Glückskind

Es gibt zahl­rei­che Vor­ur­teile gegen den Master. Doch in der Praxis können die Vor­teile überzeugen.

„Zum Glück kann ich noch auf Diplom stu­die­ren!“ – Solche und ähn­li­che Aus­sa­gen habe ich schon oft gehört. Das Bache­lor-Master-System schlecht­zu­re­den scheint unter Stu­den­ten Volks­sport zu sein. Ist das nur Angst vor dem Neuen oder wirk­lich begrün­dete Kritik? Als Mas­ter­stu­den­tin, die kurz vor dem Abschluss steht, habe ich einen ganz per­sön­li­chen Ein­druck vom Master-Fee­ling bekom­men. Zeit, mit eini­gen Vor­ur­tei­len aufzuräumen.

Zu viel Stoff, keine Anglei­chung des Lehr­plans, keine Zeit für andere Akti­vi­tä­ten. Das sind die Haupt­ar­gu­mente von Diplom- oder Magis­ter­stu­den­ten gegen den Master. Meine Erfah­run­gen sind andere. Man kann sich die Zeit recht fle­xi­bel ein­tei­len, denn die Woche ist nicht mit Vor­le­sun­gen und Semi­na­ren voll­ge­stopft, son­dern viele Leis­tungs­punkte werden für eigen­stän­di­ges Arbei­ten ver­ge­ben. Die weni­gen Pflicht­ver­an­stal­tun­gen sollte man aller­dings zum vor­ge­se­he­nen Zeit­punkt durch­zie­hen, da die meis­ten Kurse nur einmal im Jahr ange­bo­ten werden. Wer plant, in zwei Jahren, inklu­sive Mas­ter­ar­beit im vier­ten Semes­ter, fertig zu werden, schafft das nur mit einem durch­dach­ten Stundenplan.

Ein Neubeginn

Für mich war der Master ein Neu­be­ginn. Neue Kom­mi­li­to­nen, neue Uni, neue Stadt. Gele­gen­heit für eine Zwi­schen­bi­lanz: Was hat mich am bis­he­ri­gen Stu­dium beson­ders inter­es­siert, und wie möchte ich wei­ter­ma­chen? Der Master ist des­halb nicht bloße Fort­füh­rung des Stu­di­ums. Er ermög­licht die Spe­zia­li­sie­rung in einem bestimm­ten Gebiet oder kann ein Anreiz sein, in noch unbe­kannte Gefilde vor­zu­drin­gen. Dafür gibt es die nicht-kon­se­ku­ti­ven Mas­ter­stu­di­en­gänge, in denen man ein kom­plett neues Fach stu­die­ren kann – nicht, um das vor­he­rige Stu­dium über den Haufen zu werfen, son­dern um ganz gezielt zusätz­li­che Kom­pe­ten­zen zu erwerben.

Als Master-Stu­den­tin fand ich mich in einer feinen, klei­nen Runde bunt gemisch­ter neuer Gesich­ter wieder. Dass diese­ Gesich­ter ver­schie­dens­ter Her­kunft waren, mag am Fach liegen. Grund­sätz­lich bietet es sich auch an, sein Stu­dium mit einem Master im Aus­land fort­zu­füh­ren, und zwar inner­halb eines kom­pak­ten Stu­di­ums von ein bis zwei Jahren. So kann kein Nach­teil dadurch ent­ste­hen, dass auf­grund nicht-aner­kann­ter Kurse im Aus­land die Stu­di­en­zeit an der Heimat-Uni ver­län­gert werden muss.

Eine Frage der Motivation

Der erste Ein­druck, dass die Kom­mi­li­to­nen aus dem „alten“ System irgend­wie länger für ihr Stu­dium brau­chen, hat sich nicht bestä­tigt. Es ist eine Sache der Ein­stel­lung, die bei Diplom‑, Magister‑, und Mas­ter­stu­den­ten glei­cher­ma­ßen vari­iert. Einige möch­ten viel­leicht gar nicht so schnell fertig werden, da mit dem Abschluss die so umschwärmte „schönste Zeit des Lebens“ ein Ende findet. Dazu kommt der große Berg an Lern­stoff, den es vor der Abschluss­prü­fung zu über­win­den gilt. Abschluss­prüfung? Im Master ist die passé. Wer sich tapfer durch Refe­rate, Haus­ar­bei­ten und Modul­prü­fun­gen am Ende jedes Semes­ters gekämpft hat – wohl wis­send, dass jede Note zählt – hat nach der Abgabe der Mas­ter­ar­beit keine Sorgen mehr.

Worin liegt dann der Grund für Mas­ter­stu­den­ten, den Abschluss hin­aus­zö­gern? Ganz klar die Frage: Was kommt danach? Denn die Vor­stel­lun­gen über die beruf­li­che Zukunft sind oft noch nicht gefes­tigt, und die Ent­schei­dung dar­über nimmt einem keiner ab. Das neue System soll zwar „berufs­taug­li­cher“ sein. Aber der Ver­such, die Stu­den­ten mit dem Master auf ihre beruf­li­che Lauf­bahn vor­zu­be­rei­ten, ist noch nicht über­all gelun­gen. Oft wählen die Unis – bewusst oder unbe­wusst – den alt bewähr­ten Weg der For­schungs­ori­en­tie­rung. Ob alle Absol­ven­ten des Mas­ters eine Pro­mo­tion anstre­ben und nach dem Abschluss als Dok­to­ran­den Anschluss finden würden, ist frag­lich. Ist man nicht darauf aus, sein Leben der Wis­sen­schaft zu widmen, ver­sucht man, aus seinem Stu­dium so viel an beruf­lich rele­van­ten Kom­pe­ten­zen wie mög­lich zu ziehen. Und die freie Zeit sinn­voll zu nutzen. Was letzt­end­lich zählt, sind Krea­ti­vi­tät und Eigeninitiative.

Über Inga Lín Hallsson (8 Artikel)
BA 2004-2007 an der Uni Bonn und Sorbonne in Paris in Deutsch-französiche Studien, danach 2007-2009 MA an der FU Berlin in Sprachen Europas. Jetzt Volontärin beim TASCHEN Verlag in Köln.