Editorial: Farbrausch
Reizüberflutung in der Großstadt. Neonschriften überlappt von Werbesprüchen. Ein Meer aus Lichtern und Farben. Berlin ist ein einziger Farbrausch – mit und ohne Drogen.
Vom Christopher Street Day über den Karneval der Kulturen bis hin zum Rampenlicht der Berlinale, vom Graffiti bis zur Festtagsbeleuchtung: die Stadt färbt ab.
Wenn wir an Farben denken, sehen wir den unversehrten Wassermalkasten vorm geistigen Auge. Benutzt man ihn erst, bleibt keine Farbe unvermischt. In den Berliner Künstlerszenen ziehen sich Neonfarben durch Siebdruck, Leinwände und Poesie. Inder Politik färbt man sein Wahlprogramm nach der Mode, aber trotzdem bekennt keiner mehr richtig Farbe. Den Regenbogen muss sich die Queerszene mit den bunten Blättern der Boulevardpresse teilen. Grün ist nicht immer öko. Aber grün sprießt es im Hochsommer der Brunftzeit. Rosarote Brillen schauen den luftigen Röcken hinterher. Die grauen Hörsaale werden zunehmend leerer, dafür stapeln sich auf den campusgrünen Streifen Sonnenhungrige aller Art, ihre weißen Blätter bleiben es auch. Die Tage werden länger und die Nächte bunter.
Farbe ist eine Frage der Einstellung. Keine graue Wand muss es bleiben; fehlt die Ideen, lassen sich Asphalt und Beton immer noch farbig trinken – Farbrausch.
Euer spree-Team