Als Geisti BWL studieren
Als Geisteswissenschaftler an die WiWi-Fakultät? Schule bereitet auf eine solche Doppelexistenz nicht vor – und die Unis
erschweren es den Hybriden zusätzlich.
[Studienkombination] Um die Karriere-Chancen aufzubessern, wählen manche Geisteswissenschaftler ein wirtschaftswissenschaftliches Zweitfach. Doch weder hat sie die Schule auf solch eine Doppelexistenz in zwei Welten vorbereitet, noch sind die Regeln und Anforderungen für Wanderer zwischen den Welten geeignet. Jeder hat seine Stärken. Spätestens in der Oberstufe werden diese Stärken mit Einführung der Leistungskurse in Schubladen gesteckt. In der Uni bringt diese Einteilung oft Stereotypen hervor, die an Hollywood-Teenie- Filme erinnern. In den Mathe-Vorlesungen sitzen die Nerds, und die Juristische Fakultät wird von Schnöseln mit hochgestelltem Kragen bevölkert. Dass solche Klischees nicht stimmen müssen, beweisen die Studiengänge, die Welten zusammenbringen wollen: Wirtschaftsmathematik, Wirtschaftsinformatik oder Wirtschaftspädagogik. In Kombi-Bachelor-Studiengängen werden mitunter Geisteswissenschaften mit Wirtschaftswissenschaften verbunden: Germanistik und BWL oder VWL und Philosophie. Maike beschloss nach dem zweiten Semester, ihr Zweitfach von Erziehungswissenschaft zu Volkswirtschaftslehre zu wechseln. Ihr Kernfach ist Philosophie. Warum sie sich zu diesem Schritt trotz miserabler Mathekenntnisse und dem Abraten all ihrer Freunde und Verwandten entschloss, kann sie rückblickend nicht genau sagen. „Der Druck aus den Medien, mit Geisteswissenschaften keinen Job zu finden? Allgemeines Interesse?“ Maike kommt aus einer rein geisteswissenschaftlichen Welt. Ihre Freunde studieren Germanistik, Anglistik oder Erziehungswissenschaft. Eine Bekannte studiert International Business, „aber die ist in Ordnung“, lacht sie.
Die Kombi liegt im Trend
Bei ihren Eltern ist sie mit Bücherlesen und fernsehfreien Abenden aufgewachsen. „Richtig schön vergeistigt eben“, kommentiert die 22-Jährige. Ihr Bild von den anderen Wiwi-Studis sei in etwa das gleiche gewesen wie das von den Jura-Studenten: reich, karrieregeil, kragenhoch. Was auch sonst? Als sie jedoch in ihrer ersten Mikrovorlesung saß, war sie überrascht. Ihr erster Eindruck: nette normale Gesichter, viele Polohemden, aber kein einziger Kragen hochgeklappt. „Wenn der Professor nicht ständig so gegen die Linkspartei und den Mindestlohn wettern würde, wäre der eigentlich auch ganz nett“, resümiert sie. An der HU studierten vergangenes Jahr 232 Geisteswissenschaftler mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Nebenfach. 2009 waren es noch 174. „Die Kombi liegt total im Trend“, sagt Markus Milberg vom Refrat der HU: „Die jungen Leute bekommen heute schon ganz früh gesagt, dass ohne Wirtschaftskenntnisse nichts mehr läuft, und die Firmen suchen nach den ersehnten Soft-skills, die bei den BWL- oder VWLAbsolventen oft zu wünschen übrig lassen.“
„Einfach nicht meine Welt“
„Nennt man das im Wirtschaftsjargon nicht Win- Win Situation?“, fragt Maike und reibt sich grinsend die Nase. Die gebürtige Hamburgerin hat ein hartes Jahr mit Mathe-Nachhilfe und hohen Lernanforderungen hinter sich. „Daran war ich überhaupt nicht gewöhnt. Die Methoden, die Klausuren, die Profs, sogar die Uni-Bürokratie sind komplett anders als in Philosophie. Nicht schwerer, nur ganz anders.“ Durch ein paar Klausuren sei sie am Ende des Semesters trotz Lernens durchgefallen. „Wenn das so weitergeht, kann ich den angestrebten Einser-Bachelor und damit den Philosophie-Master vergessen!“ Zwar sei das Essen in der eigenen Wiwi-Mensa besser als in der Mensa Nord, wo sie sonst immer gegessen hatte, aber dafür müsse man sich dort Gespräche über den letzten „Matrix“-Besuch oder die Kursentwicklung der einst gepriesenen „Infineon“-Aktien anhören. „Einfach nicht meine Welt“, sagt sie. „Und kritisch mitdiskutiert wurde im Unterricht bisher auch nicht.“ Besonders aufgefallen sei ihr zudem ein Begrüßungsheftchen, das sie in ihrer ersten Vorlesung in die Hand gedrückt bekam. „Eigentlich nett, bis auf den fetten ‚Pro-Atom’-Flyer darin. Das fand ich für eine auf Neutralität bedachte Universität total unangebracht.“ Obwohl Maike auch viele nette Leute kennengelernt hat, will sie jetzt ihr Nebenfach zu Amerikanistik wechseln, bevor es zu spät ist. Eine neue HU-Regel verbietet den Wechsel nach dem vierten Fachsemester. Zu verschieden seien ihr die Welten und zu sehr differierten ihre bisherigen Lernerfahrungen mit denen aus Mikro- oder Makroökonomie. „Ich war es einfach nicht mehr gewohnt, stupide auswendig zu lernen“, stöhnt sie, „da komme ich mit meinem reflektierten Textverständnis auch nicht weiter“. Leider wurde die Studienordnung von Wirtschaftswissenschaften im Zweitfach nicht auf fachfremde Studenten angepasst, dementsprechend ist die Abbrecherquote hoch. „Der Lernaufwand ist viel höher als in anderen Nebenfächern, und für die Modulabschlussprüfungen bekommt man oft nur halb so viele Punkte wie in anderen Studiengängen“, entrüstet sich Maike. Aber eigentlich habe es ihr viel Spaß gemacht und viel gelernt habe sie auch. „Endlich verstehe ich Mathe! Das Studium selbst ist wirklich spannend, aber einfach nicht so das Richtige für mich“, fasst sie ihre Erfahrungen zusammen. Als verlorenes Jahr betrachtet sie den Versuch nicht. Sie wünscht sich aber, dass angesichts der hohen Abbrecherquote die Studienordnung geändert wird. Zumindest könne man doch die Regeln für den Fachwechsel lockern, findet sie.