Amsterdamer Gelassenheit

Bei einem Auslandsemester in Amsterdam darf ein Fahrrad nicht fehlen. Bei einem Auslandsemester in Amsterdam darf ein Fahrrad nicht fehlen. © Tobias Hausdorf

Lehr­jahre schlie­ßen keine Her­ren­jahre aus, wie ein Stu­di­en­auf­ent­halt in Ams­ter­dam zeigt. Dank des Block­sys­tems bleibt trotz hoher Anfor­de­run­gen Zeit sich auszuprobieren.

Die meis­ten denken an etwas ande­res als ans Stu­die­ren, wenn sie Ams­ter­dam hören. Doch die Uni­ver­si­tät von Ams­ter­dam ist die beste der Nie­der­lande. Wäh­rend meines ERAS­MUS-Auf­ent­halts – der Hol­län­der Eras­mus von Rot­ter­dam ist der Namens­ge­ber – erwar­tete mich hier hohes Niveau, Inter­na­tio­na­li­tät und ein ande­res Studiensystem.
An der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät hatte ich bereits zwei Semes­ter Eng­lisch und Geschichte stu­diert, wollte aber noch eine andere Spra­che und Kultur kennen lernen. Daher ent­schied ich mich für Ams­ter­dam: eine Haupt­stadt, aber keine Metro­pole. Mit mir ein­ge­rech­net sind es knapp 800.000 Ein­woh­ner und unge­fähr 180 Nationalitäten.
Ein Bei­spiel für Inter­na­tio­na­li­tät ist meine WG. Im ersten Semes­ter hatte ich einen hawai­ia­ni­schen Mit­be­woh­ner. Der kam am ersten Tag ver­dutzt in mein Zimmer und wollte wissen, was das für weiße Dinger an der Wand sind. Ich wusste erst nicht, was er meinte: Hei­zungs­kör­per. Neu­deutsch könnte man sagen, dass ich meine kul­tu­relle Kom­pe­tenz ent­wi­ckelt habe. Vor allem habe ich inter­es­sante Men­schen aus allen Ecken der Erde kennen gelernt.
An der Uni gibt es nur wenig Prä­senz­zeit, statt­des­sen wird viel Wert auf Eigen­ver­ant­wor­tung gelegt. Mit­un­ter hatte ich nur vier Ver­an­stal­tun­gen in der Woche. Grund dafür ist das Block­sys­tem. Dabei wird das Semes­ter in drei Abschnitte auf­ge­teilt: zwei mal acht und ein mal vier Wochen. Dadurch setzt man sich einen Block lang sehr inten­siv mit einem Thema pro Kurs aus­ein­an­der und schließt dann das Modul ab. So drän­gen sich die Prü­fun­gen nicht alle am Semes­ter­ende und der Stress wird gestreut. Ein Nach­teil ist, dass es keine Win­ter­se­mes­ter­fe­rien gibt. Außer­dem stehen jede Woche eine Menge Haus­auf­ga­ben an. Dafür aber bleibt die Mög­lich­keit, sich die Zeit selbst ein­zu­tei­len, Frei­räume zu schaf­fen und so das Beste aus der Zeit zu machen.

Das Hauptgebäude der Universität von Amsterdam.

Ent­spannt: Im Innen­hof des Haupt­ge­bäu­des der Uni­ver­si­tät von Ams­ter­dam kann man gut die Füße hochlegen.

Mit dem Boot durch die Stadt

Einen Schreib­kurs bele­gen, Krav Maga aus­pro­bie­ren, Van Gogh kennen lernen, Utrecht und Leiden abklap­pern: Die Liste am Anfang eines Ams­ter­dam-Semes­ters ist lang, doch so rich­tig lernt man das Land auf andere Weise kennen.
Nach einem Semi­nar wurden zwei inter­na­tio­nale Stu­den­ten und ich von einem Ein­hei­mi­schen spon­tan zu einer Boots­tour ein­ge­la­den. Das Wetter war für Ams­ter­da­mer Ver­hält­nisse per­fekt und eine Grach­ten­fahrt macht man auch nicht jeden Nach­mit­tag. Auf den großen Tou­ris­tenkäh­nen war ich bereits, aber nun fühlte ich mich rich­tig einheimisch.
Also wurde noch Bier besorgt und dann stol­per­ten wir auf „Das Boot“ – benannt nach dem U‑Boot-Film aus den 80ern – für das der Kom­mi­li­tone und drei Freunde zusam­men­ge­legt hatten. Nach einem Bier klappte es auch mit Nie­der­län­disch viel besser, meine Kom­mi­li­to­nen aus den USA und Sin­ga­pur blie­ben trotz­dem lieber bei Englisch.
Um die letz­ten Son­nen­strah­len zu genie­ßen, legten wir am Kai der Amstel an. Dort ließen wir unsere Füße bau­meln, unter­hiel­ten uns über Unter­schiede in den Kul­tu­ren und übers Kau­gum­mikauen in Sin­ga­pur. Nach dem Son­nen­un­ter­gang ging es zurück aufs Boot. Mitten auf der Amstel starb plötz­lich der Motor mit einem Röcheln. Aber irgend­wie blie­ben alle ent­spannt, tran­ken weiter ihr Bier und ver­such­ten, ein­fach den Motor wieder zum Laufen zu krie­gen. So trie­ben wir eine halbe Stunde auf dem Fluss herum, bis er end­lich wieder anging.
Meine Lehre aus der Geschichte: Ams­ter­dam lässt sich am besten vom Wasser aus ent­de­cken, zusam­men in einem Boot kommt man besser mit Ein­hei­mi­schen ins Gespräch und wenn etwas schief läuft, ruhig blei­ben: es wird schon.

Mehr Berichte aus Ams­ter­dam (auf Eng­lisch) fin­dest du im nie­der­län­di­schen Folia Maga­zine.