Die Burn-Out Falle

Es ist schon lange kein sel­te­nes Phä­no­men mehr: Burn Out. Wir stel­len eine Stu­den­tin vor, die mit der Erfah­rung der Krank­heit ein neues Leben beginnt. 

von Timo Stu­ken­berg und Janine Noack

Katha­rina klappt das Medi­zin­buch zu. Sie ist spät­abends von einem Termin nach Hause gekom­men und will sich noch auf die Prü­fung am nächs­ten Tag vor­be­rei­ten. Aber Katha­rina kann nicht mehr. Es ist Herbst 2010, die Medi­zin­stu­den­tin ist im vier­ten Semes­ter. Schon seit län­ge­rem kann sie ihre Frei­zeit nicht mehr genie­ßen, ihre Gedan­ken krei­sen nur noch um uner­le­digte Ter­mine, nachts schläft sie schlecht. Sie trinkt immer mehr Kaffee und raucht zu viel. Am nächs­ten Tag geht sie nicht zur Prü­fung, son­dern zum Arzt. Dia­gnose: Burn Out.

Das Stu­den­ten­le­ben wird oft als reine Ent­span­nung mit Partys und Fau­len­zen gese­hen. Dass es auch ganz anders sein kann, zeigen die aktu­el­len Zahlen der Tech­ni­ker Kran­ken­kasse. In ihrem Gesund­heits­re­port 2011 zeigt die Kasse, dass vor allem Stu­den­ten ab 25 Jahren häu­fi­ger wegen Depres­sio­nen behan­delt werden als gleich­alt­rige Per­so­nen, die arbei­ten. Drei Pro­zent der männ­li­chen und fünf Pro­zent der weib­li­chen Stu­die­ren­den nehmen regel­mä­ßig Anti­de­pres­siva. Macht das Stu­dium krank?

Jähr­lich kommt etwa ein Pro­zent der Ber­li­ner Stu­den­ten in die psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Bera­tung des Ber­li­ner Stu­den­ten­werks. Seit der Ein­füh­rung des Bache­lor- und Master-Sys­tems seien es unge­fähr 30 Pro­zent mehr gewor­den, schätzt deren Leiter, Burk­hard See­gers. Die typi­schen Sym­ptome sind Rat­lo­sig­keit, keine Lust mehr auf­zu­ste­hen und Ver­ein­sa­mung. Aber auch Lern- und Arbeits­stö­run­gen können darauf hin­wei­sen, dass etwas nicht stimmt.

Beson­ders gefähr­det sind Stu­den­ten, die einer Dop­pel­be­las­tung aus­ge­setzt sind. Wer also sein Stu­dium durch einen Neben­job finan­ziert, kann schnell von seinem Arbeits­pen­sum über­wäl­tigt werden. Vor allem Stu­die­rende aus dem Aus­land haben es in Deutsch­land schwer. Weil sie hier nicht voll arbei­ten dürfen, führen sie einen “stän­di­gen Exis­tenz­kampf”, sagt Burk­hard See­gers. Er for­dert “mehr Fle­xi­bi­li­tät für dop­pel­be­las­tete Studenten.”

Zwi­schen faul und Bundeskanzler

“Unge­sund” sei das System den­noch nicht, meint See­gers. Der Grund für Depres­sio­nen und Burn Out im Stu­dium liege oft in dem Unter­schied zwi­schen den eige­nen Ansprü­chen und der Rea­li­tät. Stu­den­ten soll­ten sich keine uner­reich­ba­ren Ziele setzen. Denn wer Bun­des­kanz­ler werden möchte, werde wahr­schein­lich ent­täuscht. Im Gegen­satz dazu ver­spre­che das Ziel poli­tisch aktiv zu werden grö­ße­ren Erfolg.

