Von Humboldt bis Hitler

Aus einem Ideal heraus ent­stand 1810 die Ber­li­ner Uni­ver­si­tät. Doch die Ber­li­ner Hoch­schu­len waren immer eng in die Strö­mun­gen der Zeit eingebunden.

Anfang des 19. Jahr­hun­derts waren Preu­ßen und große Teile „Deutsch­lands“ durch napo­leo­ni­sche Trup­pen besetzt, was die ein­hei­mi­schen Fürs­ten zu Vasal­len der Erobe­rer degra­dierte. Im Jahr 1809 wurde den­noch die Ber­li­ner Uni­ver­si­tät gestif­tet und im dar­auf­fol­gen­den Jahr eröff­net. Die Umstände schu­fen – unter den Ein­drü­cken der fran­zö­si­schen Revo­lu­tion und der deut­schen Auf­klä­rung – die Vor­aus­set­zun­gen für die Grün­dung einer moder­nen Hoch­schule. Fol­gend sollte sie den Titel „Mutter aller moder­nen Uni­ver­si­tä­ten“ erhal­ten. Grund­kon­zept des Begrün­ders und spä­te­ren Namens­ge­bers Wil­helm von Hum­boldt war die Idee der „Ein­heit von For­schung und Lehre“. Dem­nach sollte in einer „Uni­ver­si­tas literarum“ die wis­sen­schaft­li­che Arbeit eng mit der huma­nis­ti­schen Cha­rak­ter­bil­dung ver­bun­den sein. Hum­boldt stützte sich auf pro­gram­ma­ti­sche Vor­ar­bei­ten des Phi­lo­so­phen Johann Gott­lieb Fichte, des Theo­lo­gen Fried­rich Schlei­er­ma­chers sowie auf die Ideen des Medi­zi­ners Chris­toph W. Hufeland.

Intellektuelles Mekka

Im Laufe des 19. und 20. Jahr­hun­derts stu­dier­ten und lehr­ten zahl­rei­che intel­lek­tu­ell füh­rende Köpfe in Berlin; dar­un­ter Hegel, Savi­gny, Gans, Marx, Engels, Heine, von Cha­misso, Feu­er­bach oder Ein­stein. Doch nicht nur an der „Alma Mater Bero­li­nen­sis“ sah man sich – obwohl ursprüng­lich im auf­ge­klär­ten Libe­ra­lis­mus wur­zelnd – Ende des 19. Jahr­hun­derts einem immer stär­ker wer­den­den preu­ßi­schem Natio­na­lis­mus aus­ge­setzt. Zuse­hends ent­stand die Not­wen­dig­keit, der all­ge­mei­nen gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­rung und beson­ders der fort­schrei­ten­den Indus­tria­li­sie­rung auch auf Hoch­schul­ebene Rech­nung zu tragen. Die Grün­dung der König­lich Tech­ni­schen Hoch­schule zu Berlin (TH) war 1879 die prag­ma­ti­sche Kon­se­quenz. Basie­rend auf der Ver­ei­ni­gung von Bau- und Gewer­be­aka­de­mie errang die Tech­ni­sche Hoch­schule bald einen den „huma­nis­ti­schen“ Uni­ver­si­tä­ten eben­bür­ti­gen Rang. For­ma­len Voll­zug erhielt diese Auf­wer­tung durch das 1899 von Kaiser Wil­helm II. gewährte Recht aller Tech­ni­schen Hoch­schu­len Preu­ßens – somit auch der Ber­li­ner – als erste im Deut­schen Reich den Dok­tor­grad zu verleihen.

Erfolgreiches Brotstudium

Die Reak­tion der eta­blier­ten Hoch­schul­land­schaft und ihrer Ver­tre­ter war ambi­va­lent. Zum einen sah man eine Auf­wei­chung der gewach­se­nen, eli­tä­ren und streng an den Idea­len des Huma­nis­mus aus­ge­rich­te­ten Aka­de­mi­k­erelite, zum ande­ren ver­stand man sich nur zu gern als Teil der natio­nal­pa­trio­ti­schen Eupho­rie. Der Begrün­der der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät hatte diese Ent­wick­lung noch mit Skep­sis als „Brot­stu­dium“ bezeich­net, wurde aber schnell durch die umfas­sen­den Erfolge der „Tech­ni­schen“ über­tönt. Zu den bekann­tes­ten For­schungs­er­geb­nis­sen in der TH dieser Zeit gehö­ren die Ent­wick­lung der Drei-Farben-Foto­gra­fie, der Tief­druck­tech­nik und des Blitz­lich­tes durch Adolf Miethe. Hans Geiger ent­wi­ckelte hier den so genann­ten „Geiger-Zähler“.

Nationalsozialistische Anfänge

Die natio­na­lis­ti­sche Grund­aus­rich­tung zeigte schon bald ihre Folgen. Der „Ber­li­ner Anti­se­mi­tis­mus­streit“ der His­to­ri­ker Hein­rich von Treit­schke und Theo­dor Momm­sen ist bei­spiel­haft für die ideo­lo­gi­schen Ver­än­de­run­gen. So sprach sich bis 1881 ein Groß­teil der Ber­li­ner Stu­den­ten für die Abschaf­fung der Gleich­stel­lung ihrer jüdi­schen Kom­mi­li­to­nen aus. Die deutsch-natio­na­lis­ti­sche Begeis­te­rung fand ab August 1914 ihren vor­läu­fi­gen Höhe­punkt. Viele Stu­den­ten und Dozen­ten folg­ten begeis­tert dem Aufruf zur Betei­li­gung am Krieg. Den­noch demons­trier­ten einige ange­se­hene Wis­sen­schaft­ler offen dage­gen. Allen voran Albert Ein­stein und der Phy­sio­loge G. F. Nico­lai. In der Phase der Novem­ber­re­vo­lu­tion spie­gelte sich die all­ge­meine Ver­un­si­che­rung und Des­ori­en­tie­rung der Gesell­schaft auch in der Hoch­schul­land­schaft wieder. Eini­gen Grün­dun­gen von Stu­den­ten­rä­ten zum Trotz, setzte sich ein zuneh­mend reak­tio­nä­res Natio­nal­be­wusst­sein durch. Dieses bil­dete den Ursprung der umstrit­te­nen Rolle der Ber­li­ner Hoch­schu­len in der NS-Zeit.