Wie schafft ihr das?

Stu­die­ren zwi­schen Leis­tungs­an­sprü­chen, Zukunfts­plä­nen und Zeit­druck – im eng­ge­strick­ten Stu­di­en­ver­laufs­plan bleibt für viel keine Zeit mehr: Ehren­amt, Kin­dern oder beruf­li­chen Umwe­gen wird kein Platz eingeräumt.

Studieren in Berlin: Wie schafft ihr das? (Foto: Albrecht Noack)

Neues Semes­ter, neu­ es Glück. Die Stu­den­ten der Hum­boldt­Universität zu Berlin tru­deln nach drei Mona­ten wieder in ihre Insti­tute ein. Unter ihnen ist auch Susy: Für die 22­jähri­ge Lin­gu­is­tik­stu­den­tin und ihre Kom­mi­li­to­nen war der Sommer – zwi­schen Haus­ar­beit, Praktikums­bericht und Nach­schrei­be­klau­sur – ledig­lich eine vor­le­sungs­freie und keine stu­di­ums­freie Zeit. Im Bachelor/Master­System muss die Stu­den­tin viele Bäl­le gleich­zei­tig in der Luft halten, immer mit dem Blick auf die Re­gelstudienzeit. Beim Bache­lor an Uni­ver­si­tä­ten sind es sechs Se­mester, eine idea­li­sierte Empfeh­lung, die am Leben der meis­ten Stu­die­ren­den vor­bei­geht. Denn weni­ger Zeit zum Stu­die­ren be­deutet auch, weni­ger Zeit, um sich aus­zu­pro­bie­ren und die eige­ne Per­sön­lich­keit zu ent­wi­ckeln. Der Recht­fer­ti­gungs­druck wächst mit jeder gescho­be­nen Prü­fung: gegen­über Eltern und zukünfti­gen Arbeit­ge­bern, gegen­über dem Bafög­Amt, gegen­über sich selbst. Trotz­dem gibt es Stu­die­rende, denen das Stu­dium allein nicht genügt: sie haben einen Neben­job oder beklei­den ein Ehren­amt, manche stu­die­ren mit Kind oder Behin­de­rung. Zusam­men mit Susy hat die spree solche Men­schen ge­sucht – wir woll­ten wissen: Wie schafft ihr das?

Der Lohn des Ehrenamts

Susy selbst war einige Zeit als Lese­pa­tin in einer Kreuz­ber­ger Grund­schule ehren­amt­lich ak­tiv. „Wenn meine Eltern mir frü­her vor­ge­le­sen haben, war das für mich das Größte!“ Als durch die Medien ging, dass Kin­dern immer weni­ger vor­ge­le­sen wird, mel­dete sich Susy kur­zer­hand für eine Lese­pa­ten­schaft. Sie stellte schnell fest, dass Ehren­amt nicht gleich Ehren­amt ist. Die Vermittlungs­initiative der Lese­pa­ten bezeich­net sie als „des­or­ga­ni­siert“. Wenn man Ehren­amt und Stu­dium paral­lel laufen lassen möchte, braucht man ein gutes Zeit­ma­nage­ment, merkte Susy. Im Stu­di­en­ver­laufs­plan ist ein Bereich für ehren­amt­li­che Tä­tigkeiten nicht vor­ge­se­hen. Was spitz­fin­dig klingt, kann sich für Stu­die­rende schnell als Pro­blem her­aus­stel­len. Dass die ehren­amtliche Tätig­keit im Stu­dium im Bachelor/Master­System zurück­gegangen ist, hat die Bertels­mann­Stiftung im ver­gan­ge­nen Jahr mit einer Studie gezeigt – ein zen­tra­ler Grund dafür: Zeitman­gel. Dabei ist die theo­re­ti­sche Bereit­schaft, ehren­amt­lich aktiv zu werden, auf einem Rekord­hoch. Im Laufe von zehn Jahren ist sie um 10 Pro­zent gestie­gen und liegt bei jungen Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund mit 54 Pro­zent ins­ge­samt sogar deut­lich über der Gesamt­quote von 49 Pro­zent. Ent­wi­ckelt sich das Ehren­amt zu ei­ner Luxusbeschäf­tigung, die zwar gerne gemacht wird, aber hinter Forde­rungen und Wunsch nach Prak­tika, Aus­landsaufenthalten und Regelstudien­zeit immer mehr in den Hin­ter­grund rückt? Nach einem Tur­bo­stu­dium mit Ba­chelor und Master ist die Universitäts­laufbahn bereits nach fünf Jahren been­det. Eine lange Stu­di­en­zeit wird auch von Kom­mi­li­to­nen ger­ne mit Feiern und Fau­len­zen asso­ziiert. Viele Stu­die­rende, die sich mehr Zeit nehmen, nutzen die­se jedoch vor allem, um sich auf Wegen außer­halb der Uni auszu­probieren. Wer sich auf einen ra­schen Abschluss ver­steift und sich nicht die Zeit nimmt, noch etwas ande­res als die Uni kennenzuler­nen, den kann eine Schreibblocka­de bei der Haus­ar­beit oder eine schlechte Klau­sur schnell aus der Bahn werfen.

