Frei machen

Das Stu­dium ist die Zeit der Gele­gen­hei­ten, trotz­dem macht es uns krank. Die The­ra­pie: ein freier Kopf und Spaß am Leben.

Entspannt auf Baum die Seele baumeln lassen. Foto: Albrecht Noack Entspannt auf Baum die Seele baumeln lassen. Foto: Albrecht Noack

„Die Zeit als Stu­dent war die beste Zeit meines Lebens.“ Eltern, Lehrer, ältere Stu­die­rende sind sich dar­über einig. Sie erzäh­len von einer Zeit vor Bolo­gna: Par­ty­nacht statt Pro­se­mi­nar, Ren­dez­vous statt Refe­rat, Tau­chen am Tegern­see statt Tech­nik-Tuto­rium. Und trotz­dem der sichere Sprung zu Job, Haus und Fami­lie. „Genieß die Zeit, es wird nie wieder so schön sein.“ Danke für die Hilfe, Papa.

Die schwer­mü­ti­gen Fragen kommen im Stu­dium von allein, schwe­ben über uns wie ein Damo­kles-Schwert. Man fühlt sich nicht frei, son­dern über­las­tet. Aber warum? Fehlt einem nur der stu­den­ti­sche Stein der Weisen, das kon­se­quente Zeit­ma­nage­ment? Ver­klä­ren unsere Eltern ihre eigene Ver­gan­gen­heit, und es war gar nicht so toll? Oder ist das ganze Sys­tem schuld: Böser Bache­lor, mieser Master?

Studieren bis zum Umfallen

Exper­ten müssen nicht lange rät­seln, sie kennen ihre Ant­wor­ten. Es stimmt, dass die Stu­die­ren­den von heute grö­ßere Pro­bleme mit dem Stu­dium haben als vor­he­rige Genera­tio­nen, so Pro­fes­sor Rolf Dobi­schat. Der Prä­si­dent des Deut­schen Stu­den­ten­werks kennt das Lern­ver­hal­ten der Stu­die­ren­den: „Sie stu­die­ren bis zum Umfal­len, ohne auf ihre eige­nen Gren­zen zu achten.“ Seit Jahren beob­ach­tet er die stei­gende Erwar­tung nach immer mehr Leis­tung. Auch der Zeit­druck habe stark zuge­nom­men. Dobi­schats Schluss­fol­ge­rung: „Die vielen lau­fen­den Hoch­schul­re­for­men dürfen nicht dazu führen, dass ein Stu­dium krank macht.“

Rat­ge­ber-Maga­zine wollen Stu­die­ren­den helfen, zau­bern aber höchs­tens ein müdes Lächeln zwi­schen die schlaf­fen Wangen. Zum Bei­spiel wenn Vor­beu­gungs­maß­nah­men gegen das Bur­nout-Syn­drom bei Stu­die­ren­den im Fokus stehen. Die Tipps sind bekannt: ent­halt­sam leben – kein Niko­tin, Alko­hol, Kof­fein, lieber aus­rei­chend Schlaf. Oder: Sich vor­mit­tags hin­set­zen und arbei­ten und einen regel­mä­ßi­gen Tages­rhyth­mus pfle­gen. Was manche gekonn­tes Zeit­ma­nage­ment nennen, klingt für andere nach Büro­job. So hat man sich als Abitu­ri­ent die Zeit an der Uni nicht vorgestellt.

Ausgebrannt im Studium

Ein Stu­dium kann krank machen. Die psy­cho­lo­gi­schen Behand­lungs­stel­len des Stu­den­ten­werks machen häufig auf das Pro­blem auf­merk­sam, schil­dern die Sym­ptome, von denen ihre Besu­cher klagen: Angst­at­ta­cken, Schlaf­stö­run­gen, Kopf­schmer­zen und Magen­krämpfe. Die Sta­tis­ti­ken des Stu­den­ten­werks zeigen eine alar­mie­rende Ten­denz: Jeder siebte Stu­dent leidet unter depres­si­ven Verstimmungen.

Die Medi­zin: Frei machen, ent­span­nen, den Druck ver­ges­sen. Fris­bee wer­fende Stu­den­ten wurden in der Film­kul­tur nicht unbe­rech­tigt zum Inbe­griff des Stu­den­ten­seins. Eine Fris­bee­scheibe ver­bild­licht das Ideal, frei und unge­bun­den durch die Welt zu glei­ten. Das Prin­zip ist ein­fach, jeder kann es: Einmal los­ge­las­sen, eine Weile durch­ge­dreht, und schon landet die Scheibe ent­we­der in siche­ren Händen oder auf dem Boden der Tat­sa­chen. Wer ver­krampft ein Fris­bee wirft, merkt, dass man irgend­et­was falsch macht. Der Werfer braucht eine gewollte Lockerheit.

Mit dem Ziel vor Augen

Nur ist es mit unge­zü­gel­ter Locker­heit auch an der Uni nicht getan, ansons­ten schwebt man durch die Uni und fragt sich nach sechs Semes­tern, wo man denn nun gelan­det ist. Auch ein Fris­bee glei­tet nicht irgend­wo­hin, wir müssen ihr bewusst ein Ziel geben. Ob wir dieses tref­fen, ist zweit­ran­gig, Haupt­sa­che wir kommen von der Stelle und sehen das Ziel jetzt aus einer ande­ren Perspektive.

Es kommt vor, dass man im Eifer des Stu­di­ums sein eige­nes Ziel aus den Augen ver­liert. Zu viele Dinge bedür­fen unse­rer Auf­merk­sam­keit: Pflicht­re­fe­rate, Haus­ar­bei­ten und Klau­su­ren müssen vor­be­rei­tet werden, dazu kommt oft ein Job. Zwar werden 90 Pro­zent der Stu­den­ten finan­zi­ell von ihren Eltern unter­stützt, den­noch arbei­ten 63 Pro­zent der Stu­den­ten neben­her. Die wich­ti­gen Fragen stel­len wir uns dann irgend­wann nicht mehr aus Lust- und Zeitmangel.

Das Schöne bleibt

Erin­nert man sich nun an die Erzäh­lun­gen der Eltern, geht einem ein Licht auf. Man merkt, wes­halb diese Ver­klä­run­gen ihre Berech­ti­gung haben. Denn den ehe­ma­li­gen Stu­den­ten blie­ben die Dinge in Erin­ne­rung, die sie wäh­rend des Stu­di­ums am meis­ten präg­ten. Es sind die besten Küchen­ge­sprä­che auf einer Party, die inten­si­ven Erleb­nisse einer Reise, die uns dazu ver­an­las­sen, einen ande­ren Blick auf uns selbst zu werfen.

Wer durch Stu­dium und Job keine Muße findet, um diesen Blick zu wagen, braucht mög­li­cher­weise eine Aus­zeit, das kann eine Woche sein oder ein ganzes Urlaubs­se­mes­ter. Ein wenig Geld ver­die­nen, her­um­rei­sen, Party machen, sich selbst finden. Der Per­so­nal­chef wird einem daraus keine Schlinge ziehen, wenn man es gut erklärt. Man brauchte diese Zeit, ganz ohne Druck, getränkt von ver­klär­ten Erin­ne­run­gen. Um wieder zu wissen, wo das eigene Fris­bee eigent­lich landen soll.

Über Jan Lindenau (25 Artikel)
kann sich nicht daran erinnern, jemals gesagt zu haben, dass er „irgendwas mit Medien machen will“. Ist trotzdem irgendwie Chefredakteur der spree geworden. Große Leidenschaft für Sprache, Literatur, Russland - und ja, Medien.