Mexiko: Wunderbarer Moloch
Mexiko-Stadt ist eine der berüchtigtsten Großstädte der Welt. Warum eine Reise dahin lohnt, erfuhr ich durch ein Praktikum beim DAAD.
Eigentlich stellte ich mich gerade in Madrid auf zwei Erasmussemester an der Universität Complutense ein, als ich die Zusage des DAAD für ein dreimonatiges Praktikum in Mexiko-Stadt bekam. Der DAAD hat weltweit 15 Außenstellen, um Deutschlands Hochschullandschaft im Ausland zu repräsentieren. Neben der Stipendienvergabe werden Deutschland als Studien- und Forschungsstandort beworben und Netzwerke mit den Universitäten der Gastländer geknüpft. Mich reizte an einem Praktikum beim DAAD neben den vielseitigen Aufgaben besonders die Arbeit in einem buntgemischten Team aus deutschen, mexikanischen und anderen lateinamerikanischen Mitarbeitern. Ohne Umschweife sagte ich zu und machte mich nach einem Semester in Madrid auf in die zweitgrößte Stadt der Welt.
Meine Vorfreude wurde von Sorgen begleitet. Mir fielen Zeitungsmeldungen zu Entführungen, Überfällen und Morden wieder ein. Außerdem Berichte über das überwältigende Verkehrschaos und den nasenschleimhautzersetzenden Smog. Diese Bedenken blieben auch während meines Aufenthalts: Eine meiner Aufgaben beim DAAD war es, die Tagespresse nach Berichten zur Universitätslandschaft zu untersuchen. Beim Überfliegen der sonstigen Artikel stolperte ich mehr als einmal am Tag über schockierende Verbrechensnachrichten.
Auch die Gerüchte zu Luft und Verkehr sind keinesfalls böswillige Übertreibungen. Das Verkehrssystem in Mexiko-Stadt ist derart überlastet, dass sich die Autokolonnen auf zehnspurigen Straßen teils nur im Schritttempo und lautstark hupend voranquälen. Wer einmal mit dem Bus in dem Verkehrsgewühl festgesteckt hat, weiß, wie sich exzessives Leimschnüffeln anfühlen muss.
Wer sich aber dennoch in Bus oder U‑Bahn setzt, kann entdecken, wie schön und vielfältig „El D. F.“ ist: Die glitzernden Wolkenkratzer an der Paseo de la Reforma, einer der längsten Straßen der Welt. Die unzähligen Restaurants und Cafés der Condesa, die sich dicht an dicht gedrängt durch das ganze Viertel ziehen. Der verschlafene Stadtteil Coyoacán, in dem einst Frida Kahlo lebte und wo es in den bunten Gassen nach Blumen duftet. Oder die Plaza Garibaldi, auf der Abend für Abend Mariachis um die Wette musizieren.
Bei einem Ausflug durch die Stadt kommt man leicht mit Einheimischen ins Gespräch. Mexikaner sind meist neugierig und überdies sehr hilfsbereit. Ich lernte schnell ein paar Studenten kennen, die mich von da an zu sämtlichen Familienfesten und Partys mitnahmen, wie zu der ausgelassenen Feier zum Día de la madre, dem Muttertag, oder der mexikanischen Hochzeit mit über 500 Gästen und Tanzen bis zum Sonnenaufgang. Solche Feiern sind hervorragende Gelegenheiten, um die Bekanntschaft zu machen mit Mezcál, einem Tequila-ähnlichen Getränk, das es in über 150 Geschmackssorten von Baileys bis Tabasco gibt und das zu jedem Anlass und jeder Tageszeit die Gemüter erfreut.
Auch die mexikanische Küche ist in ihrer scheinbaren Schlichtheit unvergesslich. Irgendwie besteht jedes Gericht aus Tortilla – gewickelt, gerollt, gebraten, frittiert, gefüllt, als Beilage. Die Mexikaner sind dennoch unsagbar stolz auf ihre „comida“. Und wirklich, es schmeckt.
Wer ab und an dem Großstadtdschungel entliehen und frische Luft schnappen möchte, für den bieten sich viele Ausflugsziele an, wie das entzückende Weltkulturerbestädtchen Guanajuato, die alte Silberhauptstadt Tasco oder die gewaltigen Pyramiden von Teotihuacán.
Frische Energie geschöpft, kann man sich wieder in den Praktikumsalltag stürzen – und der ist in der kleinen, aber emsigen DAAD-Außenstelle durchaus anspruchsvoll: Als Praktikant hilft man bei allen Projekten und Vorträgen, fährt mit zu Messen, führt Beratungsgespräche und schreibt Newsletter für die mexikanischen Unis. Oder man schlürft Cocktails auf einem der glanzvollen Empfänge des DAAD, der Botschaft oder des Goethe-Instituts und plant in Gedanken die nächsten Ausflüge in und um Mexiko-Stadt.