Ehrenamtliche Lebenshilfe

Susy hat sich nach ihren ambiva­lenten Erfah­run­gen als Lese­pa­tin für das kom­mende Win­ter­se­mes­ter eine neue Auf­gabe gesucht: Sie hilft einer Orga­ni­sa­tion, die ara­bisch­spra­chi­gen Kin­dern kosten­losen Nach­hil­fe­un­ter­richt anbie­tet. Nicht nur für die Kinder ist Susys Arbeit eine große Hilfe. „Eltern haben einen harten Job. Es ist schön, dass ich ihnen dabei etwas unter die Arme grei­fen kann.“

Wohin mit Kind?

Wenn eine Stu­den­tin und ein Stu­dent Eltern werden, kann es sein, dass sie ihre bis­he­ri­gen Lebens­entwürfe anpas­sen und Kom­promisse ein­ge­hen müssen. Stu­dierende Eltern mit Kind sind des­we­gen wie kaum eine andere Gruppe auf einen Kita­platz ange­wiesen. Jedoch sind Stich­worte wie „Betreu­ungs­eng­pass“, „man­gelnde Kita­plätze“, „zu wenig Per­sonal“ die Schlag­worte, die man dazu hört und liest. Das Fehlen von Kin­der­be­treu­ung ist ein er­hebliches Pro­blem für stu­die­rende Eltern, denn grade ihnen man­gelt es oft an Zeit und Geld. Wie sieht es an den Ber­li­ner Hoch­schu­len aus? Wie schaf­fen Stu­die­rende den Spagat zwi­schen Stu­dium und Kin­der­er­zie­hung? Es ist Frei­tag­nach­mit­tag, 16 Uhr. Direkt beim S­Bahnhof Tier­gar­ten schal­len Kinderstim­men durch die Luft – hier liegt die Kin­der­ta­ges­stätte der Tech­nischen Uni­ver­si­tät und der Uni­versität der Künste. Helene, elf Monate alt, wird hier seit fünf Mo­naten betreut. Ihre Mutter Diana, selbst Stu­den­tin an der UdK, hat sich bereits ein Jahr im Voraus um einen Platz bewor­ben und ihn zu ihrer Freude auch erhal­ten. Das Glück haben nicht alle. Se­bastian, Vater und Stu­dent an der TU Berlin, hat seinen Wunschkita­platz für Toch­ter Kara­ Emilia, vier Jahre alt, auf dem Cam­pus der TU Berlin nicht bekom­men. Er und Ka­ra ­Emi­lias Mutter hatten sich bereits ein Jahr im Voraus auf den Kita­platz bewor­ben, um ihre Toch­ter mit einem Jahr in die Krippe geben zu können. Sie muss­ten auf den Krip­pen­platz ei­ner ande­ren Tages­stätte zurück­grei­fen. Mas­sive Pro­bleme drohen jedoch, wenn die jungen Eltern gar keinen Platz für den Spröß­ling finden. Ohne die Betreu­ung wäre es nicht gegan­gen: Diana wusste, dass sie ihre Toch­ter mit einem halben Jahr in die Kita geben muss, damit sie ihr Stu­dium abschlie­ßen kann. Diana hatte Glück – beson­ders Krip­pen­plätze, Betreuungsange­bote für Kinder unter zwei Jahren, sind heiß begehrt. Um einen Kita­platz in Berlin zu erhal­ten und da­bei finan­zi­ell unter­stützt zu wer­den, benö­ti­gen die Eltern für ihr Kind einen Kita­gut­schein – Anträ­ge und Amts­ren­ne­rei inklusive.

