Comicszene in Berlin: Superhelden des Alltags
Berlin in Bildern – Polit-Satire, Antihelden und Alltagsfettnäpfe. Von der bildlichen Reizvielfalt der Metropole und dem Drama einer ungewürdigten Kunstrichtung. Die Comicszene im Land der Dichter und Denker.
In der Hauptstadt liegt bekanntlich das kreative Potenzial in der Luft. Hier wimmelt es von Museen, Galerien, Graffiti-Kunst und verschiedenen Kunstprojekten, die jeden Tag zu einem ästhetischen Fest machen. Doch nicht viele wissen, wie viel die Berliner Comicszene zu bieten hat.
Die Superheldengestalten mit übernatürlichen Kräften und Megacitys sind den Berlinern Comiczeichner fremd. Dafür lassen sie sich von alltäglichen Kleinigkeiten inspirieren und verhelfen dem Flüchtigen zur Kunst. Schon eine kleine Szene in der S‑Bahn, dem größten aller Berliner Theater, kann zum Ausgangspunkt einer Comicszene werden. Ihre Skizzen halten die Eigenarten der Hauptstadt fest und sind ein Barometer der gesellschaftlichen Befindlichkeiten.
Comics im Land der Dichter und Denker
Comics und Cartoons sind ein Bestandteil unseres Alltags geworden. Zitty, Tagesspiegel, Tip versehen ihre Ausgaben regelmäßig mit Comicstrips, die unterhalten und unseren Blick schärfen. Flix, Fil, Atak, Ol und Mawil werden dem einen oder dem anderen bekannt sein. Doch leider werden ihre Werke nicht als eigenständige Kunsterzeugnisse gewürdigt. „Traurig, aber wahr“, sagt Stefan Gumpert, ein Comiczeichner und Illustrator aus Berlin. „Das Land der Dichter und Denker erkennt Comics nicht als Kunst an, aber rennt in Scharen zu Mario Barth.“
Obwohl Comics der Charakter des Beiläufigen anhaftet, sind sie per Definition eine Kunstart. Nicht nur im Volksmund kommt Kunst von Können und Comiczeichnen verlangt eine überdurchschnittliche visuelle Intelligenz, Abstraktionsvermögen, exzellentes Vorstellungsvermögen, zeichnerische Fähigkeiten, Leidenschaft, Neugier und erzählerisches Talent, womit sich nicht jeder prahlende Künstler brüsten kann. Ein Zeichner braucht außerdem einen feinen Sinn für Humor, schließlich ist eine gute Pointe ein wichtiger Bestandteil vieler Comic-Strips.
Klischee einer introvertierten Jugend
Die Vorliebe fürs Zeichnen von Comics kommt nicht von heute auf morgen. Laut der Berliner Zeichnerin Anna Bas Backer gehört in den meisten Fällen eine Vorgeschichte dazu, die bis in die Kindheit reicht: „Viele Zeichner hatten oft eine introvertierte Jugend. Sie saßen mit ihren Nasen in Büchern und Comics, am Zeichentisch, guckten Filme oder waren einfach nur am Träumen. Es ist ein Klischee, das aber für viele stimmt. Sie sind ein bisschen sozialfremd und schöpfen eher aus ihrer lang gelebten Rolle als Lebensbeobachter denn als Lebensteilnehmer.“
Leider ist das Leben von Comiczeichnern nicht auf Rosen gebettet. Markus Magenbitter schildert seine eigene wirtschaftliche Lage: „Vom Comic-Zeichnen selbst kann man in Deutschland nur sehr schwer leben, das schaffen nur die erfolgreichsten Zeichner. Die meisten machen Comics als Hobby oder Nebenjob und arbeiten oft als Illustrator oder Grafiker.“
Gegenseitige Inspiration
Rund um die Oranienburger Straße hat sich in Berlin ein kleines Zentrum der Comicfans in Berlin entwickelt. Der Comicladen „Grober Unfug“ und „Renate“, Deutschlands einzige Comicbibliothek, sind Treffpunkt und Anlaufstelle für Interessierte, Fans und Künstler. In der Comicbibliothek werden Kurse für Anfänger verschiedener Altersstufen organisiert, um angehende Künstler an das Handwerk des Comiczeichners heranzuführen.
Berlin ist auch die Heimat des Startups ToonsUp, das bei seinem Start Anfang November 2007 die weltweit erste Webseite für Comiczeichner im Stil von YouTube und MySpace war. Auf ToonsUp hat sich inzwischen eine internationale Web-Gemeinschaft entwickelt, in der junge Anfänger auf alte Hasen stoßen und sich im kreativen Austausch gegenseitig inspirieren. Dieser produktive Kontakt, der exklusiv für die Comicszene hier geboten wird, erfolgt über nationale Grenzen hinweg und ist einmalig. Ein verwandter Aspekt sind Blogs, die das ersetzen und ergänzen, was früher die Fanzines gemacht haben. Sie ermöglichen die Verbreitung und Veröffentlichung der ersten Comics und bieten ein Forum für kritische Meinungen.
Berlin als Comicmagnet
Aus dem virtuellen Raum in die reale Welt der Großstadt, diesen Weg tritt die Berliner Szene bewusst an – und das mit Erfolg. Das neue Festival „Comic Invasion Berlin“ lockte die Besucher ebenso an wie der Gratis-Comic-Tag, an dem Comics an die Fans verteilt und Signierstunden organisiert wurden. Fans aus ganz Deutschland kamen in die Hauptstadt, um die Highlights ihrer Lieblingskunst zu bewundern. Doch auch Comiczeichner zieht es verstärkt nach Berlin, schließlich bietet die Großstadt eine Reizvielfalt und den direkten Austausch mit der wachsenden Szene an Gleichgesinnten. Das Resultat sind dann Comics, unsere täglichen Begleiter, die Bekanntes von einem unbekannten Standpunkt sehen und Verwerfliches aufs Korn nehmen.
Sehenswertes
Potsdam: Pommes Fritz – satirisches sammelsurium.
Unter dem Motto „Pommes Fritz II. satirisches Sammelsurium“ zeigt die gemeinsame Landesplanung Berlin-Brandenburg im Haupttreppenturm des großen Militärwaisenhauses eine Karikaturenausstellung zum 300. Geburtstag des preußischen Königs Friedrich II.
Stiftung großes Waisenhaus Potsdam
Lindenstraße 34a, 14467 Potsdam
Die Ausstellung läuft bis Ende Juli und ist von Montag bis Freitag jeweils von 7 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.
Links
www.renatecomics.de
www.bluetoons.de
www.groberunfug.de
www.magenbitter.net
www.ventilationshaft.net
www.suessesundsaures.net
www.doppeltim.de