Erfolgreich weise

Die phi­lo­so­phi­sche Logik hilft, Gedan­ken zu ordnen, und wird so zum unschätz­ba­ren Hilfs­mit­tel im stres­si­gen Alltag.

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Stu­den­ten sind im Stress. Grund­sätz­lich. Bolo­gna brachte viel Auf­re­gung in unsere anschei­nend zu unspek­ta­ku­lä­ren klei­nen Leben, wir stehen seit zehn Jahren immer wieder vor neuen Her­aus­for­de­run­gen. Viele von uns haben ein Leben nach, vor und abseits des Stu­den­ten­all­tags: Sie gehen arbei­ten. Auf ihrer Praktikums‑, Aus­hilfs – oder Teil­zeit­stelle werden sie mit dem täg­li­chen Wahn­sinn konfrontiert.

Wir leben in einer Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft. Täg­lich werden uns neue Mel­dun­gen, neue Themen, neues Wissen zuge­tra­gen – Twit­ter und Web 2.0 sei Dank. Auch in unse­rem Arbeits­all­tag spüren wir das, wenn eine Tren­nung zwi­schen Privat- und Arbeits­le­ben über­haupt noch besteht. Die Gren­zen werden undeut­li­cher. All­zeit werden dem Stu­dent von heute eine hohe Fle­xi­bi­li­tät, gren­zen­lose Fähig­kei­ten in allen Berei­chen und ein paar Softs­kills wie Team­fä­hig­keit, Freund­lich­keit und Füh­rungs­fä­hig­kei­ten abver­langt. Damit tragen wir, die nächste Genera­tion der Viel- und Alles­schaf­fen­den, einen gewal­ti­gen Ruck­sack mit uns herum, der schwer auf unse­ren Schul­tern lastet. Dann den Über­blick zu behal­ten, sich nicht in Klei­nig­kei­ten zu ver­lie­ren, ist grundlegend.

Das System im Kopf

Es gibt weder Patent­re­zept noch All­heil­mit­tel, und die abso­lute Per­fek­tion in allen Lebens­be­rei­chen anzu­stre­ben ist unrea­lis­tisch. Aber es gibt eine grund­le­gende Fähig­keit, die man sich aneig­nen, erler­nen kann. Sie heißt: phi­lo­so­phi­sche Logik. In diesem Teil­ge­biet der Phi­lo­so­phie als uni­ver­si­tä­rer Dis­zi­plin lernen Stu­den­ten, aus wel­chem logi­schen Netz die mensch­li­che Spra­che gespon­nen ist. Es wird geübt, wie man Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter ent­deckt. Dabei steht im Vor­der­grund, wie man sich aus­drü­cken muss, damit das Gesagte Sinn ergibt. Das schult unwei­ger­lich das eigene Denken; oft erwischt man sich bei unlo­gi­schen Gedan­ken. Der Lern­effekt ist, dass man prä­zi­ser urteilt und klarer argu­men­tiert. Wer gelen­kig im Kopf ist, Arbeits­pro­zesse in Prio­ri­tä­ten unter­tei­len, gedank­li­che Ebenen unter­schei­den kann, hat schon halb gewonnen.

Hier die These: Man­gelnde Orga­ni­sa­tion beginnt im Kopf. Wer sich bereits in seinen Gedan­ken ver­liert, findet auch in seinem Arbeits­le­ben keinen roten Faden. Wer mor­gens nicht weiß, was er an diesem Tag errei­chen möchte, sei es den leben­den Haus­müll her­un­ter­zu­brin­gen, sei es, den längst fäl­li­gen Brief an Mutti zu schrei­ben, wird auch nicht wissen, was er in seinem Leben errei­chen möchte.

Natür­lich kann auch das Prin­zip „krea­ti­ves Chaos“ funk­tio­nie­ren. Der ent­rückte Künst­ler von nebenan, der splee­nige Jour­na­list und die Kul­tur­wis­sen­schaft­le­rin aus dem Insti­tut bewei­sen es. Solche Men­schen leben viel­leicht nach außen dieses Prin­zip, aber sie wissen, was sie möch­ten und errei­chen ihre Ziele. Sie sind so dis­zi­pli­niert, dass sie jeden Tag eine Seite schrei­ben, ein Bild malen, Auf­sätze lesen und Arti­kel schrei­ben. Sie haben die Bega­bung, sich in einer Flut von Ideen, Auf­ga­ben und Struk­tu­ren zu organisieren.

Diese Fähig­keit hilft bereits in der Stu­di­en­or­ga­ni­sa­tion und zieht sich bes­ten­falls durch das ganze Leben. Schon in der Uni muss man sich als Mensch-Maschine in den neuen Stu­di­en­gän­gen orga­ni­sie­ren: Neben den Haus­ar­bei­ten und Klau­su­ren, die am Ende eines jeden Semes­ters anste­hen, müssen auch Zeit­puf­fer für das Anfer­ti­gen von Refe­ra­ten und Pro­to­kol­len ein­ge­plant werden. Kurz­fris­tige und lang­fris­tige Pro­jekte wie Bache­lor- oder Mas­ter­ar­beit müssen auf­ein­an­der abge­stimmt werden; klei­nere Teil­schritte wie Recher­che, Biblio­theksausleihe, Ter­mine mit Pro­fes­so­ren und Dozen­ten müssen mit­be­dacht werden.

