Abschlussgesang – Das Diplom muss scheiden

Die Alli­anz der füh­ren­den Tech­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten in Deutsch­land (TU9) feiern den Dipl.-Ing., mit einer Fest­schrift und sagen damit: „Glück­wunsch, Dipl.-Ing! – Ein Güte­sie­gel made in Ger­many wird 111 Jahre alt”.

Festschrift_Diplom_TU9_Cover

Kaiser Wil­helm führte den Abschluss 1899 ein, um den Inge­nieuren dieses Landes Res­pekt zu zollen. Seit­her haben deut­sche Erfin­der viel Gutes über uns gebracht, wie die Ther­mos­fla­sche (Rein­hold Burger, 1866), die Chip­karte (Jürgen Deth­l­off, Helmut Gröt­trup, 1968) und das Papier­ta­schen­tuch (Oskar Rosen­fel­der, 1929). In den trüben Jahren des Ersten und Zwei­ten Welt­krie­ges taten sich deut­sche Inge­nieure mit eher unhel­den­haf­ten Taten hervor: Auto­bahn­bau, Rüs­tung und Kon­sum­gü­ter­in­dus­trie. „Der Inge­nieur konnte sich in dem tech­no­phi­len Klima der Nationalsozia­listen hoch­ge­schätzt fühlen, die in der Wei­ma­rer Zeit auf­ge­kom­mene hef­tige Tech­nik­kri­tik war ver­stummt”, wird dort berich­tet. Eine Auf­wer­tung des Inge­nieur­be­ru­fes und damit die Reha­bi­li­tie­rung setz­ten erst in den 60er und 70er ein.

In der Bro­schüre wird vor allem Wert darauf gelegt, zu beto­nen, wie wich­tig es ist, den Abschluss durch den Bolo­gn­a­pro­zess zu retten. In tiefem Brust­ton wird von der Marke gespro­chen, die der Dipl.-Ing. ist, und die TU9 sehen den Nie­der­gang deut­scher Wert­wirt­schaft voraus, wenn der Titel durch einen sprö­den „Master of Sci­ence” ersetzt werden würde. „Wer dieses gran­diose Mar­ken­zei­chen abschaf­fen oder auch nur ver­än­dern wollte, würde eine unge­wöhn­li­che Dumm­heit bege­hen”, heißt es dort. Dass die Bau­in­ge­nieure mit ihrer Arbeit über­zeu­gen können, ohne auf den Titel zu refe­rie­ren, scheint den TU9 nicht in den Sinn zu kommen. Die fort­schritt­li­chen Geis­ter soll­ten Hein­rich Sei­dels Inge­nieur­lied kon­sul­tie­ren. Dort heißt es in der letz­ten Stro­phe: „Die Inge­nieure sollen leben! In Ihnen kreist der wahre Geist der aller­neus­ten Zeit! Dem Fort­schritt ist ihr Herz erge­ben, dem Frie­den ist hie­nie­den ihre Kraft und Zeit geweiht!” Die neuen Stu­di­en­gänge mit Geist erfül­len könnte ein Fort­schritt sein. Es zählt was drin ist, nicht was draufsteht.

Über Christiane Kürschner (89 Artikel)
2004 bis 2010 Studium (Philosophie, Deutsche Philologie, AVL) an der FU, HU und Uni Bern. 2007 bis 2010 Fachjournalistikstudium. PR-Volontariat bis Juni 2011. Seit Juli 2011 freie Autorin und Texterin. Ihre Leidenschaften: Bücher, Fotografie und Essen- und in allem viel Farben. www.frollein-wortstark.de
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