Menschmaschine – Hirndoping für Studenten
Mit Pillen soll man in Zukunft das Leistungsvermögen eines Menschen bis zur Unendlichkeit treiben können. Aber auch wenn das funktioniert, bleibt die ethische Konsequenz.
Die Informationsgesellschaft treibt mitunter seltsame Blüten. Studenten müssen Informationen aufnehmen, verarbeiten und zu gegebener Zeit wieder ausspucken. Es scheint nicht zu interessieren, wie man diese Daten aufnimmt und verdaut. Nach dem Studium endet das nicht. Im Berufsleben soll man aufnahmefähig sein, hochkonzentriert arbeiten – und das möglichst lang. Wenn die geistigen und körperlichen Kapazitäten erschöpft sind … der Gedanke von einem Ende der Leistungsbereitschaft wird in einer Leistungsgesellschaft ausgeblendet. Nun wird das Ende der geistigen Leistungsfähigkeit weiter in Richtung Unendlichkeit verlagert. Man nennt das neue Wunder Hirndoping.
Ein Traum wird wahr
Mit ein paar Pillen, die normalerweise depressive Menschen oder an ADHS Erkrankte einnehmen müssen, kann ein gesunder Mensch Müdigkeit vertreiben, schnell viel Text inhaltlich fassen und konzentriert einer Tätigkeit nachgehen. Wem Hirndoping zu negativ klingt, der nennt so etwas „Neuro-Enhancement”. In den vergangenen Jahren gab es eine zunehmende Berichterstattung über das Medikament Prozac, das ein Glücksbringer der USA geworden ist. Das Mittel für schwerkranke Depressive wird dort seit vielen Jahren verschrieben. Nicht nur Depressiven. Es macht alle Menschen ausgeglichener und glücklicher.
Die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) hat ihren jährlich erscheinenden Report 2009 dem Thema „Doping am Arbeitsplatz – Leistungssteigerung durch Psycho- und Neuropharmaka” gewidmet. Dort halten es 25 Prozent der Befragten für vertretbar, zur Verbesserung der Konzentration Hirndoping zu betreiben. Auch wenn die Studie nicht repräsentativ ist, gibt sie einen Trend an. Bei einer Onlineumfrage des Magazins „Gehirn & Geist” äußerten sich 69 Prozent der 170 Teilnehmer positiv über die Einnahme von leistungssteigernden Medikamenten. Bei einer „Nature”-Umfrage waren es sogar 80 Prozent. Es scheint eine positive Grundeinstellung zu geben, das Thema Hirndoping gewinnt an Wichtigkeit. An der Universität Mainz läuft noch bis 2011 eine langfristig angelegte Studie zu diesem Thema.
Was es ist
Prof. Klaus Lieb ist der Leiter dieser Studie und Facharzt sowie Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz. In seinem Buch „Hirndoping – Warum wir nicht alles schlucken sollten” gibt er Antworten auf drängende Fragen. So gibt es bisher keine repräsentativen Studien zu dem Missbrauch von Medikamenten als Hirndopingmittel in Deutschland. Bereits bei der Definition muss man genau hinschauen. Kaffee ist ein Mittel zur Leistungssteigerung, es ist aber weder verschreibungspflichtig noch ein Medikament. Wenn eine Studentin ihrem an ADHS erkrankten Bruder das Ritalin klaut, um für Prüfungen zu büffeln, ist das Medikamentenmissbrauch. „Von Missbrauch sprechen wir deshalb, weil das konsumierte Medikament nicht für Hirndoping-Zwecke entwickelt wurde, sondern zur Behandlung einer Erkrankung”, erklärt Lieb.
Nicht bedenklich
Zugute halten kann man den Medikamenten, dass bei ihnen bislang kein Suchtpotenzial nachgewiesen wurde. Anders als bei Heroin oder ähnlichen Drogen kommt es zu keiner explosionsartigen Ausschüttung. Wenn man Tabletten einnimmt, werden die Wirkstoffe allmählich ins Blut abgegeben. Allerdings gibt es keine Langzeitstudien zu den langfristigen Wirkungen der Medikamente auf den Körper eines gesunden Menschen. Das Phänomen des illegalen Hirndopings ist noch so neu, dass niemand sagen kann, was es im Detail für den menschlichen Körper bedeutet.
Dieses fehlende Wissen scheint auch die Menschen, die sich grundsätzlich positiv zu den Mitteln geäußert haben, noch abzuschrecken. So finden viele die Idee zwar grundsätzlich gut, scheuen aber gerade wegen den uneinschätzbaren Folgen die Anwendung. Die tatsächliche Wirkung von Hirndoping-Mitteln ist dann auch eher enttäuschend. „Insgesamt sind die Effekte bei Gesunden eher klein und werden von Placeboeffekten überlagert”, besagen die Mainzer Ergebnisse.
Die ausgeprägtesten Effekte konnten demnach bei Probanden beobachtet werden, die eine Beeinträchtigung ihrer kognitiven Leistungen aufwiesen, also beispielsweise müde waren. So wie Kaffee Müde munterer macht, wirkt das Ritalin ebenfalls vorwiegend bei Angeschlagenen. Wenn die Pillen auch wach und konzentriert machen – kreatives Denken wird ausgeschaltet. „Die Aufmerksamkeit wird fokussiert, man kann sich auf eine Sache voll und ganz konzentrieren und wird weniger durch andere Reize abgelenkt”, so Lieb. Aber Kreativität scheint gerade durch das freie Assoziieren, durch ein Stück Ablenkbarkeit möglich.
Grundsätzlich wird durch die Pillen auch die Intelligenz nicht gesteigert. Wirklich Erfolg versprechen die Mittel also nur in Bezug auf die Konzentration. „Aber auch dort gibt es Nebenwirkungen”, weiß Lieb. Die eigene Leistungsfähigkeit kann oftmals nicht mehr korrekt eingeschätzt werden, wie man in einer Studie herausfand. „Die Probanden erhielten nach einer durchwachten Nacht Modafinil, dann wurde ihre Fahrleistung im Simulator getestet”, erläutert Lieb. Auch wenn ihre Fahrfähigkeit gut gewesen sei, überschätzten die Studienteilnehmer ihre Leistungen deutlich.
Unbekanntes Gebiet
Auch wenn Neuro-Enhancer in Zukunft ein legales Mittel zur Leistungssteigerung werden sollten: Sind die ethischen Auswirkungen absehbar? Wenn neun von zehn Studenten vor Klausuren eine Pille einwerfen, was passiert mit dem nicht-gedopten Studi? Welchen Bewertungsmaßstab wird man an seine Ergebnisse legen, welchen an die der Gedopten? Wird man von der Gesellschaft ausgeschlossen? Setzt der Arbeitgeber unbegrenzte Leistungsfähigkeit voraus? Darüber wird es vorerst keine Studien geben.
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