Amsterdamer Gelassenheit
Lehrjahre schließen keine Herrenjahre aus, wie ein Studienaufenthalt in Amsterdam zeigt. Dank des Blocksystems bleibt trotz hoher Anforderungen Zeit sich auszuprobieren.
Die meisten denken an etwas anderes als ans Studieren, wenn sie Amsterdam hören. Doch die Universität von Amsterdam ist die beste der Niederlande. Während meines ERASMUS-Aufenthalts – der Holländer Erasmus von Rotterdam ist der Namensgeber – erwartete mich hier hohes Niveau, Internationalität und ein anderes Studiensystem.
An der Humboldt-Universität hatte ich bereits zwei Semester Englisch und Geschichte studiert, wollte aber noch eine andere Sprache und Kultur kennen lernen. Daher entschied ich mich für Amsterdam: eine Hauptstadt, aber keine Metropole. Mit mir eingerechnet sind es knapp 800.000 Einwohner und ungefähr 180 Nationalitäten.
Ein Beispiel für Internationalität ist meine WG. Im ersten Semester hatte ich einen hawaiianischen Mitbewohner. Der kam am ersten Tag verdutzt in mein Zimmer und wollte wissen, was das für weiße Dinger an der Wand sind. Ich wusste erst nicht, was er meinte: Heizungskörper. Neudeutsch könnte man sagen, dass ich meine kulturelle Kompetenz entwickelt habe. Vor allem habe ich interessante Menschen aus allen Ecken der Erde kennen gelernt.
An der Uni gibt es nur wenig Präsenzzeit, stattdessen wird viel Wert auf Eigenverantwortung gelegt. Mitunter hatte ich nur vier Veranstaltungen in der Woche. Grund dafür ist das Blocksystem. Dabei wird das Semester in drei Abschnitte aufgeteilt: zwei mal acht und ein mal vier Wochen. Dadurch setzt man sich einen Block lang sehr intensiv mit einem Thema pro Kurs auseinander und schließt dann das Modul ab. So drängen sich die Prüfungen nicht alle am Semesterende und der Stress wird gestreut. Ein Nachteil ist, dass es keine Wintersemesterferien gibt. Außerdem stehen jede Woche eine Menge Hausaufgaben an. Dafür aber bleibt die Möglichkeit, sich die Zeit selbst einzuteilen, Freiräume zu schaffen und so das Beste aus der Zeit zu machen.
Mit dem Boot durch die Stadt
Einen Schreibkurs belegen, Krav Maga ausprobieren, Van Gogh kennen lernen, Utrecht und Leiden abklappern: Die Liste am Anfang eines Amsterdam-Semesters ist lang, doch so richtig lernt man das Land auf andere Weise kennen.
Nach einem Seminar wurden zwei internationale Studenten und ich von einem Einheimischen spontan zu einer Bootstour eingeladen. Das Wetter war für Amsterdamer Verhältnisse perfekt und eine Grachtenfahrt macht man auch nicht jeden Nachmittag. Auf den großen Touristenkähnen war ich bereits, aber nun fühlte ich mich richtig einheimisch.
Also wurde noch Bier besorgt und dann stolperten wir auf „Das Boot“ – benannt nach dem U‑Boot-Film aus den 80ern – für das der Kommilitone und drei Freunde zusammengelegt hatten. Nach einem Bier klappte es auch mit Niederländisch viel besser, meine Kommilitonen aus den USA und Singapur blieben trotzdem lieber bei Englisch.
Um die letzten Sonnenstrahlen zu genießen, legten wir am Kai der Amstel an. Dort ließen wir unsere Füße baumeln, unterhielten uns über Unterschiede in den Kulturen und übers Kaugummikauen in Singapur. Nach dem Sonnenuntergang ging es zurück aufs Boot. Mitten auf der Amstel starb plötzlich der Motor mit einem Röcheln. Aber irgendwie blieben alle entspannt, tranken weiter ihr Bier und versuchten, einfach den Motor wieder zum Laufen zu kriegen. So trieben wir eine halbe Stunde auf dem Fluss herum, bis er endlich wieder anging.
Meine Lehre aus der Geschichte: Amsterdam lässt sich am besten vom Wasser aus entdecken, zusammen in einem Boot kommt man besser mit Einheimischen ins Gespräch und wenn etwas schief läuft, ruhig bleiben: es wird schon.
Mehr Berichte aus Amsterdam (auf Englisch) findest du im niederländischen Folia Magazine.