Dichter und Kämpfer

Mit “Dich­ter und Kämp­fer” ist Marion Hütter nicht nur ein Por­trät bekann­ter Poetry Slam­mer gelun­gen, sie setzt auch der ganzen Bewe­gung, ihren Ängs­ten und Gefüh­len ein klei­nes Denkmal.

Sebastian23, Theresa Hahl, Julius Fischer, Philipp Scharrenberg im Ruhrgebiet Sebastian, Theresa, Julius und Scharri albern von Anfang an miteinander rum und geben dem Film seine humorvolle Note. Foto: kunststoff - die filmmacher

In den Neun­zi­ger­jah­ren schwappte ein Phä­no­men über den großen Teich von – selbst­ver­ständ­lich – Ame­rika nach Europa. Junge Men­schen trafen sich in Knei­pen, klei­nen Thea­tern und noch klei­ne­ren Sälen und trugen einem inter­es­sier­ten Publi­kum ihre lite­ra­ri­schen Ergüsse vor. Die­je­ni­gen, die am Ende den lau­tes­ten Applaus erhiel­ten, gewan­nen; die Zuschauer wurden bemün­digt und zur Jury ernannt. Das Ganze nannte sich Poetry Slam und geis­terte später auch durch die deut­sche Kul­tur­szene. Klei­nere Slams tauch­ten auf, in Berlin boom­ten zusätz­lich die Lese­büh­nen, erste Meis­ter­schaf­ten wurden aus­ge­tra­gen, viele Autoren fanden plötz­lich ihren Weg auf den Lite­ra­turmarkt und zu einem brei­te­ren Leser­kreis. Um das ver­meint­li­che Gespenst „Poetry Slam“ nach über zwei Jahrz­en­ten nun end­gül­tig aus dem Unter­grund ins Licht der Kino­säle zu holen, setzt ihm die Radio- und Fern­seh­re­por­te­rin Marion Hütter mit ihrem Doku­men­tar­film „Dich­ter und Kämp­fer“ ein klei­nes Denk­mal. Her­aus­ge­kom­men ist ein eupho­ri­scher Film, der sich vor­der­grün­dig den Lebens­ent­wür­fen vierer Slam­mer widmet und trotz­dem Fragen zu Zukunft, Lite­ra­tur und Gemein­schaft anreißt.

Vier Protagonisten mit vier Blickwinkeln

Dank der Aus­wahl ihrer Prot­ago­nis­ten schafft Hütter einen authen­ti­schen Blick auf die Szene: Julius Fischer, The­resa Hahl, Sebas­tian 23 und Phil­ipp Schar­ren­berg gehö­ren zu den besten Slam­mern Deutsch­lands, haben den­noch grund­ver­schie­dene Per­spek­ti­ven auf die Bühne und ihre Art, Texte zu pro­du­zie­ren. „Dich­ter und Kämp­fer“ zeigt diese Vier im Span­nungs­feld zwi­schen Main­stream und Under­ground, Kaba­rett und Kneipenslam.

Phil­ipp „Scharri“ Schar­ren­ber­ger wird als aus­ge­buch­ter Kämp­fer gezeigt, der von einem Termin zum nächs­ten pen­delt, und sich inzwi­schen in Büh­nen­deutsch­land eta­bliert hat. 2009 gewann er die Deutsch­spra­chi­gen Poetry Slam Meis­ter­schaf­ten mit seinen humo­ri­gen Texten, stolz erzählt er, dass er einen Agen­ten gefun­den und ein neues Pro­gramm auf die Beine gestellt hat. Eine Szene des Films bleibt hängen: Vor einem Publi­kum aus ange­grau­ten Bil­dungs­bür­gern mit dem ver­meint­li­chen Thea­ter­abo in der Tasche reißt Scharri in einem Kul­tur­kel­ler Witze über Part­ner­schaft und Liebe. Pes­si­mis­ten sehen das als Verrat an der sub­kul­tu­rel­len Her­kunft des Poetry-Slams, Opti­mis­ten als gelun­ge­nen Spagat zwi­schen einem fri­schen und einem aus­trock­nen­den Format.

