Getrennte Wissenschaft

Zwi­schen 1945 und 1990 gab es zwei unter­schied­li­che Hoch­schul­land­schaf­ten in Berlin. Auf beiden Seiten wurde ver­sucht, poli­tisch Ein­fluss zu nehmen.

Die Hoch­schul­po­li­tik in der Sowje­ti­schen Besat­zungs­zone (SBZ) bedeu­tete zunächst umfang­rei­che Ent­na­zi­fi­zie­rungs­maß­nah­men und Bemü­hun­gen, das ost­deut­sche Hoch­schul­le­ben mög­lichst schnell wie­der­zu­be­le­ben. Ver­su­che einer „auto­no­men“ Wie­der­auf­nahme uni­ver­si­tä­rer Tätig­kei­ten durch die Hoch­schu­len in Jena, Greifs­wald, Frei­berg und Berlin vom Herbst 1945 wurden jedoch durch die Sowje­ti­sche Mili­tär­ad­mi­nis­tra­tion (SMAD) verhindert.

An der frü­he­ren Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät begann am 29. Januar 1946 unter dem Namen „Ber­li­ner Uni­ver­si­tät“ wieder offi­zi­ell der Lehr­be­trieb. Schwie­rig gestal­tete sich von Beginn an die Ver­tei­lung ein­zel­ner Fakul­tä­ten in den West­sek­to­ren. Noch kom­pli­zier­ter war der Umgang mit den direkt von der SMAD dik­tier­ten Zulas­sungs­richt­li­nien für Stu­den­ten. Sie soll­ten der mar­xis­tisch-leni­nis­ti­schen Ziel­vor­stel­lung zur Besei­ti­gung des „bür­ger­li­chen Bil­dungs­pri­vi­legs“ dienen. Dieses Vor­ha­ben nahm mit der Zeit die Form eines ideo­lo­gi­schen Aus­wahl­pro­zes­ses an, bei dem die von FDJ, SED und auch SMAD befür­wor­te­ten Kan­di­da­ten bevor­zugt wurden.

Gegengründung

An der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät führ­ten diese augen­schein­li­chen Mani­pu­la­tio­nen schon Ende 1947 zu öffent­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen Stu­den­ten­rat, Pro­fes­so­ren und Dozen­ten auf der einen sowie der von der Zen­tral­ver­wal­tung ein­ge­setz­ten Uni­ver­si­täts­lei­tung auf der ande­ren Seite. Die Son­der­zu­stände der admi­nis­tra­ti­ven Tei­lung, der dop­pel­ten Wäh­rungs­re­form und der Ber­lin­blo­ckade wirk­ten ins­ge­samt so weit, dass eine insti­tu­tio­nelle Tei­lung der Uni­ver­si­tä­ten schließ­lich unaus­weich­lich wurde. Die Schaf­fung der Freien Uni­ver­si­tät ( FU) Ende 1948 im West­teil Ber­lins war als Gegen­grün­dung nur logi­sche Kon­se­quenz. Mit dem Kalten Krieg nahmen auch die Ver­su­che der Ein­fluss­nahme im Hoch­schul­be­reich der SBZ/DDR durch SMAD und DDR-Regie­rung zu. Die enorme Bedeu­tung der Intel­li­genz für den gesell­schaft­li­chen und staat­li­chen Neu­auf­bau führte schließ­lich zu der para­do­xen Situa­tion, dass ein Teil der alten „bür­ger­li­chen“ Intel­li­genz die neue „sozia­lis­ti­sche“ Intel­li­genz mit dem Ziel aus­bil­den sollte, sich selbst über­flüs­sig zu machen. Die Arbei­ter- und Bau­ern­fa­kul­tä­ten (ABF) sowie die Päd­ago­gi­schen Fakul­tä­ten dien­ten als wei­te­res Mittel hierzu. Sie schu­fen theo­re­tisch eine Chan­cen­gleich­heit, prak­tisch brach­ten sie aber eine sich selbst repro­du­zie­rende, regime­treue Intel­li­genz­schicht hervor.

Die TU wurde nach dem Krieg neu auf- und ausgebaut.