Aktionen statt Kulturwandel

Die Nach­frage nach Plät­zen ist bei allen Kitas des Studenten­werks größer als das Ange­bot an Plät­zen. „Das Pro­blem ist, dass es zu wenig Krip­pen­plätze gibt“, so Carola Wanzek, Lei­te­rin des Fa­milienbüros der TU Berlin. Das Stu­den­ten­werk betreibt bisher fünf Kitas, gele­gen direkt auf den Campus fünf großer Ber­li­ner Hoch­schu­len. Carola Wanzek spricht von ei­nem nöti­gen Kul­tur­wan­del, der an Ber­li­ner Hoch­schu­len stattfin­den muss. Mehr Ver­ständ­nis für Stu­die­rende mit Kind von Seiten der Leh­ren­den und Kommilito­nen sei unbe­dingt not­wen­dig. Das Stu­dium mit Kind ist eine große Her­aus­for­de­rung – trotz vieler Pro­jekte und Aktio­nen wie Be­grüßungspaketen für Stu­die­rende mit Kind oder dem „TU­Tandem“, einem Men­to­ring­pro­gramm, wel­ches im Som­mer­se­mes­ter 2013 an der TU Berlin star­ten soll und sich an Per­so­nen mit Kind oder mit zu pfle­gen­den Ange­hö­ri­gen rich­tet. Seit der Umstel­lung auf das Bachelor/Master­System sei der Druck auf stu­die­rende Eltern mit Kind weiter gestie­gen, so Wan­zek weiter, die Fle­xi­bi­li­tät der El­tern sei gesun­ken, das spür­ten alle Kitas des Stu­den­ten­werks. Man­gelnde Fle­xi­bi­li­tät und Zeit­druck sind jedoch die größ­ten Pro­bleme von Stu­die­ren­den mit Kind. Um dies zu ver­bes­sern, wäre es laut Carola Wanzek neben ande­ren Fle­xi­bi­li­sie­rungs­maß­nah­men nötig, eine ent­spre­chende Aufbe­reitung von Stu­di­en­gän­gen für ein Teil­zeit­stu­dium ein­zu­füh­ren. Da­bei weisen Teil­zeit­stu­di­en­gänge noch immer das Pro­blem auf, dass sich für die Stu­die­ren­den die finan­zi­el­len Rah­men­be­din­gun­gen ver­än­dern. Im Klar­text heißt das, volle finan­zi­elle Unter­stüt­zung nur für Voll­zeit­stu­die­rende. Daran etwas zu ändern, liege aber in den Händen des Gesetz­ge­bers. Die Lei­terin des Fami­li­en­bü­ros emp­fiehlt Stu­die­ren­den mit Kind des­we­gen: „Gut vor­pla­nen! Ein­fach selbstbe­wusst sein und sich klar machen, dass es eine ganz große Leis­tung ist, selbst eine Fami­lie zu haben und gleich­zei­tig zu studieren!“

Der Blick auf die Rücksicht

Ein Kind im Stu­dium for­dert ein Mehr: an Orga­ni­sa­tion, an Geld, an Für­sorge. Aber nicht nur Kin­der und ihre Eltern brau­chen Unter­stüt­zung. Auch manche kin­derlosen Stu­den­ten brau­chen im Stu­di­en­all­tag Hilfe.

