Frei machen
Das Studium ist die Zeit der Gelegenheiten, trotzdem macht es uns krank. Die Therapie: ein freier Kopf und Spaß am Leben.
„Die Zeit als Student war die beste Zeit meines Lebens.“ Eltern, Lehrer, ältere Studierende sind sich darüber einig. Sie erzählen von einer Zeit vor Bologna: Partynacht statt Proseminar, Rendezvous statt Referat, Tauchen am Tegernsee statt Technik-Tutorium. Und trotzdem der sichere Sprung zu Job, Haus und Familie. „Genieß die Zeit, es wird nie wieder so schön sein.“ Danke für die Hilfe, Papa.
Die schwermütigen Fragen kommen im Studium von allein, schweben über uns wie ein Damokles-Schwert. Man fühlt sich nicht frei, sondern überlastet. Aber warum? Fehlt einem nur der studentische Stein der Weisen, das konsequente Zeitmanagement? Verklären unsere Eltern ihre eigene Vergangenheit, und es war gar nicht so toll? Oder ist das ganze System schuld: Böser Bachelor, mieser Master?
Studieren bis zum Umfallen
Experten müssen nicht lange rätseln, sie kennen ihre Antworten. Es stimmt, dass die Studierenden von heute größere Probleme mit dem Studium haben als vorherige Generationen, so Professor Rolf Dobischat. Der Präsident des Deutschen Studentenwerks kennt das Lernverhalten der Studierenden: „Sie studieren bis zum Umfallen, ohne auf ihre eigenen Grenzen zu achten.“ Seit Jahren beobachtet er die steigende Erwartung nach immer mehr Leistung. Auch der Zeitdruck habe stark zugenommen. Dobischats Schlussfolgerung: „Die vielen laufenden Hochschulreformen dürfen nicht dazu führen, dass ein Studium krank macht.“
Ratgeber-Magazine wollen Studierenden helfen, zaubern aber höchstens ein müdes Lächeln zwischen die schlaffen Wangen. Zum Beispiel wenn Vorbeugungsmaßnahmen gegen das Burnout-Syndrom bei Studierenden im Fokus stehen. Die Tipps sind bekannt: enthaltsam leben – kein Nikotin, Alkohol, Koffein, lieber ausreichend Schlaf. Oder: Sich vormittags hinsetzen und arbeiten und einen regelmäßigen Tagesrhythmus pflegen. Was manche gekonntes Zeitmanagement nennen, klingt für andere nach Bürojob. So hat man sich als Abiturient die Zeit an der Uni nicht vorgestellt.
Ausgebrannt im Studium
Ein Studium kann krank machen. Die psychologischen Behandlungsstellen des Studentenwerks machen häufig auf das Problem aufmerksam, schildern die Symptome, von denen ihre Besucher klagen: Angstattacken, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Magenkrämpfe. Die Statistiken des Studentenwerks zeigen eine alarmierende Tendenz: Jeder siebte Student leidet unter depressiven Verstimmungen.
Die Medizin: Frei machen, entspannen, den Druck vergessen. Frisbee werfende Studenten wurden in der Filmkultur nicht unberechtigt zum Inbegriff des Studentenseins. Eine Frisbeescheibe verbildlicht das Ideal, frei und ungebunden durch die Welt zu gleiten. Das Prinzip ist einfach, jeder kann es: Einmal losgelassen, eine Weile durchgedreht, und schon landet die Scheibe entweder in sicheren Händen oder auf dem Boden der Tatsachen. Wer verkrampft ein Frisbee wirft, merkt, dass man irgendetwas falsch macht. Der Werfer braucht eine gewollte Lockerheit.
Mit dem Ziel vor Augen
Nur ist es mit ungezügelter Lockerheit auch an der Uni nicht getan, ansonsten schwebt man durch die Uni und fragt sich nach sechs Semestern, wo man denn nun gelandet ist. Auch ein Frisbee gleitet nicht irgendwohin, wir müssen ihr bewusst ein Ziel geben. Ob wir dieses treffen, ist zweitrangig, Hauptsache wir kommen von der Stelle und sehen das Ziel jetzt aus einer anderen Perspektive.
Es kommt vor, dass man im Eifer des Studiums sein eigenes Ziel aus den Augen verliert. Zu viele Dinge bedürfen unserer Aufmerksamkeit: Pflichtreferate, Hausarbeiten und Klausuren müssen vorbereitet werden, dazu kommt oft ein Job. Zwar werden 90 Prozent der Studenten finanziell von ihren Eltern unterstützt, dennoch arbeiten 63 Prozent der Studenten nebenher. Die wichtigen Fragen stellen wir uns dann irgendwann nicht mehr aus Lust- und Zeitmangel.
Das Schöne bleibt
Erinnert man sich nun an die Erzählungen der Eltern, geht einem ein Licht auf. Man merkt, weshalb diese Verklärungen ihre Berechtigung haben. Denn den ehemaligen Studenten blieben die Dinge in Erinnerung, die sie während des Studiums am meisten prägten. Es sind die besten Küchengespräche auf einer Party, die intensiven Erlebnisse einer Reise, die uns dazu veranlassen, einen anderen Blick auf uns selbst zu werfen.
Wer durch Studium und Job keine Muße findet, um diesen Blick zu wagen, braucht möglicherweise eine Auszeit, das kann eine Woche sein oder ein ganzes Urlaubssemester. Ein wenig Geld verdienen, herumreisen, Party machen, sich selbst finden. Der Personalchef wird einem daraus keine Schlinge ziehen, wenn man es gut erklärt. Man brauchte diese Zeit, ganz ohne Druck, getränkt von verklärten Erinnerungen. Um wieder zu wissen, wo das eigene Frisbee eigentlich landen soll.