Der Medienprofi

Im Sommer wäre Orson Welles 95 gewor­den. Im Okto­ber war sein 25. Todes­tag. Im Radio, im Thea­ter und im Kino hin­ter­ließ Welles seine Spuren.

auf Bühne, im Kino und im Radio. Illustration: Hannes Geipel
Die Illus­tra­tion fer­tigte Hannes Geipel spe­zi­ell für diesen Bei­trag an.

Wer Orson Welles ver­ste­hen will, kommt um Shake­speare nicht herum. Shake­speares Werke haben ihn sein gesam­tes Leben beglei­tet, und Welles brauchte nicht unbe­dingt eine Thea­ter­bühne, um sie würdig zu prä­sen­tie­ren, er trug sie gern vor: in gesel­li­ger Runde, in einer Radio­sen­dung oder vor der Kamera. Schon in der Schule insze­nierte Orson Welles Shake­speare-Stücke. Später brachte er den „Voodoo-Mac­beth” auf eine New Yorker Thea­ter­bühne und wenig später „Caesar”, das als eine der bedeu­tends­ten Shake­speare-Insze­nie­run­gen auf US-ame­ri­ka­ni­schem Boden gilt.

Eine Stimme fürs Radio

Neben den Erfol­gen auf der Thea­ter­bühne war Welles in den 1930er Jahren eine mar­kante Stimme im Radio. Seine Hör­spiele und zahl­rei­che Sen­dun­gen lebten von seiner Mit­wir­kung. Obwohl noch jung an Jahren, besaß seine Stimme bereits die Tief­grün­dig­keit und die Auto­ri­tät gestan­de­ner Männer, und er sprach oft solche. Das Mar­kante an Welles‘ Stimme sind ihre Sub­stanz, ihre Ener­gie, ihre Tiefe. Sein Wis­con­sin-Akzent gab der Stimme genü­gend Natür­lich­keit, ohne an Ver­ständ­lich­keit zu ver­lie­ren. Es wäre banal, Orson Welles‘ frühe Erfolge nur auf seine Stimme zu redu­zie­ren. Aber sie ver­lieh ihm die Prä­senz, die eine Bühne ver­langt und die im Radio unver­zicht­bar ist.

Mit seinem ehe­ma­li­gen Schul­lei­ter gab Welles eine Shake­speare-Edi­tion unter dem pro­gram­ma­ti­schen Titel „Everybody’s Shake­speare” heraus. Wie frei Orson Welles Shake­speare-Texte bear­bei­tet, zeigt seine leben­dige „Macbeth”-Verfilmung (1948). Zahl­rei­che Pas­sa­gen wan­der­ten an andere Stel­len, drei Figu­ren strich Welles aus dem Stück und fügte dafür eine neue ein.

Innovativ im Kino

Bereits mit seinem ersten Film „Citi­zen Kane” (1941) sicherte sich Welles seinen Platz in der Film­ge­schichte. Tech­nisch ver­siert und mit shake­speare­scher Tragik wird das Leben von Charles Fos­ter Kane auf­ge­rollt. Die Dra­ma­tur­gie ori­en­tiert sich am Hör­spiel, zahl­rei­che Thea­ter­ef­fekte – wie Auf- und Abblen­den zum Sze­nen­über­gang – lassen Welles‘ künst­le­ri­sche Her­kunft erkennen.

Seine frühen Erfolge gaben Orson Welles das künst­le­ri­sche Selbst­be­wusst­sein; wie auf der Thea­ter­bühne oder bei seinen Hör­spie­len wurde die künst­le­ri­sche Frei­heit bestim­mend für ihn. Dabei blieb Welles ein öko­no­mi­scher Visio­när. Seine Vision ori­en­tierte sich an den Mög­lich­kei­ten. Oft ent­stand gerade aus den gesetz­ten Schran­ken ein Meis­ter­werk wie „Der Pro­zess” (1962).

Mit dem über Jahre ent­stan­de­nen „Othello” gewann Welles 1955 die Gol­dene Palme von Cannes. Die Pro­duk­tion war vom feh­len­den Budget geprägt, das Welles mit Film­auf­trit­ten bei­spiels­weise in „Der dritte Mann” auf­trieb. Viel Impro­vi­sa­tion war nötig, so ver­legte Orson Welles die Mord­szene in ein Bade­haus, weil die Kos­tüme nicht am Dreh­ort ein­ge­trof­fen waren. Leider ent­spricht keine der erhält­li­chen „Othello”-Fassungen der tat­säch­li­chen Kino­ver­sion. Ein Restau­rie­rungs­ver­such aus den 90er Jahren zer­störte mit Über­kor­rek­tu­ren des Bilds und Ver­än­de­run­gen des Tons den Geist des Films.

Für das Publikum

Ob er sich einem Mas­sen­pu­bli­kum ver­pflich­tet fühle, wurde Welles in einer Publi­kums­de­batte gefragt. „Wenn ich eines hätte, würde ich mich ihm ver­pflich­tet fühlen”, ant­wor­tete er. Doch das jün­gere Publi­kum in den 1970ern kannte Orson Welles vor­wie­gend als häu­fi­gen Gast in TV-Sen­dun­gen und Wer­be­spots und als eins­ti­ges Wunderkind.

Seinen „Chimes at Mid­ni­ght” (1965) blieb das Mas­sen­pu­bli­kum fern. Dabei gab er sich als altern­der Fal­staff die größte Blöße, dich­ter kommt man ver­mut­lich an Orson Welles nie heran. Ent­ge­gen der ersten Ver­mu­tung erscheint der alte Welles nicht ver­bit­tert. Mit Charme und Witz umschmei­chelt er wei­ter­hin das Publikum.