Schwierigkeiten im Seminar

Katrin ist eine solche Studen­tin. Wenn man von Kat­rins Leben hört, könnte man meinen, sie sei eine ganz nor­male Stu­den­tin – sie geht gerne Tango tanzen, spielt Gitarre und enga­giert sich ehren­amtlich in einer Musik­schule. Eine Sache unter­schei­det Katrin jedoch von ihren Kom­mi­li­to­nen: sie lebt mit dem Alström­Syndrom. Seit ihrer Geburt ist sie seh­be­hin­dert, bereits als Kind wurde eine Ein­schränkung beim Hören festge­stellt. Als Kind konnte sie Farben anhand von Schat­tie­run­gen erken­nen, Gesich­ter konnte sie noch als Kon­tu­ren erken­nen. Mittlerwei­le kann sie nur noch leichte Un­terschiede von natür­li­chem Licht wahr­neh­men. Sie ist fast vollkom­men blind. Bei vielen Umgebungs­geräuschen ist ihr eine nor­male Unter­hal­tung nicht mög­lich. Trotz dieser Ein­schrän­kun­gen geht Katrin ihr Stu­dium an, wie die meis­ten Stu­die­ren­den: Zu Be­ginn des Semes­ters wählt sie ei­nige Kurse aus und schaut, ob ihr Dozen­ten und Ver­an­stal­tun­gen zusa­gen. Vor jeder Ver­an­stal­tung bittet Katrin den jewei­li­gen Do­zenten, ein Spezial­Mikro umzu­hängen, damit sie der Veranstal­tung folgen kann. Ant­wor­ten wie „Was? Das soll ich über meinen Schlips hängen, wie sieht denn das aus?“ gehö­ren zu den Ausnah­men. Pro­ble­ma­tisch wird es in Dis­kussionsrunden, weil das Herum­reichen von Kat­rins Mikro häufig nicht funk­tio­niert oder sogar als stö­rend emp­fun­den wird. Katrin erlebt Dozen­ten ver­schieden: solche, die sie ignorie­ren; solche, die sie auf eine ihr un­erträgliche Weise bewun­dern und solche, die sie ernst nehmen. Mit dem zwei­ten Dozen­ten­schlag kann Katrin am wenigs­ten umge­hen. Sie schüt­telt wider­wil­lig den Kopf, wenn sie von ihnen berich­tet: „Wenn mich schon jemand bewun­dern muss, dann soll er das tun, weil ich irgend­was toll gemacht habe und nicht, weil ich ein­fach nur meinen Alltag lebe!“.

Dieser Alltag gestal­tet sich jedoch häufig schwie­rig. Kat­rin ist es wich­tig, ein selbst­stän­di­ges Leben zu führen und so viel wie mög­lich ohne fremde Hilfe zu schaf­fen. Im Stu­dium braucht sie Unter­stützung, des­halb stellt das Stu­den­ten­werk Katrin Stu­di­en­as­sis­ten­ten zur Seite, die sie zu Ver­an­stal­tun­gen beglei­ten und Recher­che­ar­bei­ten erle­di­gen. Mit ihrem Com­pu­ter kann Katrin die meis­ten digi­talen Doku­mente lesen. Dafür hat sie einen Braille­Display, der die Bild­schir­min­halte in Punkt­schrift wie­der­gibt. Dank dieses Geräts kann sie Texte in Braille­schrift ertas­ten. Die Stu­di­en­as­sis­ten­ten sind ein wich­ti­ger Bestand­teil von Kat­rins Leben gewor­den. Und man­che sind wäh­rend und nach dieser Zeit zu Freun­den gewor­den. Viele Men­schen sind im Umgang mit Katrin unsi­cher. „Sie wissen nicht, wie sie sich mir gegen­über verhal­ten sollen“. Katrin sieht eine ganz ein­fa­che Lösung: mehr Mut, Fra­gen zu stel­len. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht: „Ich beiße nicht.“ Dass das Stu­den­ten­werk Studi­enassistenten bezahlt, hat Katrin durch eine Freun­din erfah­ren. Zum Glück, wie sie sagt. „Ohne meine Assis­ten­ten wäre ich im Stu­dium baden gegan­gen“. Nicht nur im Stu­den­ten­werk, auch in der stu­dentischen Selbst­ver­wal­tung je­der Hoch­schule findet sich eine Bera­tungs­stelle für Stu­die­rende mit Behin­de­rung. Der All­ge­mei­nen Stu­die­ren­den­aus­schus­ses (AStA) der Freien Uni­ver­si­tät Berlin etwa bietet Hil­fe­stel­lung in über zwölf Berei­chen, auch zum Thema Da­tenschutz oder Bafög.

Prüfungen und Parlamente

Enga­ge­ment in den Hochschulgre­mien kostet Zeit, die man zwar für die Uni auf­bringt, aber nicht für sein Stu­dium. Ste­phan Otto saß drei Jahre im Stu­die­ren­den­par­la­ment (Stu­ Pa) der Humboldt­Universität und weiß, wie zeit­auf­wän­dig Gremien­arbeit ist. Sieben Jahre hat er für den Bache­lor gebraucht. „Eigent­lich wollte ich mög­lichst schnell fertig werden“, am Ende sei­nes sechs­ten Semes­ters hatte er schon rund 80 Pro­zent seiner be­nötigten Stu­di­en­punkte. Ihm fehl­te aller­dings noch ein geeig­ne­tes Thema für seine Bache­lor­ar­beit. Dann kamen ver­schie­dene Din­ge zusam­men: Er hatte mit einer Krank­heit zu kämp­fen, pen­delte zwi­schen Berlin und Bie­le­feld, zog ins StuPa ein, begann wieder zu arbei­ten. Das gab ihm eine gewis­se Gelas­sen­heit, um nicht nur den Weg Rich­tung Abschluss ent­lang zu eilen, son­dern auch die Seiten­ und Par­al­lel­stra­ßen zu erkunden.

