Als Island seinen ersten Killer bekam
Hallgrímur Helgason schenkte mit “Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen” einen spleenigen und eigenwilligen Roman — typisch isländisch eben.
Toxic ist Berufsmörder. Seine Arbeit verrichtet er in den USA, gut und sauber. Getötet werden die, die böse sind. Nachgefragt wird aber nicht — Auftrag ist Auftrag. Er führt Statistik über seine Morde, mehr als eine Kugel pro Opfer gilt als unschick.
Wie es aber nun einmal jeden Berufskiller passieren kann, erschießt Toxic eines Tages aus Versehen den Falschen. Er flieht vor seinen eigenen Chefs aus dem Land. Auf dem Flughafen sitzt ihm außerdem das FBI im Nacken, weshalb er nach dem Pinkeln einen Reisenden auf dem Männerklo erschlägt, um dessen Identität zu leihen.
So landet Toxic in Island. Das Schicksal beschert ihm die Identität eines Jüngers Jesu, der im isländischen christlichen Fernsehen auftreten soll. Auf dem Flughafen wartet man schon auf ihn:
In der Ankunftshalle stehen ein Mann mit dünnen und eine Frau mit dicken Haaren und einem Schild mit der Aufschrift: FATHER FRIENDLY. Ich muss wohl etwas neben mir stehen (kein Wunder, bei meinen vielen Ichs), denn ich mache den großen Fehler, direkt vor diesem beschissenen Schild zu stoppen.
Es folgt eine Erzählung, wie man sie bei dieser Vorgeschichte auch erwartet. Der überforderte Toxic steht ständig kurz davor die isländische Bevölkerung drastisch zu reduzieren und versucht gleichzeitig den guten Christen zu mimen. Denn: nach Hause kann er auch nicht.
Ich bewundere diese Schriftsteller. Krimiautor in einem Land ohne Morde, das kann nicht einfach sein. Allein, um seinem Mörder eine Pistole zu beschaffen, braucht man die Fantasie eines Genies.
Weil er soviel Zeit hat, fängt er auch einmal nachzudenken und die sonst trashige Geschichte wandelt sich. Toxic, Tom Boksic, stammt aus dem kriegsgebeutelten Kroatien, schlägt sich damit rum seinen Bruder ermordet zu haben und auch seinen Vater ein wenig auf dem Gewissen zu haben. Er sah während des Jugoslawienkrieges schon immer viele Leichen und so war es scheinbar nur ein kleiner Sprung zur völligen Abstumpfung seines Gefühlslebens und dem Auftragskiller-Dasein.
Ich erinnere mich an die Hand aus dem Massengrab im TDO. Es war eine Mädchenhand, die eines Teenager-Mädchens (…).Als wir das Grab zumachen wollten, ragte ihre Hand immer wieder aus der Erde heraus. Wir versuchten, sie mit den schaufeln niederzukloppen, sprangen auf sie drauf, doch ohne Erfolg.
Wenn das die Erinnerungen eines jungen Mannes an seine Heimat und Jugend sind, verwundert seine Art nicht mehr so sehr. Mit diesem ernsten Hintergrund kann man auch das typische Psychogramm eines Mörders zusammenbasteln. Wer in seinem Leben nur mit Hass, Krieg, Vergewaltigunen und Todesangst konfrontiert wird, kämpft in erster Linie ums Überleben und nicht für moralische Tugend. Also wem soll man es verübeln?
Die Geschichte findet ihr vorläufiges Happy End darin, dass Toxic, dessen Namen wie der eines American Staffordshire Terriers klingt, eine Frau findet, die nicht komplett irre ist, aber auch nicht dem ganz gängigen Volk zugehörig ist.
Zum Schluss bleibt aber die Frage, ob man eine zweite Chance bekommen kann und ein sehr offenes Ende.
Am 14. Oktober kann man Hallgrímur Helgason mit seinem neuen Roman “Eine Frau bei 1000 Grad“ auf der Frankfurter Buchmesse lesen sehen.
Hallgrímur Helgason: “Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen.” Roman, aus dem Isländischen von Kristof Magnusson
5. Aufl. 2011, 271 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
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