Wie bewegte Bilder Zuschauer bewegen

Im Pro­jekt „Affekt­mo­bi­li­sie­rung und mediale Kriegs­in­sze­nie­rung“ im Exzel­lenz­clus­ter „Lan­guages of Emo­tion“ unter­su­chen Film­wis­sen­schaft­ler das Zusam­men­spiel zwi­schen Bewe­gung auf der Lein­wand und den Emo­tio­nen des Zuschauers.

In Kriegs­fil­men wie „Sahara“ wird es nicht dem Zuschauer allein über­las­sen, mit wem er leidet und wen er fürch­tet, wer Freund ist und wer Feind. Doch durch welche fil­mi­schen Gestal­tungs­ele­mente werden bestimmte Emo­tio­nen beim Zuschauer her­vor­ge­ru­fen? Dies unter­sucht die Pro­jekt­gruppe „Affekt­mo­bi­li­sie­rung und mediale Kriegs­in­sze­nie­rung“ im Exzel­lenz­clus­ter „Lan­guages of Emo­tion“ an der FU Berlin.

Mehr als 30 Kriegs­filme der Marke Hol­ly­wood haben sich die Pro­jekt­mit­ar­bei­ter ange­schaut, von den vier­zi­ger Jahren bis hin zu aktu­el­len Filmen: ange­fan­gen bei „Gung Ho!“, „Bataan“ und „Sahara“, alle aus dem Jahr 1943 und mit dem Zwei­ten Welt­krieg als Thema, bis hin zu „Jar­head“ und „Redac­ted“, welche die Golf­kriege 199091 und 2003 zum Gegen­stand haben und erst nach der Jahr­tau­send­wende gedreht wurden.

Bis zu 20 Mal haben sich die Film­wis­sen­schaft­ler einige Szenen ange­se­hen. Den­noch wurden sie in ihren Träu­men nicht von Pan­zern, Geweh­ren und Gefal­le­nen ver­folgt, denn ihr Blick ist rein ana­ly­tisch: „Wir inter­es­sie­ren uns nicht so sehr für die Bot­schaft der Kriegs­filme, son­dern wir haben ein Instru­ment ent­wi­ckelt, mit dem sich dieses Genre in Affekt­be­rei­che und Ste­reo­ty­pen kate­go­ri­sie­ren lässt“, sagt Pro­jekt­mit­ar­bei­te­rin Anna Steininger.

Affekt­be­rei­che, das sind zum Bei­spiel Trauer, Zorn und Angst – Gefühle, die beim Zuschauer geweckt werden. Ste­reo­type sind nach dem Modell der Film­wis­sen­schaft­ler Hand­lungs­ge­füge, die sie in fast allen Filmen wie­der­ge­fun­den haben, etwa Kampf und Tech­no­lo­gie, der Abschied von der Ehe­frau und der Auf­bruch in den Krieg, das Erle­ben von Leid und Opfer – klas­si­sche Szenen, die beim Zuschauer bestimmte Emo­tio­nen wecken sollen.

Unter Lei­tung des Film­wis­sen­schaft­lers Pro­fes­sor Her­mann Kap­pel­hoff wurde für dieses Zusam­men­spiel zwi­schen akus­ti­schen und visu­el­len Bewegt­bil­dern mit dem Emp­fin­den des Zuschau­ers der Begriff „Aus­drucks­be­we­gung“ eta­bliert – ein Kon­zept, das Psy­cho­lo­gie, Anthro­po­lo­gie und Kunst­wis­sen­schaf­ten mit­ein­an­der ver­bin­det. Was im Film insze­niert wird, wird vom Zuschauer unmit­tel­bar emp­fun­den. Diese Emp­fin­dung findet auf einer zeit­li­chen Ebene statt, durch wech­selnde Bilder, Schnitte und Kame­ra­ein­stel­lun­gen. Wie ein Musik­stück sind die Filme durch­kom­po­niert – diese kom­plexe Kon­struk­tion metho­disch zu durch­drin­gen, haben sich die Film­wis­sen­schaft­ler zur Auf­gabe gemacht.

Zunächst haben sich jeweils drei Mit­ar­bei­ter einen Film ange­schaut und ihn nach einem ein­heit­li­chen Leit­fa­den in ver­schie­dene Szenen und Zeit­ein­hei­ten unter­glie­dert, soge­nannte Stan­dard­sze­nen. „In diesen Pro­to­kol­len hat die Zuord­nung zu den ver­schie­de­nen Sze­nen­ka­te­go­rien durch­schnitt­lich zu 80 Pro­zent über­ein­ge­stimmt“, sagt Stei­nin­ger. In eigens dafür ent­wi­ckelte Dia­gramme werden Ste­reo­ty­pen und Affekt­be­rei­che ein­ge­tra­gen – so wird auf einen Blick ersicht­lich, zu wel­cher Zeit sich wel­ches ste­reo­type Thema mit wel­cher Emo­tion der Zuschauer über­la­gert. Anschlie­ßend werden die Filme in Ein­hei­ten von manch­mal nur weni­gen Minu­ten auf­ge­glie­dert und die Aus­drucks­be­we­gun­gen nach fest­ge­leg­ten Kri­te­rien ana­ly­siert und beschrieben.

„Mit dieser Methode lässt sich nicht nur das Genre Kriegs­film ana­ly­sie­ren. Unsere Metho­dik ist viel­mehr auf alle Film­gat­tun­gen anwend­bar“, sagt Her­mann Kap­pel­hoff, „wir haben ein film­ana­ly­ti­sches Modell ent­wi­ckelt, mit dem die Filme als Wahr­neh­mungs- und Emp­fin­dungs­be­we­gung des Zuschau­ers ergrün­det und beschrie­ben werden können.“ Die Ergeb­nisse der For­schungs­ar­bei­ten, Sze­nen­be­schrei­bun­gen und Dia­gramme stehen zusam­men mit Film­aus­schnit­ten in einer im Inter­net zugäng­li­chen For­schungs­da­ten­bank zur Verfügung.

Inzwi­schen widmen sich die Wis­sen­schaft­ler bereits einem neuen Pro­jekt, dieses Mal geht es um den Ver­gleich der Gen­re­filme mit Kriegs­be­richt­erstat­tung in ver­schie­de­nen Medi­en­for­ma­ten, ange­fan­gen bei meis­ter­haf­ten – aber pro­pa­gan­dis­ti­schen – Doku­men­ta­tio­nen Leni Rie­fen­stahls im Auf­trag der Natio­nal­so­zia­lis­ten bis hin zu You­tube-Videos aus dem Irakkrieg.

Autorin: Sabrina Wendling