Berufserfahrung überall

Man gewinne viel durch die Gre­mienarbeit, was mit Fach­wis­sen nicht auf­zu­wie­gen sei, meint Ste­phan: „Die Stu­den­ten können sich poli­tisch aus­pro­bie­ren.“ Denn eine Funk­tion darf seiner Mei­nung nicht unter den Tisch fallen. „Das StuPa ist auch eine Kader­schmiede für ange­hende Poli­ti­ker und Funk­tionäre, hier sam­meln sie Erfah­rungen für ihren spä­te­ren Beruf.“ Ste­phan hat aus seiner Zeit im StuPa eini­ges mit­ge­nom­men: das Gefühl, vor 70 Leuten eine Rede zu halten; die Erfah­rung, in der rauen Atmo­sphäre des StuPas ver­bale Prügel ein­ste­cken zu müssen; die rhe­to­ri­schen Fähig­kei­ten, um ande­ren argu­men­ta­tiv das Wasser rei­chen zu können. Für Ste­phan ist das Enga­ge­ment in der Hoch­schul­po­li­tik ein wich­tiger Schritt in seiner Persönlich­keitsentwicklung gewe­sen. Susy und ihren Kom­mi­li­to­nen, die noch am Anfang ihres Hoch­schul­le­bens stehen, emp­fiehlt er den Zugang zur Hoch­schul­po­li­tik im Klei­nen, in den Fach­schaf­ten und Diskus­sionsgruppen in Stu­den­ten­ca­fés. Schnell findet man dann Studieren­de, die auch inter­es­siert sind und bei denen man sich wohl fühlt, um in einer Gruppe aktiv zu werden. „Das Wich­tigste ist, dass Ihr Spaß daran habt“, sagt Stephan.

Suche nach der Perspektive

Trotz der zahl­rei­chen Möglichkei­ten im Stu­dium macht sich Susy schon Gedan­ken über die Zeit nach dem Bache­lor­ab­schluss. Erst Berufs­er­fah­rung oder gleich Mas­terabschluss? An der Uni­ver­si­tät blei­ben oder das Glück in der frei­en Wirt­schaft suchen? Nach dem Abitur sah sie sich mit ähn­li­chen Fragen kon­fron­tiert und nahm sich ein Jahr Zeit, um Ant­wor­ten zu finden. Zunächst war sie ein halbes Jahr im Liba­non, dem Hei­mat­land ihres Va­ters. Danach sam­melte sie Erfah­rungen in meh­re­ren Prak­tika, ihre Sta­tio­nen zogen sich durch die unter­schied­lichs­ten Berufszwei­ge: Steu­er­kanz­lei, Anwalts­büro, Kran­ken­haus, Grund­schule, Radio­sender. Die Arbeit beim Rund­funk hat sie so begeis­tert, dass sie ein Stu­dium in diesem Bereich auf­nahm. Ihr Stu­di­en­gang, in dem sie sich unter ande­rem mit der Mode­ration von Sen­dun­gen befasste, wurde jedoch schon nach andert­halb Jahren ein­ge­stellt. Für Susy hieß es wieder: Uni­ver­si­tä­ten aus­wäh­len, Stu­di­en­gänge durch­forsten, Bewer­bun­gen abschi­cken, Pläne für den zukünf­ti­gen Beruf schmie­den. Im ver­gan­ge­nen Win­ter­se­mes­ter wurde Susy dann für den Stu­diengang Ger­ma­nis­ti­sche Lingu­istik an der Humboldt­Universität ange­nom­men. Die Begeis­te­rung war groß: Noch wäh­rend ihrer Schul­zeit, mit 16 Jahren, stand Susy vor dem Haupt­ge­bäude der Humboldt­Universität und wurde von dessen geschichts­träch­ti­ger Atmo­sphäre in den Bann gezo­gen. „In diesem Moment hatte ich mich in die HU ver­liebt“, erin­nert sie sich heute. Doch auch wenn das Gebäude der Uni­ver­si­tät das­selbe geblie­ben ist, so hat sich die Kon­zep­tion des Stu­di­ums seit der Grün­dung vor über 200 Jahren zu Groß­tei­len ver­la­gert. Soweit muss man aller­dings nicht zurück­ge­hen, um sich bewusst zu machen, wie sich die Auf­fas­sung der uni­ver­si­tä­ren Leh­re in deut­schen Hoch­schu­len ver­ändert hat.

