Sei anonym! Editorial 1 /2012

Wer als Stu­dent in einer Groß­stadt wie Berlin lebt, ist in meh­re­ren Welten gleich­zei­tig unter­wegs, mit ver­schie­de­nen Iden­ti­tä­ten, die sich teil­weise über­schnei­den und gänz­lich unterscheiden. 

Metro­po­lis, Hoch­schule, Inter­net, über­all eröff­net sich die Mög­lich­keit, seine Iden­ti­tät für einen Augen­blick zu ver­ges­sen und anonym zu werden.

Man kann sich in der S‑Bahn mit Smart­phone und Vor­le­sungs­rea­der beschäf­ti­gen, anstatt wahr­zu­neh­men, wer schon seit einer Vier­tel­stunde neben einem sitzt. In einem über­füll­ten Hör­saal darf man für Dozen­ten und Kom­mi­li­to­nen auch gerne ein Teil der gesichts­lo­sen Masse sein, in der nicht einmal eine Schau­fens­ter­puppe auf­fal­len würde. Im fami­liä­ren Semi­nar­raum ent­wi­ckeln sich hin­ge­gen plötz­lich intime Freund­schaf­ten, die ein Stu- den­ten­le­ben über­dau­ern können.

Dazu lädt das Inter­net zum Spiel mit den Iden­ti­tä­ten ein: Der Schutz 19 der Anony­mi­tät kann in jedem Nutzer den Troll zum Leben erwe­cken, der in Chat­rooms und Foren sein Unwe­sen treibt und jede kon­struk­tive Dis­kus­sion im Keim erstickt. Zeit­gleich kann man seinem realen und vir­tu­el­len Freun­des­kreis die Chro­nik seines Lebens offen­le­gen. Der bewusste Umgang mit den eige­nen Iden­ti­tä­ten lädt dazu ein, die Frei­heit zu nutzen, auch mal aus ihnen her­aus­zu­tre­ten – in die gesichts­lose Anony­mi­tät. Euer spree-Team