Um mög­lichst ent­spannt mit sol­chen Situa­tio­nen leben zu können, sollte man in seinem Denken fle­xi­bel und klar sein, Pro­zesse und ihren Auf­wand rea­lis­tisch ein­schät­zen können und nicht in seinem eige­nen Gedan­ken­chaos versinken.

Ein neues Denken studieren

Lernen kann man diese „Soft Skills“ bes­ten­falls im Hör­saal nebenan. Dazu muss man sich nur in ein gutes Logik­se­mi­nar der Phi­lo­so­phie-Insti­tute setzen. Natür­lich kommt man um die Grund­la­gen nicht herum: Was ist eine Exis­tenz­aus­sage? Warum ist die Aus­sage „Wenn Berlin in den USA liegt, ist Schnee schwarz“ logisch wahr? Wen inter­es­siert es, dass der Begriff Jung­ge­selle dadurch defi­niert ist, dass der Mann unver­hei­ra­tet ist? Auf den ersten Blick Fragen, die die Welt nicht braucht.

Nach dem beschwer­li­chen Anfang beginnt man, phi­lo­so­phi­sche Texte besser zu ver­ste­hen. Es flam­men einem kau­sale Struk­tu­ren wie „wenn“, „dann“, „für alle x gilt“ auf, und man sieht die Wich­tig­keit dieser Aus­sa­gen. Wenn ein Phi­lo­soph behaup­tet, dass nur dann, wenn Gott exis­tiert, mora­li­sche Gesetze gelten, dann können Athe­is­ten sämt­li­che mora­li­sche Beden­ken über Bord werfen. Oder in die Kirche gehen. Über­tra­gen auf den Arbeits­tag gilt: Ich habe am Nach­mit­tag ein Mee­ting, bei dem ich eine Prä­sen­ta­tion halten muss. Dafür brau­che ich noch Fakten, die ich recher­chie­ren muss, sowie zwei Sta­tis­ti­ken. Neben­bei laufen die Arbeits­pro­zesse weiter. Hier hilft es, wenn man sich deut­lich macht, wel­cher Arbeits­schritt vor dem ande­ren kommen muss. Es hilft nichts, wenn man die Folien gestal­tet und kurz vor dem Termin merkt, dass man die Sta­tis­ti­ken anfor­dern muss, und der Kol­lege aber gerade in der Mit­tags­pause ist. Also: Zuerst Anfra­gen, eine Folie ist dann schnell gebastelt.

Wenn Kreter lügen

Eine klare und les­bare Ein­füh­rung in das Thema bietet der Ber­li­ner Phi­lo­so­phie­pro­fes­sor Holm Tetens mit seinem Buch „Phi­lo­so­phi­sches Argu­men­tie­ren“. Das klar geglie­derte Buch führt zunächst in die Begriff­lich­kei­ten der Logik ein, ein wenig Kon­zen­tra­tion wird vom Leser also ver­langt. Im Anschluss betritt man die Welt der phi­lo­so­phi­schen Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter. Wer auf­passt und die Erläu­te­run­gen gut durch­denkt, wird ver­blüfft über die Struk­tur unse­rer Spra­che sein. Ein Bei­spiel, das als Taschen­spie­ler­trick unter den Erst­se­mes­tern gehan­delt wird: Stel­len wir uns vor, es gibt einen Kreter, der behaup­tet, dass alle Kreter lügen. Wenn aber seine Aus­sage, dass alle Kreter lügen wahr ist, dann ist seine Aus­sage gleich­zei­tig falsch, denn er ist ja selber Kreter! Aber wenn seine Aus­sage falsch ist, weil halt alle Kreter lügen, dann ist seine Aus­sage wie­derum wahr, denn er hat in diesem Fall gelogen!

Ludwig Witt­gen­stein, Mit­be­grün­der der Ana­ly­ti­schen Phi­lo­so­phie, würde sagen, dass sich hier unser Ver­stand Beulen holt. Wie wir es drehen und wenden, es bleibt ein Gedan­ken­knäuel. Um sol­chen logi­schen Ver­wir­run­gen auf den Grund zu kommen, ist es hilf­reich, wenn man das sprach­li­che und logi­sche Hand­werks­zeug zur Stelle hat. Phi­lo­so­phie gibt es seit 2.000 Jahren, es ist kaum eine end­gül­tige Lösung auf große Fragen gefun­den worden. Aber begin­nen wir doch bei uns selbst und seien unser eige­nes Rätsel.

Buch­tipp
Phi­lo­so­phi­sches Argumentieren
Holm Tetens
311 Seiten, 14,90 Euro

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Über Christiane Kürschner (89 Artikel)
2004 bis 2010 Studium (Philosophie, Deutsche Philologie, AVL) an der FU, HU und Uni Bern. 2007 bis 2010 Fachjournalistikstudium. PR-Volontariat bis Juni 2011. Seit Juli 2011 freie Autorin und Texterin. Ihre Leidenschaften: Bücher, Fotografie und Essen- und in allem viel Farben. www.frollein-wortstark.de
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