Humboldt im 21. Jahrhundert?

Neben der Auf­gabe, den Studie­renden Werte und Ideale mitzuge­ben, um sie bei der Ent­wick­lung ihrer Per­sön­lich­keit zu unterstüt­zen, muss ein heu­ti­ger Absol­vent außer­dem gut für den Arbeits­markt gerüs­tet sein: Ein Studi­um ohne kon­kre­ten Pra­xis­be­zug und berufs­qua­li­fi­zie­ren­den An­teil scheint nicht in die heu­tige Hoch­schul­land­schaft zu passen. Wer nach dem Abschluss weiter an der Uni­ver­si­tät blei­ben möch­te, wird dies stets im Auge behal­ten müssen. Stu­den­ten, die eine wis­sen­schaft­li­che Kar­riere planen, achten zwar darauf, so schnell wie mög­lich einen Platz als stu­dentische Hilfs­kraft zu ergat­tern und erste Erfah­run­gen im wissen­schaftlichen Betrieb zu sam­meln; zum ande­ren wird auch ihnen ge­raten, noch einen Plan B für den Not­fall in der Tasche haben. Wie soll man die eigene aka­de­mi­sche Lauf­bahn nun in die Wege leiten?

Kein Plan in der Schublade

Dass Kar­rie­ren, gerade im Hoch­schulbereich, selten von vorne bis hinten durch­ge­plant werden, wird Susy von ihrer Dozen­tin erfolg­reich vor­ge­lebt. Pro­fes­so­rin Anke Lüdeling, Direk­to­rin des Insti­tuts für deut­sche Spra­che und Lingu­istik an der Humboldt­Universität zu Berlin, befin­det sich schließ­lich auf den obers­ten Spros­sen der Kar­rie­re­lei­ter. Zuge­traut hätte Lüdeling sich das als Stu­den­tin, wie sie sagt, nie­mals. Die feste Absicht einer Wissenschaftslauf­bahn kam ihr laut eige­ner Aus­sage erst nach der Dok­tor­ar­beit. Abge­zeich­net hatte sich das im ersten Semes­ter nicht: Ihr Stu­dium der Sprach­wis­sen­schaft begann sie 1988, „ohne zu wissen, was das eigent­lich ist.“ „Ich wusste nicht recht, was ich machte“, erzählt Lüdeling heute, „und ich wusste nicht, was ich werden wollte.“ Was für die Ohren man­cher Kom­mi­li­to­nen Susys nach ei­ner uner­hör­ten Leicht­sin­nig­keit klingt, war Ende der 80er Jahre nichts Unge­wöhn­li­ches. Es waren andere Zeiten, meint Lüdeling. „Es herrschte Voll­be­schäf­ti­gung, man kriegte irgend­ei­nen Beruf. Wir ha­ben uns keine Gedan­ken dar­über gemacht. Wir hatten nicht so viel Angst. Heute muss man sich auch über­le­gen: Muss ich hier noch ein Prak­ti­kum machen? – Ich habe in den Som­mer­fe­rien halt Sommerfe­rien gemacht.“

Studiumsniveau damals/heute

Prof. Anke Lüdeling begann ihr Stu­dium der Sprach­wis­sen­schaf­ten, „ohne genau zu wissen, was das eigent­lich ist.“ Mitt­ler­weile ist sie Direk­to­rin am Insti­tut für Deut­sche Spra­che und Lin­gu­is­tik der HU.

