Morgenlektüre: Was ein kluger Kopf liest

Trotz des großen Inter­net­an­ge­bots nutzen viele Stu­die­ren­den immer noch Ber­li­ner Tages­zei­tun­gen, um sich auf dem Lau­fen­den zu halten. Doch was bieten die Blät­ter genau?

Zum 60. Geburts­tag der Bild-Zei­tung erhält jeder Haus­halt am 23. Juni ein Gratis-Ex- emplar zuge­stellt; doch bereits Ende Mai hatten sich schon über 200.000 Per­so­nen dage­gen ent­schie­den. Alter­na­ti­ven gibt es vor allem in Berlin mehr als genug, um die von Dozen­ten gefor­derte „tages­ak­tu­elle Bil­dung“ mor­gend­lich aus dem Brief­kas­ten zu holen. Elke Licht­mann, Medi­en­wis­sen­schaft­le­rin im Master an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät, und spree-Chef­re­dak­teur Jan Lin­denau unter­such­ten die Land­schaft der Ber­li­ner Tages­zei­tun­gen am 31. Mai auf Gestal­tung, Inhalt und das Loch, das sie in der stu­den­ti­schen Geld­börse hinterlassen.

b.z.

Die Titel­seite der b.z., mit über 150.000 ver­kauf­ten Exem­pla­ren die auf­la­gen­stärkste Tages­zei­tung in Berlin, fährt mit einem sei­ten­fül­len­den Bild auf, Hin­weise auf Texte im Innen­teil fehlen. Blät­tert man über den schma­len Poli­tik-Teil hinweg, so fällt vor allem die emo­tio­nale Bild­aus­wahl auf: Zen­sierte Kri­mi­nelle, Tiere und Babys finden sich in der ganzen Zei­tung. Ein­fa­che Spra­che, viel Platz für Ber­li­ner Themen und aus­gie­bige Rat­ge­ber­texte lassen die B.Z. als Blatt des „klei­nen Ber­li­ners“ auftreten.

BILD + Berliner Kurier

Auch aus dem Axel-Sprin­ger-Verlag stammt die bild. Jeder Text hat eine unter­schied­li­che Gestal­tung, ver­schie­dene Schrift­ar­ten und Signal­far­ben lassen das Auge über die Seiten sprin­gen. Der Sprach­duk­tus ist domi­nant und pola­ri­sie­rend, hier wird von oben Mei­nung gemacht. Als mode­rate Bou­le­vard­zei­tung tritt der Ber­li­ner Kurier auf, der mit klaren Rubri­ken, gemä­ßig­ter Spra­che und einem brei­ten Ber­lin­teil fast unauf­fäl­lig wirkt. Das Orange als Signal­farbe anstatt des bran­chen­üb­li­chen Rot geben der Zei­tung einen seriö­se­ren, aber auch lei­se­ren Anstrich als den Konkurrenten.

Welt kompakt + Berliner Morgenpost

Die Welt kom­pakt tritt seriös und edel auf. Ruhige, farb­lich ent­sät­tigte Bilder und Schrift- arten mit Seri­fen (Füß­chen am Ende eines Buch­sta­bens) rahmen die recht aus­führ­li­chen Texte ein, der Berlin-Teil fällt im Ver­gleich zum Wirt­schafts­res­sort knap­per aus, eine Kom­pakt­zei­tung für eta­blierte Anzug­trä­ger eben. Einige Texte und Bilder über­schnei­den sich mit denen einer wei­te­ren Axel-Sprin­ger-Zei­tung, der Ber­li­ner Mor­gen­post. Das Blatt vari­iert unauf­dring­lich mit den Schrift­ty­pen in den Über­schrif­ten, the­ma­tisch wird eine große Band­breite abge­han­delt. Diese bleibt in der Aus­wahl kon­ser­va­tiv, sind aber direkt auf Berlin und Bran­den­burg zugeschnitten.