Dichter nach innen, Kämpfer nach außen

Ent­ge­gen aller inter­nen Gesin­nungs­un­ter­schiede ist das Gemein­schafts­ge­fühl, das sich in den ver­gan­ge­nen Jahren zwi­schen den Slam­mern ent­wi­ckelt hat, ein Haupt­mo­tiv in „Dich­ter und Kämp­fer“. Zwar werden im Film ledig­lich vier von ihnen in den Vor­der­grund gerückt, doch gleich darauf folgen im Abspann schon die Namen der Poeten aus der „Sla­mily“. Die Regis­seu­rin ver­sucht dieses Gefühl auch in ihrem Film zu über­mit­teln. Mal gelingt ihr das gut, etwa bei dem ulki­gen Umzug von Scharri, dem von Hanz, einem wei­te­ren Slam­mer, zur Hand gegan­gen wird. Mal erreicht die eupho­ri­sche Stim­mung den Zuschau­er­raum nicht, etwa bei einem unge­lenk insze­nier­ten Fuß­ball­spiel, bei dem die Slam­mer als eige­nes Team mit Tri­kots im Ruhr­pott kicken.

Auf einem Bolz­platz nimmt Marion Hütter auch einen Teil ihres Por­träts von Julius Fischer auf. Für den Leip­zi­ger ist das Slam­men eine von vielen Mög­lich­kei­ten, die Ergeb­nisse seine Krea­ti­vi­tät unter das Volk zu brin­gen. Mit seinem Slam­mer-Kumpel Chris­tian Meyer musi­ziert er als „The Fuck Hor­nisschen Orches­tra“ durch die Lande, ein Auf­tritt der beiden ähnelt einer hyper­bun­ten TV-Show aus Japan. Mit echtem und musi­ka­li­schem Spiel­zeug unter­hal­ten sie ihre Zuschauer, Songs wie das erfri­schend in einem Spiel­platz­häus­chen vor­ge­tra­gene „Bahn­damm­brand­mann“ ver­ur­sa­chen Knoten im Zwerch­fell. Julius zeigt von den vier Prot­ago­nis­ten in „Dich­ter und Kämp­fer“ am deut­lichs­ten, wel­chen emo­tio­na­len Span­nun­gen sich ein Poet wäh­rend eines Slams aus­lie­fert: Vor wich­ti­gen Auf­trit­ten ist ihm die Ner­vo­si­tät anzu­se­hen, ebenso wie die Frus­tra­tion, wenn die Zuschauer ihn nicht in die nächste Runde geklatscht haben. Bei einem Poetry Slam gehe es nicht in erster Linie ums Gewin­nen, betont er. Dass eine Nie­der­lage den­noch am eige­nen Ego kratzt, kann auch Julian trotz aller guten Worte nicht ver­ber­gen – und wirkt gerade in diesen Augen­bli­cken menschlich.

Goethe ist tot! Jeder darf schreiben.

Von einem Jahr aufs nächste löst eine Slam­mer-Genera­tio­nen die alte ab, die stei­gende Bekannt­heit dieser Dis­zi­plin spült per­ma­nent junge Talente auf die Bühne. Und so ist „Dich­ter und Kämp­fer“ auch eine Refle­xion über das Selbst­ver­ständ­nis der jungen Dich­ter im deutsch­spra­chi­gen Raum. Wo man früher noch ein schüch­tern­ses „Ja, ich schreibe“ hörte, trauen sich unbe­kannte Poeten nun auf die Bühne. Dem krea­ti­ven Schrei­ben wird sein genia­li­scher Aspekt und so eine Hürde genom­men, wenn Slam­mer über All­tags­ge­gen­stände räso­nie­ren oder ihre ver­lo­rene Liebe humor­voll auf­ar­bei­ten. Und auch wenn der Kon­kur­renz­kampf mit zuneh­men­der Slam­mer­zahl härter wird, bedeu­tet die über­ge­ord­nete Nach­richt – jeder kann Dich­ter werden, also trau dich, deine Texte vor­zu­tra­gen – nichts gerin­ge­res als die Demo­kra­ti­sie­rung der Literaturproduktion.