In ihrem Haupt­fach Sprachwissen­schaften emp­fand sie die Lehre an der Uni­ver­si­tät Ham­burg damals als sehr schlecht. Als es darum ging, ihre Magis­ter­ar­beit bei IBM zu schrei­ben, fehl­ten ihr jeg­li­che Grund­la­gen. „Ich wusste nicht, wie irgend­was geht“, gesteht sie, „und ich habe dann die ganze Zeit gekämpft und nachts gele­sen und gele­sen. Sachen, die Sie alle im ersten Semes­ter lernen.“ Mit der Zeit habe es ihr dann aber doch großen Spaß gemacht, und so ent­wi­ckelte sich auch der Wunsch, ihre Dis­ser­ta­tion außer­halb der Wirt­schaft zu schrei­ben. Mit einem Sti­pen­dium promovier­te sie drei­ein­halb Jahre in einem Gra­du­ier­ten­kol­leg. Mit den Wor­ten ihrer Dok­tor­mut­ter betont sie: „Die wis­sen­schaft­li­che Persönlich­keit ent­wi­ckelt sich wäh­rend der Pro­mo­ti­ons­zeit.“ Erst hier lerne man, sich selbst zu orga­ni­sie­ren und zu motivieren.

Angeleitet anstatt selbstständig

Von heu­ti­gen Studienverhältnis­sen im Bachelor/Master­System hat Lüdeling eine zwie­späl­tige Mei­nung. Einer­seits sei das alte System voll­kom­men untaug­lich gewe­sen, um mit der enor­men Zunahme an Stu­den­ten fertig zu werden. Mit dem neuen System wurde den Dozen­ten eine bes­sere Anlei­tung der Stu­den­ten ermög­licht. Ande­rer­seits bedaure sie auch den Ver­lust an Selbständig­keit und Frei­heit der Stu­die­ren­den, der mit den neuen Stu­di­en­for­men ein­her­gehe. Den Ein­stieg in den akademi­schen Beruf hat jeden­falls das neue System in ihren Augen weder erschwert noch erleich­tert. Pro­motionsstellen bekomme man ei­nigermaßen gut und danach wur­de es auch zu ihrer Zeit schwer. Dem wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuchs emp­fiehlt sie am besten in einem Pro­jekt zu pro­mo­vie­ren, da man dort stark von dem Aus­tausch mit ande­ren pro­fi­tiere und nicht allein zuhause auf die eigene Ar­beit zurück­ge­wor­fen sei. Außer­dem solle man seine Promoti­onsstelle nicht nach der Lieb­lings­stadt, son­dern nach Thema und Betreuer auswäh­len. Für Promovieren­ de sei nichts schlim­mer, als drei Jahre in einer unan­ge­neh­men Arbeits­at­mo­sphäre zu verbringen.

Bitte nur bei Interesse

Auch wenn sie ihren Beruf liebt und nicht wüsste, was sie sonst machen würde, hält sie die Vor­züge einer aka­de­mi­schen Karri­ere für eher über­schau­bar. Geld kann man, wie sie sagt, „woan­ders besser ver­die­nen“ und Sicher­heit bekommt man erst mit der Pro­fessur, also aller­frühs­tens mit 35. Bis dahin hat man „nur befriste­te Stel­len, immer mit dem Risiko, woan­ders hin­ge­hen zu müssen.“ Die eigene Moti­va­tion ist ent­scheidend, um diesen Weg einzu­schlagen. Trotz aller Zwei­fel rät Anke Lüdeling den ange­hen­den Wis­sen­schaft­lern, sich stets daran zu erin­nern, wes­halb sie das al­les auf sich nehmen: „Weil Sie das inter­es­siert!“ Es ist auch für Susy essen­ti­ell, dass sie später etwas machen kann, dass sie fas­zi­niert. Sie wagt es, sich die Zeit und den Raum zum Auspro­bieren zu nehmen, den man in der Stu­di­en­ord­nung nicht findet. Sie ist sich sicher, dass ein Groß­teil der Rei­ze nicht bei ihr ange­kom­men wären, wenn sie sich anfangs nur auf ihre Semi­nare gestürzt hätte. „Nicht nur durch das Ehren­amt habe ich einen ande­ren Umgang mit Men­schen ken­nen­ge­lernt. Und das bringt mich nicht nur im Pri­vat­le­ben weiter, son­dern auch im Stu­dium.“ Es ist also gut inves­tierte Zeit. Zeit, die man sich auch im Bachelor­Master­System nicht nehmen lassen sollte.

Autoren: Kim­jana Curtaz, Jan Lin­denau, Pia Lin­scheid, Leo Schwarz