Kaderschmiede

Diese Ent­wick­lun­gen traten an der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät, die 1949 den Namen Hum­boldt- Uni­ver­si­tät erhielt, ver­stärkt auf. Die Hoch­schule sollte als „Kader­schmiede“ der neuen Repu­blik dienen. Die Aus­wahl­kri­te­rien waren hier stren­ger an den ideo­lo­gi­schen Grund­sät­zen ori­en­tiert als anderswo. Das für sämt­li­che Fächer obli­ga­to­ri­sche mar­xis­tisch- leni­nis­ti­sche Grund­la­gen­stu­dium wurde kon­se­quent ver­folgt, die soge­nann­ten „Stu­den­ten­som­mer“ – ein kol­lek­ti­ver Arbeits­ein­satz meist in der Land­wirt­schaft – als unver­zicht­bar emp­fun­den. Nicht nur für die Ber­li­ner Stu­den­ten waren regel­mä­ßige Wehr­übun­gen und die Teil­nahme an den diver­sen Poli­tik­ver­an­stal­tun­gen Pflicht. Zwi­schen 1945 und 1990 gab es zwei unter­schied­li­che Hoch­schul­land­schaf­ten in Berlin. Auf beiden Seiten wurde ver­sucht, poli­tisch Ein­fluss zu nehmen.

Kritik oder offene Pro­teste gegen die Ver­ein­nah­mung durch die Par­tei­füh­rung gab es nach 1949 kaum. Ein Grund dafür war die noch bis 1961 bestehende Aus­wan­de­rungs­mög­lich­keit in den West­teil der Stadt oder die BRD. Bis zum Mau­er­bau waren bei­spiels­weise etwa ein Drit­tel der FU-Stu­den­ten DDRBür­ger. Auch ein öffent­li­ches, kri­ti­sches Hin­ter­fra­gen oder gar poli­ti­schen Pro­test an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät gab es kaum.

Begrenzte Aus­nah­men stell­ten einige Aktio­nen zum 17. Juni 1953, zum Volks­auf­stand in Ungarn 195657 sowie zur 68er Bewe­gung dar, die aber nie für die Mehr­heit der Hoch­schul­an­ge­hö­ri­gen stan­den. Wäh­rend 1968 einige Hoch­schul­ver­tre­ter und Stu­den­ten für die Ent­wick­lung eines „demo­kra­ti­schen Sozia­lis­mus“ ein­tra­ten, fehlte das geschlos­sene oder auch nur spo­ra­di­sche Auf­tre­ten der ost­deut­schen Hoch­schul­land­schaft in der fina­len Krise von 1989 völlig.

Amerikanische Hilfe

Am Anfang des West­ber­li­ner Hoch­schul­le­bens stand viel Ent­täu­schung. Die zuneh­mende Kon­trolle von SMAD und SED an der im Ost­teil gele­ge­nen Ber­li­ner Uni­ver­si­tät sorgte zunächst man­gels Alter­na­ti­ven für die Abwan­de­rung vieler Stu­den­ten und Lehr­kräfte in den „rich­ti­gen“ Westen außer­halb der SBZ. Die Nicht­zu­las­sung poli­tisch uner­wünsch­ter oder kri­ti­scher Stu­den­ten sowie die Bevor­zu­gung regime­treuer Bewer­ber ver­mehr­ten die For­de­run­gen nach Grün­dung einer Gegenuniversität.

Unter Mit­hilfe enor­mer ame­ri­ka­ni­scher Anschub­fi­nan­zie­rung wurde im Dezem­ber 1948 die Grün­dung der Freien Uni­ver­si­tät gefei­ert. Sie stellte fortan den Raum für eine „freie Wis­sen­schaft“ zur Ver­fü­gung, defi­nierte sich aber von Beginn an – bis zum Mau­er­bau – aus dem Gegen­satz zur HU im Ost­teil. Die DDR-Wis­sen­schaft­ler ver­such­ten fol­gend, die „Spal­ter­uni­ver­si­tät“ zu igno­rie­ren und die HU als „die wahre Hoch­schule Ber­lins“ anzu­prei­sen. Ent­spre­chend erklärte der Aka­de­mi­sche Senat der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät Anfang 1949 ein gleich­zei­ti­ges Stu­dium an beiden Hoch­schu­len für unver­ein­bar. In der Folge – und bis 1989 – zog ins­be­son­dere die FU sehr viel Nutzen aus ihrem „Front­stadt­sta­tus“. Nicht nur die all­ge­meine Wehr­pflicht­be­frei­ung in Berlin zog Stu­den­ten aus der BRD zuse­hends an. Auch die groß­zü­gige Aus­stat­tung mit Lehr­mit­teln und Dozen­ten sowie die all­ge­mein reich­hal­tige För­de­rung brachte der Hoch­schule inter­na­tio­na­les Prestige.

