Studie: Lehrer mit Mobbing und Drohungen konfrontiert
Projekt Networks Against School Shootings (NETWASS) der FU Berlin stellt auf Deutschem Präventionstag erste Ergebnisse seiner Arbeit vor
Lehrer sind einer Studie von Wissenschaftlern der FU Berlin zufolge sehr häufig mit Hinweisen auf krisenhafte Entwicklungen sowie aggressivem Verhalten von Schülern konfrontiert. So gaben die im Rahmen der Untersuchung befragten Lehrer im Durchschnitt an, viermal binnen eines Jahres mit Mobbingfällen zu tun gehabt zu haben. Wie der Leiter des Krisenpräventionsprojekts Networks Against School Shootings (Netwass), der Entwicklungspsychologe Prof. Dr. Herbert Scheithauer, auf dem Deutschen Präventionstag in München weiter erklärte, fielen Lehrern im Schnitt in den vergangenen zwölf Monaten zwei- bis dreimal besorgniserregende Verhaltensänderungen bei Kindern auf. 7 Prozent der Pädagogen hätten sich Amokdrohungen ausgesetzt gesehen, sagte der Wissenschaftler der FU Berlin.
Projekt zu Prävention von Gewalt an FU Berlin
Scheithauer leitet das Netwass-Krisenpräventionsverfahren, in dessen Zentrum ein schulinternes Krisenteam steht, das Beobachtungen sowie Wahrnehmungen von Lehrern zusammenträgt, bewertet und Schritte zur Prävention von Gewalt einleitet. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Amokläufe verhindern
Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Annette Schavan betonte: “Leider scheint es bisher kein Patentrezept gegen Amokläufe zu geben. Umso wichtiger ist es, dieses Thema zu erforschen.” Sie fügte hinzu, Schulen sähen sich häufig Amokdrohungen ausgesetzt — seit 1999 habe es allein zwölf Fälle schwerer zielgerichteter Gewalt gegeben, darunter Amokläufe wie in Erfurt und Winnenden mit zahlreichen Opfern. “Es ist deshalb überaus wichtig, dass Lehrer besser in die Lage versetzt werden, krisenhafte Entwicklungen bei Schülern einzuschätzen.” Das vom Bundesbildungsministerium geförderte Projekt Netwass habe sich hier als sehr wirkungsvoll erwiesen.
Suizidgedanken von Schülern
Wie Scheithauer bei der Präsentation weiter sagte, hat der Studie zufolge jeder fünfte Lehrer von Suizidgedanken von Schülern erfahren, 12 Prozent mit Todesdrohungen unter den Jugendlichen zu tun gehabt. An der Untersuchung nahmen 3.500 Lehrer an mehr als 100 Schulen in Berlin, Brandenburg sowie Baden-Württemberg teil.
Blended-Learning-Angebot
Die Fortbildungen der Krisenteams wie auch Lehrerkollegien erfolgen auch durch ein Blended-Learning-Angebot, welches beispielhaft auf dem Präventionstag dargestellt wurde sowie mit dessen Hilfe zukünftig eine Vielzahl an Schulen erreichbar wäre. Das Projekt ist an der FU Berlin angesiedelt und wird in Kooperation mit dem Institut für angewandte Sicherheitsforschung an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg umgesetzt. Es wird seit 2009 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Auf dem Präventionstag wurde ebenfalls das im Dezember 2011 eingerichtete Beratungstelefon für Lehrer zur Prävention schwerer zielgerichteter Gewalt vorgestellt. Es ist eine bundesweit einzigartige Initiative des Berliner Notdienstes Kinderschutz, Wissenschaftlern der FU Berlin und der Unfallkasse Berlin. Unter der Nummer 030⁄610062 können Lehrkräfte rund um die Uhr Ansprechpartner erreichen.
Präventionsverfahren gut aufgenommen
“Unsere ersten Erfahrungen zeigen, dass das Präventionsverfahren und die Kurse an den beteiligten Schulen sehr gut aufgenommen und als überaus hilfreich erachtet werden”, sagte Scheithauer. Dies spiegele sich in den Aussagen von Teilnehmern der Schulungen wider. So fühlten sich die Teilnehmer am Projekt in der Bewertung von Androhungen und Bedrohungen sicherer und hätten ein größeres Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Schulleitung.
80 Vorfälle von Androhungen von Gewalt oder Selbstmordabsichten
Im laufenden Projekt wurden Scheithauer zufolge bislang mehr als 80 Vorfälle — etwa Androhungen von Gewalt oder Selbstmordabsichten — zurückgemeldet und mithilfe des Krisenpräventionserfahrens bearbeitet. In diesen Fällen habe möglichweise Schlimmeres verhindert werden können, sagte Scheithauer.
Projekt Netwass
Das Projekt Netwass wurde als Reaktion unter anderem auf den Amoklauf in Erfurt initiiert, bei dem am 26.4.2002 ein 19-Jähriger zwölf Lehrer, eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizisten erschoss und Suizid beging.