Katha­rina hat beob­ach­tet, dass viele Stu­den­ten denken: „Das pas­siert mir nicht.“ Des­halb gilt, wer von hohen Erwar­tun­gen und Leis­tungs­druck über­wäl­tigt wird, schnell als faul. Dabei sei das Pro­blem nicht ein­fach mit mehr Dis­zi­plin oder bes­se­rer Orga­ni­sa­tion zu behe­ben, meint der Psy­cho­the­ra­peut Pro­fes­sor Fred Rist von der Wil­helms-Uni­ver­si­tät Müns­ter. Oft müsse man sein ganzes Leben kom­plett umkrempeln.

Katha­rina hat nach ihrem Besuch beim Arzt sofort ein Urlaubs­se­mes­ter bean­tragt — ein schwe­rer Schritt für sie. “Viele schaf­fen es nicht, sich ein Urlaubs­se­mes­ter zu nehmen”, sagt See­gers. Doch die Medi­zin­stu­den­tin ist mit ihrer Ent­schei­dung zufrie­den. Was sie vor allem braucht, ist Aus­gleich. Sie enga­giert sich weiter ehren­amt­lich, macht Sport und hat einen Neben­job, der nichts mit ihrem Stu­dium zu tun hat. “Man kann das Schlimmste ver­hin­dern, wenn man sich recht­zei­tig Hilfe sucht”, sagt sie.

Zwei Monate war­tete die Stu­den­tin auf einen Platz bei einem Psy­cho­the­ra­peu­ten. Für Ber­li­ner Ver­hält­nisse ist das noch eine kurze War­te­zeit. Aber auch die Uni­ver­si­tä­ten bieten erste Hil­fe­stel­lung. Der psy­cho­lo­gi­sche Bera­ter der HU Holgar Walt­her bestä­tigt, dass es aber eine “starke Zurück­hal­tung” unter den Stu­den­ten gibt, das Ange­bot anzunehmen.

Risiko Auf­schie­be­ri­tis

Nicht nur zu hohe Erwar­tun­gen, auch Pro­kras­ti­na­tion, also der Hang zum Auf­schie­ben von Auf­ga­ben, kann krank machen. Denn wer alles auf­schiebt, dem wach­sen spä­tes­tens in der Prü­fungs­zeit die Auf­ga­ben über den Kopf. Für solche Fälle leitet Psy­cho­the­ra­peut Rist die deutsch­land­weit ein­zige Pro­kras­ti­na­ti­ons­am­bu­lanz an der Uni­ver­si­tät Müns­ter. Über 400 Pati­en­ten habe er schon wegen Auf­schie­be­ri­tis behan­delt. Viele Stu­den­ten wüss­ten gar nicht, dass Auf­schie­be­ri­tis ein Grund für Depres­sio­nen sein kann. Aber auch unter For­schern sei es “erstaun­lich, wie wenig wir über sowas wissen.”

Katha­rina hat noch ein zwei­tes Urlaubs­se­mes­ter dran gehängt, um sich ganz aus­zu­ku­rie­ren. Sie weiß, dass sie sich nicht wieder über­for­dern darf. Jetzt ist sie aus­ge­gli­che­ner und hat den Kopf frei. Nächs­tes Semes­ter sitzt sie wieder im Hörsaal.

Infor­ma­tion: 

Wer bei sich oder ande­ren depres­si­ves Ver­hal­ten bemerkt, kann sich an das Stu­den­ten­werk Berlin wenden. http://www.studentenwerk-berlin.de/bub/pp_beratung/index.html
Einen seriö­sen Online-Test zu Depres­sion und Pro­kras­ti­na­tion bietet die Uni Müns­ter:http://www.unipark.de/uc/ms_fh_muenster_rist_ls/89d7/ospe.php3?SES=a1fb4f5b2d52a0b5d08ec7d18fb3b2a4&syid=58888&sid=58889&act=start&js=16&flash=1003

Hilfe gibt es auch unter fol­gen­den Adressen:

www.burn-syndrom-hilfe.eu