Von vielen Film­pro­jek­ten und ‑plänen sind nur Frag­mente erhal­ten, den umfang­rei­chen Nach­lass ver­wal­tet seine Lebens­ge­fähr­tin Oja Kodar. In „The One Man Band” sind zahl­rei­che dieser Frag­mente aus Welles spä­te­ren Lebens­jahr­zehn­ten zusam­men­ge­stellt und als bio­gra­fi­sche Doku­men­ta­tion auf­be­rei­tet. Mit „Don Qui­chote de Orson Welles” wurde ver­sucht, Mate­rial sinn­erge­bend und ord­nungs­stif­tend zusam­men­zu­stel­len. Doch dieser bleibt frag­men­tiert und lücken­haft. Orson Welles selbst beherrscht seine Frag­mente. Ob Shake­speare-Verse, Lebens­ent­würfe oder Film­schnip­sel – Welles fügt sie in über­ra­schen­der Weise zu neuem Sinn: als Kunst­werk. Bei „F für Fäl­schung” trieb er die Frag­men­tie­rung bzw. Rekon­struk­tion von Sinn auf die Spitze. Ein viel­schich­ti­ger Film­essay über Fäl­scher ent­stand unter seinen Händen am Schneidetisch.

Unerklärlich genial

Auch tau­send Seiten könn­ten das Phä­no­men Orson Welles nicht hin­rei­chend erklä­ren. Sein „Krieg der Welten” hat 1938 Radio­ge­schichte geschrie­ben. Außer zahl­lo­sen Hör­spie­len ent­stan­den Klas­si­ker des Thea­ters. Dane­ben gilt Orson Welles als einer der ein­fluss­reichs­ten Film­re­gis­seure. Nicht weil er Ein­fluss gehabt hätte, son­dern weil er inspi­rierte. Er war nicht nur Gast in TV-Sen­dun­gen, ver­trat Johnny Carson und füllte Wer­be­pau­sen. Mit „The Foun­tain of Youth” schuf Welles eine neue Art, Geschich­ten im TV zu erzählen.

In allen Medien des 20. Jahr­hun­derts hin­ter­ließ Welles seine Spuren, nicht nur mit seiner Stimme, son­dern mit seinen eige­nen Werken.

Weitere Informationen

„Me and Orson Welles” (2008)
DVD-Cover, Regie: Richard Linklater. Mit: Zac Efron, Claire Danes, Christian McKay

Regie: Richard Lin­kla­ter. Mit: Zac Efron, Chris­tian McKay, Claire Danes.
Erscheint am 2. Dezem­ber auf DVD und BluRay.

Ein­bli­cke in die Ent­ste­hung der legen­dä­ren „Caesar”-Inszenierung bietet der Film „Ich und Orson Welles”, der dieses Jahr end­lich in die Kinos kam. Der 17-jäh­rige Richard (Zac Efron) blickt dabei hinter die Kulis­sen einer Welles-Pro­duk­tion. Mit hei­te­rer Unbe­küm­mert­heit taucht er ein in Welles‘ Thea­ter­welt. Wäh­rend Richard als Figur fiktiv ist, sind die Ereig­nisse um ihn herum umso realer. Wir erle­ben Welles als ge­nia­len und von sich über­zeug­ten Tyran­nen, aber auch als Mensch.

„Der Prozess” (1962)
DVD-Cover Arthaus-Edition. Regie: Orson Welles. Mit: Anthony Perkins

Regie: Orson Welles. Mit: Anthony Per­kins, Jeanne Moreau, Romy Schnei­der, Orson Welles. Erscheint als „Art­haus Pre­mium Edi­tion” (Doppel-DVD) am 18. November.

Bei der Ver­fil­mung von Kafkas Roman sprang kurz vor Dreh­be­ginn ein Pro­du­zent ab, und Welles musste das Pro­jekt neu kon­zi­pie­ren. Josef K. wird ver­haf­tet und sieht sich mit undurch­sich­ti­ger Büro­kra­tie kon­fron­tiert. Der ent­stan­dene Film fängt die Stim­mung des Romans beängs­ti­gend gut ein: beein­dru­ckende Bilder, über­ra­schende Figu­ren und stetes Chaos in schein­ba­rer Ord­nung. Als Bonus gibt es die Doku­men­ta­tion „The One Man Band” und ein Inter­view mit dem Kameramann.

Link-Tipps

Lang­fas­sung des Arti­kels und Videobei­trag mit vielen Film­bei­spie­len auf www.zanjero.de.

Zahl­rei­che Hör­spiele lassen sich online hören: Mer­cury Thea­ter online. Zahl­rei­che Radio­sen­dun­gen hat das Online Archiv gespei­chert. Viele Filme sind als DVD ver­füg­bar (Amazon-Links): Citi­zen Kane (Restau­rierte Fas­sung), Der Pro­zess (Art­haus Pre­mium Edi­tion – 2 Discs), Mac­beth (Art­haus Pre­mium Edi­tion – 2 DVDs), F wie Fäl­schung, Der dritte Mann (Art­haus Pre­mium Edi­tion – 2 DVDs) (nur Dar­stel­ler), Ich & Orson Welles (Regie: Richard Lin­kla­ter, 2008; Rezen­sion). Leider ist der hoch­gra­dig sehens­werte „Fal­staff“ („Chimes at Mid­ni­ght“) nur über umständ­li­che Import­ka­näle zu beziehen.

Über Alexander (10 Artikel)
1998 bis 2008: Studium ÄdL und Angl/Am an der HU • 2000 bis 2004: Mitarbeit bei UnAufgefordert und Rettungsring • 2005 bis 2011: verantwortlicher Redakteur „Spree“ und „bus“ • mehr auf: www.zanjero.de und www.axin.de