Kuba: Zwei Semester Sozialismus
Dass die üblichen Klischees, die man über Kuba, die größte der Karibikinseln im Kopf hat, nicht zutreffen würden, hatte ich vor der Abreise erwartet. Ich hatte überhaupt nicht vor, die zwei Semester, die ich dort verbringen wollte, als verlängerten Strandurlaub anzusehen. Verschiedene Warnungen von Bekannten, die bereits dort gewesen waren, es würde nicht einfach werden, konnten mich ebenfalls nicht abschrecken und so flog ich im nach Havanna, um dort Literaturwissenschaften zu studieren.
Die erste große Umstellung war das Klima, eine unglaubliche Hitze mit extrem hoher Luftfeuchtigkeit, an das ich mich, wenn überhaupt, erst nach einigen Wochen gewöhnte. Auch das zwischenmenschliche Klima ist so ziemlich das exakte Gegenteil von der deutschen, oder, wenn es das gibt, einer europäischen Mentalität: Wird man hier auf der Straße bestenfalls ignoriert, wenn nicht gar angerempelt, so ist es in Kuba völlig normal, Passanten zu kommentieren und kennenzulernen. Das empfand ich einerseits als sehr freundlich und offen, andererseits auch als anstrengend. Ist man als Frau alleine auf der Straße unterwegs, so wird man zwangsläufig ununterbrochen und zum Teil auch aufdringlich von Männern angesprochen. Hinzu kommt die Erfahrung, durch die weiße Hautfarbe tendenziell eine Ausnahme darzustellen, und so begannen Gespräche auf der Straße oft mit einem „Hey, Blanca!“
Andere Art von Armut
Das Verhältnis von Kubanern zu Touristen und Ausländern ist dabei nicht einfach. Wenn auch in Kuba niemand Hunger leiden oder auf der Straße leben muss, herrscht doch eine große Armut. Dazu gehört auch die Lebensmittelknappheit – mal gibt es genügend und ausgewogenes Essen auf die vom Staat zugeteilte Lebensmittelkarte („libretta“), mal auch über Wochen hinweg nicht. Zwar gibt es auch Supermärkte, die viele Lebensmittel für Dollar anbieten. Die Preise liegen dabei etwa auf europäischem Niveau, was bei einem üblichen offi ziellen Monatsgehalt von umgerechnet drei bis acht Dollar eher den Touristen als den Einheimischen zugute kommt. Miete muss auch niemand bezahlen, da der Wohnraum nach der Revolution nach Bedarf verteilt wurde. Der Tatsache, dass sich inzwischen die Personenzahl der Familien stark verändert hat, und dadurch manmanche Paare in weiträumigen Villen, andere Großfamilien in winzigen Wohnungen zusammengepfercht leben, wird keine Rechnung getragen. Das oft gelobte kostenlose Bildungs- und Gesundheitssystem ist zwar für ein Dritte-Welt-Land eine Besonderheit. Dennoch nützen die gut ausgebildeten Ärzte wenig, wenn kein Geld für Medikamente vorhanden ist.
Als privilegierte Ausländerin konnte ich es mir leisten, ein Zimmer bei einer Familie zu mieten. WGs existieren nahezu nicht, und die meisten kubanischen Studenten leben entweder bei ihren Eltern oder in den Studentenwohnheimen, die etwas außerhalb der Stadt liegen, wo sie sich teilweise mit sieben anderen Personen ein Zimmer teilen. Ein Freund aus Berlin, der in einem von diesen zur gleichen Zeit untergebracht war, erzählte abenteuerliche Geschichten von ausschweifenden Partys und Vogelspinnen im Flur.
Studieren mit Galgenhumor
Den Unibetrieb habe ich als sehr anspruchsvoll und dabei familiär und herzlich empfunden. Doch auch hier fehlt das Geld an allen Ecken und Enden, so wurden in Seminaren der Deutsch-Studenten zum Teil alte DDR-Schulbücher verwendet. Auch die Berufsaussichten für Hochschulabgänger sind alles andere als rosig, oder deutlicher: Es gibt keinerlei verlockende Perspektiven, was bei den Studenten zu einer gewissen Resignation und einer Art Galgenhumor führt. Während die universitäre Ausbildung für Kubaner umsonst ist, müssen ausländische Studenten Studiengebühren bezahlen. Diese sind jedoch vergleichsweise erschwinglich und werden von den niedrigen Lebenshaltungskosten ausgeglichen. Auch verschiedene Austauschprogramme nach Havanna werden von den Berliner Unis angeboten. Insgesamt war das Jahr eine bereichernde und interessante Erfahrung, von der Schönheit der Stadt ganz zu schweigen. Ehrgeizigen Studenten, die in erster Linie inhaltlich weiterkommen wollen, ist allerdings klar von Havanna abzuraten.