In sechs Monaten durch Europa

Der selbst­or­ga­ni­sierte Sprachur­laub in Eng­land, Frank­reich und Ita­lien wurde letzt­lich eine Reise zu sich selbst: Beein­dru­ckende Land­schaf­ten, fas­zi­nie­rende Lebens­ent­würfe und Men­schen, die man als Frem­der traf und als Freund verließ.

Ton und Kunst in den Händen vereint Bei einer Töpferin das Arbeiten mit organischer Erde erlernen, Foto Christian Schnalzger

Im Mor­gen­grauen ver­lasse ich Paris. Ich habe hier gelebt, stu­diert, Stu­den­ten­par­tys und Crois­sants und Kultur kon­su­miert, aber das ist drei Jahre her. Dies­mal war ich nur zu Besuch, vier Tage, zwei Crêpes, ein Kon­zert, Besuch bei einer Freun­din. Ich bin auf Reisen. Offi­zi­ell bin ich in Eng­land. Bereite mich auf mein Examen vor, per­fek­tio­niere mein Eng­lisch. Und in der Tat, bis vor Kurzem war ich das. Wenn auch nicht in Bibliotheken.

Zwei Monate lebte ich auf dem Land, arbei­tete auf Bau­ern­hö­fen und schlief in alten Wohn­wa­gen. Habe mor­gens auf dem Feld gear­bei­tet, nach­mit­tags das Land erwan­dert und abends BBC geguckt. Die Men­schen ken­nen­ge­lernt, ihre zuvor­kom­mende Art, ihren Humor, die vielen Lebens­ge­schich­ten. Zwi­schen Kori­an­der und Toma­ten, hörte ich auf Knien hockend stun­den­lang der Spra­che, den Nuan­cen zu. Traf unter­schied­lichste Cha­rak­tere, von einer sech­zehn­jäh­ri­gen Farm­shop-Assis­­ten­tin über einen Archäo­lo­gen, der aus Liebe zur Natur in seiner Frei­zeit Kar­tof­feln aus­gräbt, bis zur Töp­fe­rin, die ein­sied­le­risch in einem Tal lebt und bei der ich im Zigeu­ner­wa­gen übernachtete.

Als Freigeist unterwegs: Von Job zu Job

Diese Reise ist ein Pri­vi­leg, lässt mich die Stu­di­en­ord­nung glau­ben. Mein Stu­di­en­gang läuft aus, und meine Pflicht­zeit im Aus­land habe ich bereits absol­viert. Fer­tig­ma­chen, Räd­chen­wer­den wird von mir erwar­tet. Umso erstaun­ter bin ich, dass nie­mand Sturm läuft, als ich eine Beur­lau­bung im Som­mer­se­mes­ter zuvor erwirke. Eine Befür­wor­tung, dass ein Eng­land­auf­ent­halt einem Anglis­tik-Stun­den­ten dien­lich sei, kriege ich vom ersten ange­frag­ten Dozen­ten, und auch im Stu­di­en­se­ke­ta­riat hört man mir wohl­wol­lend zu, als ich erkläre, dass ich weder eine Uni besu­chen werde noch den festen Arbeit­ge­ber eines Aus­lands­prak­ti­kums nennen kann. Statt­des­sen reise ich als „Wwoo­fer”, nutze World­wide Working Oppor­tu­nities on Orga­nic Farms. Zwei Monate in Eng­land, zwei in Frank­reich und zwei in Italien.

Das jeden­falls ist der Plan. Eng­lisch per­fek­tio­nie­ren, Fran­zö­sisch am Leben halten und Ita­lie­nisch lernen. Den Sinn des Lebens finden, eine Rich­tung fürs Examen und die Zeit danach, Liebe und Erfül­lung. Oder irgend­was davon.

Als ich abreise, bin ich orga­ni­siert bis zum zwei­ten Bau­ern­hof und ver­lasse mich auf die Omni­prä­senz des Inter­nets, um wei­tere Adres­sen und die Züge dahin zu finden. Nicht jeder Nacht beschert das ruhi­gen Schlaf. Am Ende läuft es. Eine Far­me­rin, bei der ich Jurten abge­baut habe, reicht mich nach Sai­son­ende zum Farm­shop ihres Bru­ders weiter. Beim Lunch begegne ich dort der Töp­fe­rin, die mich für ihre Arbeit mit orga­ni­scher Erde begeis­tert, man­gels Tele­fon und Com­pu­ter aber nie orga­ni­siert zu finden gewe­sen wäre. Die Tage bei ihr werden die viel­sei­tigs­ten der Reise.

Lust am Landleben: Eine andere Form von Heimat

Von Paris reise ich weiter nach Süd­frank­reich, von dort schließ­lich nach Ita­lien. Zwei Wochen lebe ich in einem Klos­ter in Vene­dig. Zurück im Land­le­ben schneide ich im Februar Beeren in den eis­kal­ten Hügeln Rietis­ und hüte Schafe. Esse Oran­gen vom Baum und frit­tierte Zipfel aus Bäcke­reien. Lerne mehr Unwör­ter als Verb­for­men. Und bin plötz­lich Teil einer Fami­lie. Koche Pasta mit Opa Mario, beant­worte gie­rige Fragen der drei­zehn­jäh­ri­gen Toch­ter vom Leben in Berlin. Und ver­bringe meine Kaf­fee­pau­sen mit einer Arbei­te­rin aus dem Dorf, die von Arbeits­lo­sig­keit erzählt, von geschei­ter­ten Träu­men, so beschei­den sie klin­gen. Dem Kleben der Ita­lie­ner an Mamma, den rech­ten Idea­len der Umge­bung. Resi­gniert klingt sie dabei nicht. Und das Land, ihre Heimat, zu ver­las­sen für die große Stadt Rom, sieb­zig Kilo­me­ter weiter, oder eine andere Gegend, kommt nicht in Frage.

Als sie mich eines Abends mit raus nimmt, sehe ich, warum. Die Men­schen sind offen, auch die unbe­kann­ten auf den Stra­ßen, reden, lachen. Als wir auf Ser­pen­ti­nen­stra­ßen über die Täler weg­fah­ren, geht im Hin­ter­grund in unprä­ten­ziös groß­ar­ti­gem Licht die Sonne unter. In einer schmuck­lo­sen Bar an einer Aus­fall­straße essen wir von Papp­de­ckeln die unge­fähr beste Pizza Ita­li­ens. Ich mag an dem Abend nicht drüber nach­den­ken, ob dieses Leben etwas für immer wäre. Doch zurück in die Stadt will ich da nicht.