Berliner Zeitung + Tagesspiegel

Wie der Kurier stammt die Ber­li­ner Zei­tung aus dem Ber­li­ner Verlag und ist haupt­säch­lich im Osten der Stadt ver­brei­tet. Viele Bei­la­gen rund ums Ber­li­ner Kul­tur­le­ben und Ser­vice­texte ver­an­kern das Blatt in der Region, ein gutes Poli­tik­res­sort mit Kari­ka­tu­ren und Kom­men­ta­ren öffnet den Blick auf die Welt; für Elke ist die Ber­li­ner Zei­tung der „gute Mit­tel­klas­se­wa­gen“. Der Tages­spie­gel holt das Ber­li­ner Publi­kum über die Kultur der Stadt ab und bietet fun­dierte Ver­an­stal­tungs­tipps. Die Sei­ten­ge­stal­tung ist nicht immer klar auf­ge­teilt, was dem Leser einige Kon­zen­tra­tion bei der Lek­türe abver­langt. Das Poli­tik­res­sort sticht mit anspruchs­vol­len Texten und einer sub­ti­len Bebil­de­rung hervor, im Gegen­satz dazu fällt der Berlin-Teil ab und bietet durch­schnitt­li­chen Inhalt.

taz + Neues Deutschland

Die taz setzt auf einen poli­ti­schen Grund­ton in der ganzen Zei­tung. Unscharfe Res­sorts bre­chen mit klas­si­schen Lay­outs. Das Blatt behilft sich mit inter­es­san­ten Ideen in der Bild­ge­stal­tung und kna­cki­gen Über­schrif­ten in einer dyna­mi­schen Schrift, um dem schwarz-weißen Druck­bild ent­ge­gen­zu­wir­ken. Auch Neues Deutsch­land leis­tet sich keinen durch­gän­gi­gen Farb­druck, das Layout ist klar struk­tu­riert und wirkt frisch, eine seriöse Seri­fen­schrift wird nur in den Über­schrif­ten des Feuil­le­tons ver­wen­det, in dem ver­stärkt poli­ti­sche Lite­ra­tur bespro­chen wird. Für eine Tages­zei­tung ist jedoch vor allem der Lokal­teil nicht breit genug aufgestellt.

 

Presseschau

B.Z.

Ein­zel­aus­gabe: 0,70 Euro abo: 18,45 Euro/mtl. Schlag­zeile: Das späte Ende einer Wurst-Saison

BILD

Ein­zel­aus­gabe: 0,70 Euro abo: 17,90 Euro/mtl. Schlag­zeile: Lebens­läng­lich für grau­same Arzt-Gattin

Welt kompakt

Ein­zel­aus­gabe: 0,80 Euro abo: 10,90 Euro/mtl. ermä­ßigt. Schlag­zeile: „Du musst dem ande­ren auch mal wehtun“

Berliner Morgenpost

Ein­zel­aus­gabe: 1,00 Euro abo: 13,90 Euro/mtl. ermä­ßigt. Schlag­zeile: Betrugs­ver­dacht: Ermitt­lun­gen gegen 19 Ber­li­ner Ärztezentren

Berliner Kurier

Ein­zel­aus­gabe: 0,60 Euro abo: 20,40 Euro/mtl. Schlag­zeile: Vor­sicht, Arzt!

Berliner Zeitung

Ein­zel­aus­gabe: 0,90 Euro abo: 15,70 Euro/mtl.ermäßigt. Schlag­zeile: Berlin ver­bie­tet Hells Angel

Der Tagesspiegel

Ein­zel­aus­gabe: 1,10 Euro abo: 15,30 Euro/mtl. ermä­ßigt. Schlag­zeile: Ber­li­ner Poli­zei sucht ihren Maulwurf

die tageszeitung (taz)

Ein­zel­aus­gabe: 1,30 Euro abo: 23,90 Euro/mtl. ermä­ßigt schlag­zeile: Syrien setzt die UNO unter Druck

Neues Deutschland

Ein­zel­aus­gabe: 1,50 Euro abo: 18,50 Euro/mtl. ermä­ßigt. Schlag­zeile: Kan­di­da­ten­stau bei der LINKEN

(alle Schlag­zei­len vom 31. Mai 2012)

Über Jan Lindenau (25 Artikel)
kann sich nicht daran erinnern, jemals gesagt zu haben, dass er „irgendwas mit Medien machen will“. Ist trotzdem irgendwie Chefredakteur der spree geworden. Große Leidenschaft für Sprache, Literatur, Russland - und ja, Medien.