Entzauberung des Weltraums

Wis­sen­schaft­ler der FU Berlin erfor­schen, warum Uto­pien vom Leben im All durch Mond- und Mars­ex­pe­di­tio­nen an Glanz verloren.

Die Popu­la­ri­sie­rung des Welt­raum­den­kens, der soge­nannte „Rake­ten­rum­mel“, erreichte in den  1920er und 1930er Jahre einen ersten Höhe­punkt. Wäh­rend Schrift­stel­ler und Fil­me­ma­cher ihre Uto­pien von der Reise zum Mond und zu fernen Pla­ne­ten einer brei­ten Öffent­lich­keit prä­sen­tier­ten, tüf­tel­ten Wis­sen­schaft­ler und Inge­nieure daran, solche Rake­ten tat­säch­lich zu ent­wi­ckeln. Die Grenze zwi­schen lite­ra­ri­scher und fil­mi­scher Fan­tas­te­rei und dem, was zukünf­tig wirk­lich mög­lich sein könnte, war fließend.

Älter noch als die Vision von der Reise zum Mond war die Idee einer erd­na­hen Raum­sta­tion, von der aus man zur Erkun­dung und Kolo­ni­sie­rung in die Weiten des Welt­raums auf­bricht. „Man hat früh erkannt, dass das eigent­li­che Pro­blem nicht die Befah­rung des Welt­alls ist, son­dern die Über­win­dung der irdi­schen Schwer­kraft“, sagt der His­to­ri­ker Alex­an­der C. T. Gep­pert, der an der FU Berlin die Geschichte euro­päi­scher Welt­raum­vor­stel­lun­gen und des außer­ir­di­schen Lebens im 20. Jahr­hun­dert erforscht.

Damals glaubte man, dass eine Welt­raum­sta­tion im erd­na­hen Orbit als Umstei­ge­bahn­hof nötig wäre, um mit gerin­ge­rem Auf­wand in der Schwe­re­lo­sig­keit Welt­raum­schiffe zusam­men­zu­set­zen und damit zum Mond, zum Mars oder noch weiter ins All zu reisen. Für Gep­pert, der seit 2010 eine Emmy-Noe­ther-Nach­wuchs­gruppe leitet, ist es eine Ironie der Geschichte, dass mit der Inter­na­tio­na­len Raum­sta­tion ISS Ende des 20. Jahr­hun­derts eine ganz alte Utopie Wirk­lich­keit wurde, „die uns aber nicht mehr so rich­tig fesselt“.

Warum übt die Inter­na­tio­nale Raum­sta­tion – das teu­erste zivile Pro­jekt der Welt­raum­ge­schichte –, die heute in rund 380 Kilo­me­ter Höhe um die Erde kreist, nur eine begrenzte Fas­zi­na­tion aus? Die For­scher­gruppe am Fried­rich-Mein­ecke-Insti­tut geht der Frage nach, wie sich Träume und Hoff­nun­gen auf eine Zukunft fernab der Erde ver­än­der­ten – real­his­to­risch wie fik­tio­nal. Beson­dere Bedeu­tung messen sie der Zeit­spanne zwi­schen 1957 und 1972 bei: Jenen 15 Jahren, in denen sich die Sowjet­union und die USA einen Wett­lauf zum Mond lie­fer­ten. Ein Zeit­raum, in dem rund 60 sowje­ti­sche und ame­ri­ka­ni­sche Sonden den Mond knapp ver­fehl­ten, umkreis­ten, mal sanft und mal hart lan­dend trafen.

Und in dem nach Neil Arm­strong und Edwin „Buzz“ Aldrin aus der Apollo-11-Crew neun wei­tere Men­schen den Mond betraten.In vielen Filmen, ange­fan­gen bei Fritz Langs letz­tem Stumm­film „Frau im Mond“ aus dem Jahr 1929, wurde die Reise zum rund 360.000 Kilo­me­ter ent­fern­ten Erd­tra­ban­ten detail­liert dar­ge­stellt. „Bevor eine solche Reise 1969 tat­säch­lich statt­fand, hatte man ihre Bilder so ähn­lich bereits mehr­fach gese­hen“, sagt Daniel Bran­dau, Mit­ar­bei­ter der For­scher­gruppe. Der nächste Schritt, der Bau einer Mond­ko­lo­nie, der fik­tio­nal eben­falls vor­weg­ge­nom­men wurde, erfüllte sich jedoch nicht.

Der Drang ins All war nach den Apollo-Mis­sio­nen zwar gebremst, aber nicht gestoppt: Von sowje­ti­schem und ame­ri­ka­ni­schem Boden aus sind in den 1970er Jahren zahl­rei­che Sonden zum Nach­bar­pla­ne­ten Mars beför­dert worden. „Die Ent­täu­schung, als man auf der Mars­ober­flä­che nicht einmal den kleins­ten Beweis für Leben finden konnte, war groß“, sagt Wil­liam R. Macau­ley, der in Gep­perts Nach­wuchs­gruppe zur Ästhe­tik der euro­päi­schen Welt­rau­m­er­kun­dung forscht. Die mit großen Erwar­tun­gen ver­bun­de­nen Welt­raum­ex­pe­di­tio­nen ließen den Traum vom Leben im All plötz­lich unrea­lis­tisch erscheinen.

„Die Öffent­lich­keit wurde skep­ti­scher und fragte nicht mehr danach, wie wir den Welt­raum berei­sen, son­dern warum wir das über­haupt tun soll­ten“, sagt Macau­ley. Vor dem Hin­ter­grund der Ölkrise und der ver­mehr­ten Nut­zung der Atom­ener­gie wuchs auf beiden Seiten des Atlan­tiks ein kri­ti­sches glo­ba­les Bewusst­sein. „Der eigene Planet und der behut­same Umgang mit seinen Res­sour­cen geriet immer mehr in den Fokus, das Leben im All büßte von seinem Zauber ein“, sagt Gep­pert. Ein Zauber, der nur hält, solange man nicht da gewe­sen ist.

Autor: Ste­phan Töpper