Vernunft und Glaube

Darf man im Zeit­al­ter der Natur­wis­sen­schaf­ten noch glau­ben? Wis­sen­schaft und Reli­gion schlie­ßen sich nicht aus.

Ob Gott die Erde schuf oder nicht, ist durch­aus strit­tig. In den USA gibt es immer wieder Dis­kus­sio­nen, den gött­li­chen Schöp­fungs­akt in der Schule zu unter­rich­ten. Vor allem Krea­tio­nis­ten sehen in den Erkennt­nis­sen der Natur­wis­sen­schaf­ten noch nicht das letzte Wort. Wir spra­chen mit Holm Tetens, Phi­lo­so­phie-Pro­fes­sor an der FU, über das Ver­hält­nis von Reli­gion und Wissenschaft.

Haben die Religionen gegen die Naturwissenschaften verloren?

Sicher haben die Natur­wis­sen­schaf­ten dazu bei­getra­gen, dass reli­giöse Über­zeu­gun­gen heute für viele Men­schen wenig plau­si­bel sind und daher nicht mehr all­ge­mein­ver­bind­li­che Wahr­hei­ten dar­stel­len. Das lag zwar nicht in der Absicht der Natur­wis­sen­schaf­ten, ist gleich­wohl eine ihrer lang­fris­ti­gen Wir­kun­gen. Gleich­zei­tig sind die Natur­wis­sen­schaf­ten aber nicht in der Lage, die reli­giö­sen Inhalte und Über­zeu­gun­gen defi­ni­tiv zu wider­le­gen. Logisch betrach­tet ver­hal­ten sich die Wis­sen­schaf­ten neu­tral gegen­über den reli­giö­sen Inhal­ten. Inso­fern ist ein wis­sen­schaft­li­cher Athe­is­mus ein ebenso höl­zer­nes Eisen wie ein wis­sen­schaft­lich fun­dier­ter Theismus.

Trotzdem werden Gottesbeweise diskutiert und neu formuliert. Besteht Hoffnung, den Glauben wieder plausibel zu machen?

Got­tes­be­weise sind ein intel­lek­tu­ell auf­re­gen­des Kapi­tel Phi­lo­so­phie- und Geis­tes­ge­schichte. Obwohl sie von einem phi­lo­so­phi­schen Stand­punkt aus betrach­tet nicht defi­ni­tiv wider­legt worden sind, gehen die meis­ten Phi­lo­so­phen und Theo­lo­gen davon aus, dass die Got­tes­be­weise ihr Ziel nicht errei­chen. Nur eine Min­der­heit hält die Got­tes­be­weise für schlüs­sige Argu­mente. Aller­dings sind sich die Kri­ti­ker nicht einig, wo die Schwä­chen und Fehler der Got­tes­be­weise genau liegen. Inso­fern bemüht man sich wei­ter­hin um eine gründ­li­che logi­sche Ana­lyse der Got­tes­be­weise, auch wenn solche Ana­ly­sen nichts daran ändern dürf­ten, dass sich die Exis­tenz Gottes nicht über­zeu­gend und schlüs­sig bewei­sen lässt.

Holm Tetens

Sind solche Bemühungen auch ein Motiv des Kreationismus?

Der Krea­tio­nis­mus ist des­halb attrak­tiv, weil er im Kern der Auf­fas­sung ist, das Uni­ver­sum sei sinn­voll ein­ge­rich­tet, und das lasse sich mit einer über­mensch­li­chen, pla­nen­den Intel­li­genz erklä­ren, die das Uni­ver­sum her­vor­ge­bracht habe. Solche Spuren eines intel­li­gen­ten Wel­ten­schöp­fers und einen letz­ten Sinn können hin­ge­gen die Wis­sen­schaf­ten nicht erken­nen. Das emp­fin­den reli­giöse Men­schen als unbe­frie­di­gend. Sie glau­ben, dass die Ent­wick­lung des Uni­ver­sums und der Mensch­heit ziel­ge­rich­tet ver­laufe und in einen End­zweck münde, der dem Ganzen Sinn ver­leiht. Solche Sinn­be­dürf­nisse sind ver­ständ­lich, aber die Wis­sen­schaft kann sie weder befrie­di­gen noch stützen.

Wird die Religion diese unbefriedigende Lücke wieder schließen?

Man kann die Zukunft unse­rer Kultur und Zivi­li­sa­tion nicht vor­her­sa­gen. Ich halte es aber für sehr unwahr­schein­lich, dass die Reli­gio­nen als domi­nante Deu­tungs­macht zurück­keh­ren, ver­gleich­bar der Stel­lung des Chris­ten­tums im Hoch­mit­tel­al­ter. Wahr­schein­li­cher ist, dass die span­nungs­rei­che Plu­ra­li­tät ver­schie­de­ner reli­giö­ser Über­zeu­gungs­sys­teme und Welt­an­schau­un­gen fort­dau­ern wird. Für den Zusam­men­halt von Gesell­schaf­ten und Kul­tu­ren können aus diesen Span­nun­gen immer wieder Pro­bleme erwachsen.

Welche Probleme können das sein?

Reli­giöse Über­zeu­gun­gen können sich dog­ma­tisch ver­här­ten und bean­spru­chen dann, letzte, all­ge­mein­ver­bind­li­che und unan­tast­bare Wahr­hei­ten dar­zu­stel­len, sodass sie kon­kur­rie­rende Über­zeu­gun­gen neben sich nicht mehr dulden. Momen­tan droht uns eine solche Gefahr durch den Fundamentalismus.

Über Christiane Kürschner (89 Artikel)
2004 bis 2010 Studium (Philosophie, Deutsche Philologie, AVL) an der FU, HU und Uni Bern. 2007 bis 2010 Fachjournalistikstudium. PR-Volontariat bis Juni 2011. Seit Juli 2011 freie Autorin und Texterin. Ihre Leidenschaften: Bücher, Fotografie und Essen- und in allem viel Farben. www.frollein-wortstark.de
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