Von Fuxen, Burschen und schlechten Klischees
Studentenvereine gibt es in vielen Formen. Was man in so einem Verein macht und was der Unterschied zwischen einem Verein und einer Verbindung ist, erzählen drei Mitglieder der Turnerschaft Alemanno-Borussia und ein Mitglied des Palästinensischen Studentenvereins Berlin-Brandenburg.
Sie haben an Fuxenstunden teilgenommen und möchten später Alter Herr werden. German Zavadich (23 Jahre), Florian (19 Jahre) und Stefan (30 Jahre) sitzen in ihrem Haus in Berlin-Lichterfelde und erzählen über ihre Studentenverbindung. Sie sind Mitglied der Turnerschaft Alemanno-Borussia, die sie aber „Albo“ nennen.
Die „Albos“ pflegen Rituale. Zu ihren Versammlungen, die sie „Konvente“ nennen, tragen sie „Couleur“, ein Band mit den Farben der Verbindung, das schräg über die Brust gelegt wird. Zu besonderen Anlässen erscheinen sie im „Vollwix“, einer Art Uniform, inklusive Mütze. Fechten kann man bei dieser Verbindung aber nicht mehr. Seit 1972 ist Alemanno-Borussia nicht mehr pflichtschlagend und 2006 wurde auch freiwilliges Fechten abgeschafft. Wenn jetzt ein Mitglied ein anderes Mitglied beleidigt, müssen die beiden zum „Biergericht“. Dort trinken sie dann wett.
Worauf genau er sich einließ, wusste Stefan nicht, als er zum ersten Mal Kontakt zu der Turnerschaft aufnahm. „Ich suchte ein Zimmer in Berlin. Ich hatte ‚Der Untertan‘ von Heinrich Mann gelesen, ein Buch, das sich sehr kritisch zu Studentenverbindungen äußert. Deshalb war ich erstmal ein bisschen skeptisch. Hauptsächlich, weil es erstmal keine Verpflichtungen gab, habe ich Albo dann doch eine Chance gegeben.“
Stefan lernte, wie allen neuen Mitglieder, in den „Fuxenstunden“ die Geschichte von Alemanno-Borussia kennen. Wenn man die Fuxenstunden erfolgreich absolviert hat, wird man ein vollständiges Mitglied. Von einem „Fux“ wird man zu einem „Bursch“. Mitglied kann man ein Leben lang sein. Typisch für eine Studentenverbindung ist die Aufteilung in aktive Mitglieder und Alte Herren. Als Student ist man aktives Mitglied. Wenn man nach dem Studium Geld verdient, leistet man als Alter Herr einen höheren Mitgliedsbeitrag. Auf diese Art kann sich Alemanno-Borussia ein eigenes Hausleisten.
Beim Palästinensischen Studentenverein Berlin-Brandenburg („PSV“) gibt es keine Alten Herren. Der Verein ist auch viel jünger: Es gibt ihn seit 2004. Kiefah Muhaisen (33 Jahre) war einer der Studenten, die den PSV gründeten. „Im PSV gibt es drei Hauptgruppen: die Palästinenser, die in Deutschland aufgewachsen sind, die, die von der Westbank oder aus Gaza kommen und die, die aus anderen arabischen Ländern zum Studieren nach Deutschland kommen. Die, die nicht aus Deutschland kommen, haben oft Probleme, hier klarzukommen. Ihnen haben wir geholfen.“ So hätten die deutschen Palästinenser auch Kontakt zu „Landsleuten“ bekommen, einen Kontakt, den sie laut Kiefah sonst nicht so einfach hätten herstellen können. „Irgendwann dachten wir, wir könnten das Ganze ja auch offiziell machen und einen Verein gründen.“
Politisch?
Die Turnerschaft Alemanno-Borussia wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aus drei verschiedenen Verbindungen zusammengelegt. Die älteste von ihnen wurde 1882 gegründet. In der Gründungszeit turnten die Mitglieder tatsächlich. Bei Alemanno-Borussia macht das heute keiner mehr, aber Sport ist immer noch ein Hauptbestandteil einer Turnerschaft.