Für die Ver­brei­tung sol­cher Nach­rich­ten schaf­fen sich Bewe­gun­gen gerne ihre eige­nen Stars, die auch im Main­stream bekannt werden. Nicht anders bei Poetry Slam: Sebastian23 wurde vom Uni­spie­gel vor drei Jahren zum „neuen Star des Poetry Slams“ ernannt, nun ist der Über-30-Jäh­rige mit der Bas­ken­mütze sicher­lich eines der bekann­tes­ten Gesich­ter der Szene. „Dich­ter und Kämp­fer“ stellt ihn als sym­pa­thi­schen Mis­sio­nar dar, der das Slam­men lebt und Inter­es­sier­ten näher brin­gen will. Etwa bei den von ihm gelei­te­ten Work­shops: Im Film sieht man ihn in einer Kirche vor skep­tisch-drein­bli­cken­den Jugend­li­chen stehen. Er erklärt das Prin­zip des Slam­mens, ver­sucht seine Zuhö­rer für dieses Format zu öffnen – und tat­säch­lich begeis­tern sie sich und plap­pern urplötz­lich drauf los. Die erste Hürde ist genommen.

Poeten mit Träumen und Ängsten

Solche Work­shops sorgen für das kleine Extra­geld, mit dem sich Slam­mer über Wasser halten. Bei dem ein oder ande­ren kommt noch ein Buch hinzu, Sebastian23 ist mit sieben Ver­öf­fent­li­chun­gen – drei Büchern, vier CDs – eine erfolg­rei­che Aus­nah­men. Marion Hütter fragt ihre Prot­ago­nis­ten nach den Zukunfts­plä­nen in einem unsi­che­ren Wirt­schafts­zweig. Die Ant­wor­ten blei­ben hier im Unge­fäh­ren. Natür­lich kommen diese jungen Men­schen mit ihrem Wan­der­le­ben als rei­sende Dich­ter noch gut über die Runden, solange sie kaum Ver­pflich­tun­gen haben. Trotz­dem idea­li­sie­ren und ver­klä­ren sie dieses rast­lose Leben nicht, vage Hoff­nun­gen für die Zukunft („mal ein rich­tig gutes Buch schrei­ben“) wech­seln sich mit Alter­na­tiv­plä­nen ab („ansons­ten werde ich Köchin“).

Letz­te­rer Satz stammt von The­resa Hahl. Als ein­zige Frau der vier por­trä­tier­ten Slam­mer spie­gelt sie laut Marion Hütter auch die Geschlech­ter­ver­tei­lung in der Slam­mer-Szene wider: Drei Männer kommen hier auf eine Frau. In der Rolle der weib­li­chen Gali­ons­fi­gur fühlt sich The­resa auch beim Pres­se­ge­spräch kurz vor der Pre­miere auf der Ber­li­nale unwohl. Bei den Dreh­ar­bei­ten war sie erst ein halbes Jahr in der Szene aktiv, ihre Woll­mütze, unter der sie ihre Texte vor einem Auf­tritt ver­steckt, wirkt nicht, wie etwa bei Sebas­ti­ans Bas­ken­mütze, als gewoll­tes Mar­ken­zei­chen, son­dern als Kopf­schüt­zer vor der Außen­welt. Einen bewe­gen­den Augen­blickt hält die Kamera fest, als sie die Slam­me­rin in ihrer dama­li­gen Woh­nung in Kreuz­berg besucht. An ihrem Schreib­tisch erzählt sie, dass sie oft Angst habe, dabei ertappt zu werden, dass sie eigent­lich gar nicht rich­tig schrei­ben könne. In diesem Licht zeigen ihre poe­tisch-intro­ver­tier­ten Texte auf der Bühne ein Merk­mal erfolg­rei­cher Slam­mer: Authen­ti­zi­tät. Man muss den Saal eben nicht zum Kochen brin­gen. Texte, die ehr­lich und gut sind – auch eine Aus­sage des Films – finden über­all ihr Publikum.

Schnell-Tipp: Wer The­resa Hahl und fünf wei­tere der “besten Slam­mer Deutsch­lands” live­se­hen möchte, kann dies am Don­ners­tag, 23. Februar, in Wei­ßen­see tun.

 

Über Jan Lindenau (25 Artikel)
kann sich nicht daran erinnern, jemals gesagt zu haben, dass er „irgendwas mit Medien machen will“. Ist trotzdem irgendwie Chefredakteur der spree geworden. Große Leidenschaft für Sprache, Literatur, Russland - und ja, Medien.