Die Nähe der vergangenen Zeiten

Verena Lepper, Kura­to­rin der Papy­rus­samm­lung des Ägyp­ti­schen Muse­ums Berlin, lehrt an der FU Berlin.

Im Nord­flü­gel des Neuen Muse­ums, gleich hinter dem klei­nen Kup­pel­raum, der die berühmte Büste der Nofre­tete beher­bergt, warten beson­ders fra­gile Schätze auf den Besu­cher: alt­ägyp­ti­sche und ori­en­ta­li­sche Papyri, Texte und Zeich­nun­gen auf aus der Papy­ruspflanze her­ge­stell­tem Beschreib­stoff, die Zeug­nis able­gen von den ersten Kul­tu­ren der Mensch­heit. Seit 2008 ist die pro­mo­vierte Ägyp­to­lo­gin Verena Lepper Hüte­rin dieser ins­ge­samt 60.000 Hand­schrif­ten und Papyri umfas­sen­den Samm­lung des Ägyp­ti­schen Museums.

„Die Texte dieser Papyri sind keine tro­cke­nen, alten Doku­mente – ganz im Gegen­teil: Sie sind unglaub­lich leben­dig“, ver­si­chert die 38-jäh­rige Kura­to­rin. Viele der Themen aus den Berei­chen Lite­ra­tur, Medi­zin oder Reli­gion, die die alten Ägyp­ter beschäf­tigt und nie­der­ge­schrie­ben haben, sind auch heute rele­vant. Diese Nähe der Ver­gan­gen­heit fand Verena Lepper schon in ihrer Dok­tor­ar­beit über den West­car-Papy­rus, den längs­ten lite­ra­ri­schen Text der klas­si­schen ägyp­ti­schen Epoche: „Das sind wun­der­bare Geschich­ten, die sich iro­nisch mit dem Pharao aus­ein­an­der­set­zen  und teil­weise rich­tig viel Humor bergen“, berich­tet sie.

Wenn Verena Lepper von ihrem Beruf und ihrem For­schungs­ge­biet erzählt, merkt man sofort: Diese Frau ist mit vollem Enga­ge­ment dabei. Die Nei­gung zur Ägyp­to­lo­gie hat sich schon früh gezeigt: Dank einer enga­gier­ten Geschichts­leh­re­rin erwachte ihr Inter­esse für alte Kul­tu­ren bereits in der Schule, und so wech­selte Verena Lepper auf ein huma­nis­ti­sches Gym­na­sium, um die alten Spra­chen – Grie­chisch, Hebrä­isch und Latein – zu erlernen.

Wäh­rend des Stu­di­ums der Ägyp­to­lo­gie, Semi­tis­tik und Christ­li­chen Ori­en­ta­lis­tik in Bonn, Oxford und Tübin­gen lernte sie neben den fünf ägyp­ti­schen Spra­chen (Alt‑, Mittel‑, Neu­ägyp­tisch, Demo­tisch und Kop­tisch) auch ver­schie­dene semi­ti­sche Spra­chen wie Ara­mä­isch, Ara­bisch, Syrisch oder Uga­ri­tisch. Die Kennt­nisse der Spra­chen und Schrif­ten sind für die Wis­sen­schaft­le­rin der Schlüs­sel zum Ver­ständ­nis der Kulturen.

In ihrem umfang­rei­chen aka­de­mi­schen Lebens­lauf, der sie neben Bonn auch an die Har­vard-Uni­ver­sity führte, hat Verena Lepper es stets ver­stan­den, ihre wis­sen­schaft­li­che Arbeit mit gesell­schaft­li­chen Anlie­gen zu ver­bin­den. Im Zusam­men­hang mit ihrer Beru­fung in die Junge Aka­de­mie der Berlin-Bran­den­bur­gi­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten setzte sie sich bei­spiels­weise für die Ver­bes­se­rung der uni­ver­si­tä­ren Lehre und für den Stand „klei­ner Fächer“, wie der Ägyp­to­lo­gie, ein.

An ihrer jet­zi­gen Stelle als Wis­sen­schaft­le­rin des Ägyp­ti­schen Muse­ums und der Papy­rus­samm­lung emp­fin­det Verena Lepper die Ver­zah­nung der Muse­ums­ar­beit mit der uni­ver­si­tä­ren Lehre als reiz­voll: Seit dem Som­mer­se­mes­ter 2011 ist sie Lehr­be­auf­tragte am Ägyp­to­log­schen Semi­nar der FU Berlin. Sie lässt ihre Stu­den­ten direkt an den Ori­gi­na­len der Samm­lung stu­die­ren. Damit sieht sie das Museum nicht nur als Ort der Aus­stel­lung, son­dern auch als Ort der Forschung.

Das Enga­ge­ment an der Schnitt­stelle zwi­schen Wis­sen­schaft und Gesell­schaft wurde kürz­lich durch die gemein­same Initia­tive „Deutsch­land – Land der Ideen“ von Ver­tre­tern aus der Wirt­schaft und der Bun­des­re­gie­rung aus­ge­zeich­net: Verena Lepper gehört zu den „100 Frauen von morgen“, die vom Bun­des­prä­si­den­ten aus­ge­zeich­net wurden, weil sie in den unter­schied­lichs­ten Berei­chen die Zukunft Deutsch­lands aktiv mit­ge­stal­ten. Dass eine Alter­tums­wis­sen­schaft­le­rin diese zukunfts­wei­sende Aus­zeich­nung erhält, zeige Verena Lepper zufolge einmal mehr, wie rele­vant die Aus­ein­an­der­set­zung mit den Früh­zei­ten der mensch­li­chen Kultur für die Gegen­wart ist: „Von den alt­ägyp­ti­schen und ori­en­ta­li­schen Texten können wir vieles lernen und unsere tech­ni­sche Arro­ganz viel­leicht ein biss­chen zurück­neh­men. Denn viele Ent­de­ckun­gen sind nicht auf uns zurück­zu­füh­ren, son­dern auf die älteste Kultur der Menschheit.“

Autorin: Sabine Wirth