Mit Burnout studieren
Soziologie-Diplomarbeit an der TU Chemnitz zeigt steigende Nachfrage von Studierenden nach psychosozialer Beratung auf.
Ein sehr guter Abschluss in Regelstudienzeit, Praktika, Auslandsaufenthalte — die Jagd nach dem optimalen Lebenslauf verbunden mit gestrafften Studienordnungen sowie schrumpfenden Freiräumen im Bachelor-Master-System treibt immer mehr Studenten mit Burnout ‑Verdacht in die psychosozialen Beratungsstellen der Studentenwerke. Zu diesem Ergebnis kommt Doreen Liebold in ihrer Diplomarbeit im Fach Soziologie an der TU Chemnitz.
Burnout bundesweit
36 Mitarbeiter aus Beratungsstellen in allen deutschen Bundesländern außer Bayern so wie Hessen beteiligten sich an einer E‑Mail-Befragung — das sind 60 Prozent der deutschen Studentenwerke mit psychologischer Beratungsstelle. “83 Prozent der befragten Berater erkennen eine Tendenz zu einer allgemeinen Überlastung und psychischen Erschöpfung bei Studierenden”, berichtet Liebold. Der Begriff Burnout werde von rund zwei Dritteln der Befragten nicht ohne Skepsis verwendet, zu vielfältig seien die beobachteten Erschöpfungserscheinungen, welche unter dem Begriff Burnout abgehandelt werden. “Dennoch sehen 61 Prozent einen deutlichen Anstieg von Burnout im engeren Sinne bei Studierenden, insbesondere in den vergangenen fünf Jahren”, so Liebold.
Gründe für Burnout
Als Ursachen für die steigende Überforderung der Studenten mit einem Burnout als Folge benannten die Befragten vor allem den Bologna-Prozess mit der Umstellung auf das Bachelor-Master-System. Erhöhte Arbeitsdichte wie auch wenig Freiräume, aber auch ein allgemein in der Gesellschaft gestiegener Leistungs- und Konkurrenzdruck seien problematisch. Studiengebühren sowie steigende Lebenshaltungskosten führen nach Angaben von Beratern zu Mehrfachbelastungen von Studenten, die ein Studium mit einem Nebenjob vereinen müssen. “Auch eine benachteiligte soziale Herkunft und nicht geglückte Eltern-Kind-Beziehungen sind nach Meinung der Befragten oft Ursachen für psychosoziale Belastungen”, berichtet Liebold. Die Gefahr konkret für Burnout ‑Erkrankungen steige zudem, da Studierende häufig keine effektiven Strategien hätten, um richtig mit Stress umzugehen. Mitunter mangele es zudem an Problemlösekompetenzen sowie Selbstverantwortung.
Alle Studienfächer gleiches Burnout- Risiko
Unterschiede zwischen Studienfächern zeigte die Befragung keine, jedoch zwischen den Geschlechtern: 64 Prozent der Befragten gaben an, männliche Studierende seien Hilfe abweisend, ihre Burnout-Probleme äußerten sich besonders in Lern- und Arbeitsstörungen, Sozialphobien sowie leichten Kontrollzwängen. Studentinnen litten demgegenüber verstärkt an Stress wie auch Überforderung, verbunden mit psychosomatischen Beschwerden oder depressiven Verstimmungen, was oft als Burnout gewertet wird.
Mit Medikamenten gegen Burnout?
In ihrer Diplomarbeit stieß Doreen Liebold dabei auch auf das Thema Suchtmittel: “47 Prozent der Befragten waren in ihrem Beratungsalltag schon einmal mit dem Thema Leistungsdoping konfrontiert”, sagt Liebold, “37 Prozent der Berater ohne bisherigen direkten Kontakt zu Betroffenen vermuten eine hohe Dunkelziffer. Es geht vor allem um Präparate zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit.” Als Folgen der steigenden psychosozialen Belastungen ermittelte diese Befragung Verzögerungen im Studienablauf durch Krankheits- oder Urlaubssemester sowie vermehrte Studienfachwechsel bis hin zu Studienabbrüchen. “Schreib- und Arbeitsblockaden, Versagens- und Bewältigungsängste oder allgemeine psychosomatische Beschwerden führen dazu, dass die Freude am Lernen sowie Studieren verloren geht. Gefühle wie Enttäuschung und Demotivierung breiten sich aus”, fasst Liebold alle Aussagen der Befragten zusammen.
Prävention gegen Burnout
Den steigenden Fällen von Burnout ‑Verdächtigen versuchen alle Beratungsstellen sowohl mit Einzelgesprächen entgegenzuwirken, als auch mit Lerngruppen sowie Kursangeboten, etwa zu wissenschaftlichem Reden und Schreiben, zur Prüfungsvorbereitung, zu Lernstrategien, Selbst‑, Zeit- und Stressmanagement. Jedoch: “53 Prozent der Befragten gaben an, dass die aktuellen personellen Kapazitäten der Beratungsstellen angesichts der sich anstauenden Probleme völlig unzureichend sind”, sagt Liebold.