Mutti im Seminar

Die Meis­ten gehen direkt von der Schule an die Uni­ver­si­tät. Andere kommen erst über Umwege in den Hörsaal.

Wie selt­same Fabel­we­sen huschen sie über die Flure der Uni­ver­si­tä­ten. Zwi­schen all den jungen Stu­den­ten mit zer­schlis­se­nen Jeans und dem immer­mü­den Blick wirken sie wie Fremd­kör­per. Immer etwas seriö­ser, immer etwas besser ange­zo­gen, irgend­wie ziel­stre­bi­ger. Die ande­ren betrach­ten sie meist eher aus der Ferne – manch­mal bewun­dernd, manch­mal irri­tiert und doch immer wohl­wol­lend. „Das ist aber mutig“, denken viele. Oder: „Ich könnte das nicht!“ Chris­tiane und Petra sind zwei dieser sel­te­nen Licht­ge­stal­ten, die sich im rei­fe­ren Alter noch mal in den Elfen­bein­turm der Wis­sen­schaft gewagt haben. Beide haben sich getraut, mit fast vier­zig ihr altes Leben hinter sich zu lassen und zu studieren.

Schnapsidee für Intellektuelle

Chris­tia­nes Mutter war scho­ckiert und tat die Idee ihrer Toch­ter anfangs als Schnaps­idee ab. Chris­tiane kommt aus einer Arbei­ter­fa­mi­lie, da gilt ein Stu­dium als abso­lute Zeit­ver­schwen­dung. Eine Aus­rede für faule Intel­lek­tu­elle , um noch mal rich­tig zu feiern. Und dann auch noch in dem Alter? „Die macht sich doch lächer­lich! Was sollen wir denn den Nach­barn erzäh­len?“ Eine ver­frühte Mid­life- Crisis? Zu der Zeit lebte Chris­tiane getrennt von ihrem Mann, die Toch­ter war schon alt genug, um auf eige­nen Beinen zu stehen. Die Idee zu stu­die­ren musste sich Chris­tiane reif­lich über­le­gen und merkte: Der Zeit­punkt war per­fekt! Die finan­zi­elle Situa­tion stimmte, die Kinder waren aus dem Haus. Jah­re­lang hatte sie ihre Bedürf­nisse zurück­ge­stellt, aus Geld­man­gel oder für die Fami­lie. Jetzt war sie dran! Sie tauschte den siche­ren Teil­zeit­job als Ver­lags­kauf­frau gegen das wilde Stu­den­ten­le­ben. Wenn auch nicht ganz so wild wie das eini­ger Kommilitonen.

Endlich frei fühlen

Auch Petra erfüllte sich ihren Lebens­traum – mit 38. Frisch geschie­den und mit einem elf­jäh­ri­gen Sohn im Gepäck fühlte sie sich end­lich frei. Sie schmiss die Stelle als Arzt­se­kre­tä­rin und schrieb sich für ein Magis­ter­stu­dium mit dem Haupt­fach „All­ge­meine Sprach­wis­sen­schaft“ und den Neben­fä­chern „Sprach­wis­sen­schaft des Deut­schen“ und „Psy­cho­lo­gie“ ein. Sie ist gut, sogar sehr gut, schnell über­holte sie ihre Kom­mi­li­to­nen. Natür­lich ist es von Vor­teil, dass sie genau weiß, was sie will. Zeit möchte sie nicht mehr ver­lie­ren. Die Ent­schei­dung, noch mal zu stu­die­ren, ist auch für Petra keine spon­tane Idee gewe­sen. Wer wie sie alles auf eine Karte setzt, der über­legt sich zwei­mal, ob er das Risiko ein­geht. Im Gegen­satz zu Chris­tiane ist Petra finan­zi­ell nicht abge­si­chert. Anfangs arbei­tete sie 40 Stun­den pro Woche in einer Spiel­halle, später ver­kaufte sie Sonn­tags­bröt­chen an einer Tank­stelle. Und zwi­schen­durch über­nimmt sie die Rolle der Haus­frau, Mutter und Stu­den­tin. Kein Wunder, dass da die eine oder andere Stu­den­ten­party auf der Stre­cke bleibt. Doch an die Weih­nachts­feier mit Rock­mu­sik, Bier­fla­schen und Pizza auf der Hand kann sie sich noch gut erin­nern. Sie nutzt die wenige Frei­zeit, die sie hat, intensiver.

Die schönste Zeit des Lebens

Mitt­ler­weile trägt sie ihren Magis­ter­ti­tel und arbei­tet als frei­be­ruf­li­che Lek­to­rin. Rück­bli­ckend ist sie sicher, dass es der rich­tige Schritt war, das Risiko ein­ge­gan­gen zu sein und ihren Wunsch erfüllt zu haben. Auch Chris­tiane würde nichts anders machen. Sicher war es nicht immer ein­fach, Fami­lie und Stu­dium unter einen Hut zu brin­gen. Man braucht viel Durch­hal­te­ver­mö­gen und muss sich abso­lut sicher sein. Es darf einem nichts aus­ma­chen, wenn selbst die besten Freunde einen manch­mal nicht ernst nehmen. Wie schon „De Höhner“ in ihrer unend­li­chen Weis­heit sangen: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Ange­sichts seiner alten Träume, fragt sich jeder gele­gent­lich, ob es das schon gewe­sen sein soll. Chris­tiane und Petra haben ihren Weg gewählt. Nicht den ein­fa­chen, nicht den stan­dard­kon­for­men. Son­dern den eige­nen, bes­se­ren. Auch sie wissen nun: Die Stu­di­en­zeit ist die schönste des Lebens.