Strafgericht, Nikolaus und lekker Saté
Jurastudentin Miriam hat ihren Schönfelder für sechs Monate an den Nagel gehängt, um internationale Luft zu schnuppern. Ein Erfahrungsbericht zum Praktikum am Internationalen Strafgerichtshof und seinem Standort: Den Haag.
Am liebsten bin ich in dem kleinen Café, das im Zentrum Den Haags zwischen einem Kino und einer südamerikanischen Bar versteckt ist. Dort gibt es guten Kaffee und das beste Caramel Shortbread, das ich je gegessen habe. Und gezellig, wie es die Niederländer sagen, ist es dort auch.
Dass es mich als Wahlberlinerin einmal in das kleine Land mit einem großen Herzen für frittierte Köstlichkeiten verschlagen würde, hätte ich vor einem Jahr nicht gedacht. Am Ende waren es mein Interesse für Internationales Strafrecht und eine erfolgreiche Initiativbewerbung am Internationalen Strafgerichtshof, die mich nach Den Haag geführt haben.
Seit Oktober lebe ich in einer kleinen Wohnung in Voorburg, einem Vorort von Den Haag, und gehe jeden Tag zu meinem Praktikum in der Victim Participation and Reparation Section (VPRS). Dort arbeite ich unter anderem an Bewerbungen von Opfern von Völkerrechtsverbrechen, die an anstehenden Verfahren teilnehmen wollen. Aufgabe der VPRS ist es, die Opfer durch Teilhabe- und Entschädigungsmöglichkeiten zu unterstützen. Dabei ist die VPRS als Teil des Registry und des administrativen Unterbaus des Gerichtshofs objektiv und neutral. Der Gerichtshof agiert seit 2002 und seine gesetzliche Grundlage, das Rom-Statut, hat 123 Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland und die Niederlande.
Das internationale Team der VPRS hat uns Praktikanten mit offenen Armen und viel Unterstützung aufgenommen. Für viele ist es die erste Arbeitserfahrung und so ist es kein Wunder, dass administrative Hürden des Arbeitsalltags gemeistert werden mussten. Nachdem ich die Unsicherheiten der ersten Wochen abgelegt habe, fühle ich mich mittlerweile sehr wohl und bereue die Entscheidung, mein Jurastudium für diese Erfahrung ein halbes Jahr zu unterbrechen, nicht eine einzige Sekunde.
Dass sich der Gerichtshof in Den Haag befindet, ist Segen und Fluch zugleich. Ein Segen, weil Den Haag eine unwahrscheinlich internationale und vielseitige Stadt ist, voll von wichtigen und interessanten Organisationen und Veranstaltungen. Dazu zählt zum Beispiel das Jugoslawien-Tribunal der Vereinten Nationen. Es ist aber auch ein Fluch, weil es sich leicht vermeiden lässt Niederländisch zu lernen – denn jeder spricht einwandfrei Englisch. Ich habe deshalb den Eindruck, dass Den Haag nicht unbedingt eine typisch niederländische Stadt ist. Dennoch habe ich schon ein wenig über ihre Bewohner erfahren können.
Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass viele Niederländer tief in ihrem Herzen Berliner sind. Warum? Auch wenn sie es gern gezellig mögen, machen sie in Geschäften – besonders am Morgen – eher einen reservierten bis missgelaunten Eindruck. Vielleicht hatten sie einfach noch keinen Kaffee. Den trinken sie nämlich viel lieber abends um 20 Uhr.
Neben der bereits erwähnten Tatsache, dass viele lokale Spezialitäten Kalorienbomben sind – man erwähne nur Pommes mit Saté (Erdnusssoße) oder Kroket (eine frittierte Fleischpaste in Form einer Krokette) – gibt es eine Sache, ohne die ein Niederländer kaum leben kann: Hagelslag. Diese Streusel, die es in den verschiedenen Geschmacksrichtungen gibt, finden ihren Weg aufs Frühstücksbrot. Das ist lekker!
Wie überall in den Niederlanden, so geht auch in Den Haag nichts ohne Fahrrad. Fahrrad gefahren wird schon bevor man laufen kann – eben als Passagier in Muttis Korb. Ich habe ein klassisches Omafiets erworben und erkunde damit regelmäßig die Stadt.
Was mir bereits klar geworden ist: Weihnachten ist hier ganz anders. Das eigentliche Highlight der Weihnachtszeit ndet um den 5. Dezember statt. Das ist der Tag, an dem Geschenke an Kinder verteilt werden und man gemütlich beisammen sitzt. Gefeiert wird nicht der Weihnachtsmann oder das Christkind, sondern Sinterklaas, der auf St. Nikolaus zurückzuführen ist und bereits ab dem 14. November feierlich in einem Umzug durch die Stadt begrüßt wird.
Auch um den 24. Dezember herum wird gefeiert, aber ich habe den Eindruck, dass Sinterklaas die größere Bedeutung zugemessen wird. Damit einhergehend entbrennt jedes Jahr die Diskussion um den „Zwarte Piet“, dem Helfer von Sinterklaas, vergleichbar mit unserem Knecht Ruprecht. Dabei ist der Schwarze Peter jedoch eine schwarz bemalte Person, die eine Perücke mit krausem Haar trägt und Ohrringe oder einen rot bemalten Mund hat. Dies hat in den letzten Jahren zur Diskussion um Blackfacing, Rassismus und der kolonialen Geschichte der Niederlande geführt.
Als Außenstehende ist der traditionelle Hintergrund dieser Veranstaltungen nur bedingt nachzuvollziehen. Einige Städte und Gemeinden haben bereits eingelenkt und lassen nun Sinterklaas-Helfer als Ruß beschmierte Person aus dem Kamin auftreten – weg von dem Bezug auf die Hautfarbe.
Ich bin gespannt, wie die nächsten Monate verlaufen und wie viel ich von den Niederländern noch über ihre Traditionen erfahren kann. An der Sprache arbeite ich jedenfalls schon. Tot ziens!