Darin unterscheidet sich eine Turnerschaft von einer Burschenschaft und einem Corps. Sie alle sind Studentenverbindungen, aber nur Turnerschaften sind auf Sport ausgerichtet. Die Turnerschaft Alemanno-Borussia ist außerdem nicht politisch. German: „Wir diskutieren über Politik. Es gibt ein Spektrum von links bis rechts. Wir dulden aber keine Extremisten.“
Auch der PSV gehört keiner politischen Richtung an. „Wir sind nicht wie eine Partei. Wir unterstützen die palästinensische Sache. Wir möchten die Grenzen von 1967 zurück und ein Rückkehrrecht für Palästinenser. Im Verein zieht aber jeder sein politisches Gewand aus. An erster Stelle kümmern wir uns um Studenten“, so Kiefah.
Aktivitäten
Heute hat der PSV um die 120 aktive Mitglieder. Beim PSV können sie in einer der Arbeitsgruppen mitmachen, sich bei politischen Aktionen engagieren, Nachhilfe geben, Mitglied einer der Sportmannschaften werden oder der Tanzgruppe beitreten. Die tritt seit sechs Jahren beim Karneval der Kulturen auf und ist damit eines der erfolgreichsten Projekte des PSV.
Der Verein geht aber auch mal gemeinsam schwimmen. Kiefah: „Manchmal hat jemand die Idee, zusammen an den Wannsee zu fahren. Diese Idee kann dann schnell über Facebook und unseren E‑Mail-Verteiler verbreitet werden.“
Schwimmen gehen die fünzehn aktiven Mitglieder von Alemanno-Borussia auch. Florian: „Das ist eine Sportart, die wir machen. Es ist aber besser, gemeinsam Sport zu machen. Deshalb ist Fußball geeigneter.“
Bedingungen
Um Mitglied der Turnerschaft zu werden, muss man studieren oder vorhaben, ein Studium aufzunehmen. Der PSV ist hauptsächlich für palästinensische Studierende da. Es gibt aber auch immer andere Studenten, die sich beim PSV engagieren. Im Gegensatz zu Alemanno-Borussia, die nur männliche Studenten aufnimmt, sind beim PSV Männer und Frauen willkommen. Im Moment sind die Frauen in der Minderheit. Der Verein hat aber eine Volleyballmannschaft für Frauen und hätte gerne mehr weibliche Mitglieder.
Beide Vereine haben es nicht leicht mit der Öffentlichkeit. Kiefah: „Ich habe meine Mitgliedschaft nie an die große Glocke gehangen. Klischees hört man trotzdem.
Florian und Stefan möchten ihren Nachnamen nicht veröffentlicht sehen. Studentenverbindungen werden oft in Verbindung mit nationalsozialistischem Gedankengut gebracht – für einige Burschenschaften stimmen diese Unterstellungen. Sie fürchten, dass man sie wegen ihrer Mitgliedschaft angreifen könnte. Hinter den Pokalen der Turnerschaft stehen zwei Totenbücher: Ein allgemeines und eins, das an die Toten des Ersten und des Zweiten Weltkriegs erinnert. „So ein Foto stellt uns wieder in ein schlechtes Licht“, so German. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Turnerschaft aufgelöst und als sie danach wieder aktiv wurde, schaute man sich die Akten der Mitglieder genau an. Ein Mitglied wurde wegen seiner Nazi-Vergangenheit rausgeschmissen. Die Mitglieder des PSV müssen auch ihren Eltern erklären, was sie eigentlich machen. „Eltern denken oft, unser Verein würde eine bestimmte politische Richtung vertreten. Wenn die Kinder dann aber erzählen, und die Eltern merken, dass wir nicht auf diese Art politisch sind, sind sie erleichtert.“