­ger tun. Diese her­vor­ra­gende Eigen­schaft äußert sich dann beson­ders, wenn die Rest­eu­ro­päer mit Win­ter­stie­feln und Schal beklei­det durch die Stadt mar­schie­ren und die Iren mit San­da­len und T‑Shirt an uns vorbeieilen.

Ein Semes­ter und mehr in Dublin ist alles in allem sehr emp­feh­lens­wert. Nicht nur die kom­pakte Form der Innen­stadt Dub­lins und die immer freund­li­chen Iren sind für Ber­li­ner über­aus ange­nehm. Man fühlt das Flair einer Haupt­stadt und genießt die Atmo­sphäre eines Dorfes. Schon bald fühlt man sich hei­misch. Und wenn man einem Bekann­ten auf einer der beiden großen Ein­kaufs­stra­ßen Dub­lins begeg­net, lächelt man nur noch milde über die Tou­ris­ten: man selber ist hier für den Moment zumin­dest zu Hause!