Politische Universität

Den­noch war die FU immer eigen­stän­dig, gerade auch im poli­ti­schen Sinn. In seiner Eröff­nungs­rede zur Aus­stel­lung „Zukunft von Anfang an“ an der FU im Jahr 1992 bemerkte der dama­lige Prä­si­dent des Ber­li­ner Abge­ord­ne­ten­hau­ses Walter Momper hierzu: „Das war keine Uni­ver­si­täts­grün­dung für beschau­li­che For­schung und Lehre im Elfen­bein­turm der Wis­sen­schaft … Die Freie Uni­ver­si­tät war eine poli­ti­sche Uni­ver­si­tät – von Anfang an.“ Ende der 60er-Jahre war dann die FU unter Füh­rung des Stu­den­ten Rudi Dutschke auch ein wesent­li­ches Zen­trum der Stu­den­ten­be­we­gung. Sie behielt ihre hohe poli­ti­sche Akti­vi­tät bis in die späten 80er-Jahre hinein bei.

Die Wende bedeu­tete für die FU kaum Vor­teile. Ihres exklu­si­ven Status beraubt, war sie fortan den Spar­maß­nah­men und Ein­schrän­kun­gen der hoch­ver­schul­de­ten neuen Haupt­stadt ausgeliefert.

Im Gegen­satz zur FU besaß die Tech­ni­sche Uni­ver­si­tät (TU) eine Ver­gan­gen­heit im Natio­nal­so­zia­lis­mus, von der sie sich durch die Umbe­nen­nung bewusst absetzte. Als erste Tech­ni­sche Hoch­schule Deutsch­lands bekam sie den Namen „Tech­ni­sche Uni­ver­si­tät“. Der neue Name sollte auch den Willen einer inhalt­li­chen Neu­be­stim­mung des Bil­dungs­auf­tra­ges der Hoch­schule aus­drü­cken. Die zwi­schen­zeit­li­che Ein­füh­rung eines obli­ga­to­ri­schen huma­nis­ti­schen Stu­di­ums war ein Ergeb­nis davon.

Reformfreude

Auch in der Fol­ge­zeit zeigte sich die TU reform­freu­dig. Der Auf­sto­ckung auf 21 Fach­be­rei­che Ende der 60er-Jahre folgte ab 1980 die teil­weise Ein­glie­de­rung der auf­ge­lös­ten Ber­li­ner Päd­ago­gi­schen Hoch­schule. Das Spek­trum der TU erwei­terte sich somit auch auf den Bereich der Erzie­hungs- und Unter­richts­wis­sen­schaf­ten. Die TU Berlin wurde zu einer der zehn größ­ten Uni­ver­si­tä­ten und gleich­zei­tig die größte Tech­ni­sche Uni­ver­si­tät in der Bun­des­re­pu­blik. Sie hatte und hat den höchs­ten Anteil aus­län­di­scher Stu­den­ten aller bun­des­deut­schen Hochschulen.

Auf die wohl längste wis­sen­schaft­li­che Tra­di­tion kann die Uni­ver­si­tät der Künste ( UdK) zurück­bli­cken. Die von der Stu­den­ten­zahl her kleinste Ber­li­ner Uni­ver­si­tät blickt durch ihren Vor­gän­ger – die Aka­de­mie der Künste – auf eine über drei­hun­dert­jäh­rige Tra­di­tion zurück. Ihre heu­tige Struk­tur bil­dete sich aber end­gül­tig erst in den letz­ten drei­ßig Jahren heraus. In der Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus litt sie ganz beson­ders unter der Ver­trei­bung jüdi­scher und poli­tisch miss­lie­bi­ger Künst­ler. Der Wie­der­auf­bau – jetzt in West­ber­lin – gestal­tete sich ent­spre­chend schwie­rig, konnte aber unter Karl Hofer und Boris Bla­cher den Anschluss an die Moderne schnell wieder finden.