Wie schafft ihr das?
Studieren zwischen Leistungsansprüchen, Zukunftsplänen und Zeitdruck – im enggestrickten Studienverlaufsplan bleibt für viel keine Zeit mehr: Ehrenamt, Kindern oder beruflichen Umwegen wird kein Platz eingeräumt.
Neues Semester, neu es Glück. Die Studenten der HumboldtUniversität zu Berlin trudeln nach drei Monaten wieder in ihre Institute ein. Unter ihnen ist auch Susy: Für die 22jährige Linguistikstudentin und ihre Kommilitonen war der Sommer – zwischen Hausarbeit, Praktikumsbericht und Nachschreibeklausur – lediglich eine vorlesungsfreie und keine studiumsfreie Zeit. Im Bachelor/MasterSystem muss die Studentin viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten, immer mit dem Blick auf die Regelstudienzeit. Beim Bachelor an Universitäten sind es sechs Semester, eine idealisierte Empfehlung, die am Leben der meisten Studierenden vorbeigeht. Denn weniger Zeit zum Studieren bedeutet auch, weniger Zeit, um sich auszuprobieren und die eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Der Rechtfertigungsdruck wächst mit jeder geschobenen Prüfung: gegenüber Eltern und zukünftigen Arbeitgebern, gegenüber dem BafögAmt, gegenüber sich selbst. Trotzdem gibt es Studierende, denen das Studium allein nicht genügt: sie haben einen Nebenjob oder bekleiden ein Ehrenamt, manche studieren mit Kind oder Behinderung. Zusammen mit Susy hat die spree solche Menschen gesucht – wir wollten wissen: Wie schafft ihr das?
Der Lohn des Ehrenamts
Susy selbst war einige Zeit als Lesepatin in einer Kreuzberger Grundschule ehrenamtlich aktiv. „Wenn meine Eltern mir früher vorgelesen haben, war das für mich das Größte!“ Als durch die Medien ging, dass Kindern immer weniger vorgelesen wird, meldete sich Susy kurzerhand für eine Lesepatenschaft. Sie stellte schnell fest, dass Ehrenamt nicht gleich Ehrenamt ist. Die Vermittlungsinitiative der Lesepaten bezeichnet sie als „desorganisiert“. Wenn man Ehrenamt und Studium parallel laufen lassen möchte, braucht man ein gutes Zeitmanagement, merkte Susy. Im Studienverlaufsplan ist ein Bereich für ehrenamtliche Tätigkeiten nicht vorgesehen. Was spitzfindig klingt, kann sich für Studierende schnell als Problem herausstellen. Dass die ehrenamtliche Tätigkeit im Studium im Bachelor/MasterSystem zurückgegangen ist, hat die BertelsmannStiftung im vergangenen Jahr mit einer Studie gezeigt – ein zentraler Grund dafür: Zeitmangel. Dabei ist die theoretische Bereitschaft, ehrenamtlich aktiv zu werden, auf einem Rekordhoch. Im Laufe von zehn Jahren ist sie um 10 Prozent gestiegen und liegt bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund mit 54 Prozent insgesamt sogar deutlich über der Gesamtquote von 49 Prozent. Entwickelt sich das Ehrenamt zu einer Luxusbeschäftigung, die zwar gerne gemacht wird, aber hinter Forderungen und Wunsch nach Praktika, Auslandsaufenthalten und Regelstudienzeit immer mehr in den Hintergrund rückt? Nach einem Turbostudium mit Bachelor und Master ist die Universitätslaufbahn bereits nach fünf Jahren beendet. Eine lange Studienzeit wird auch von Kommilitonen gerne mit Feiern und Faulenzen assoziiert. Viele Studierende, die sich mehr Zeit nehmen, nutzen diese jedoch vor allem, um sich auf Wegen außerhalb der Uni auszuprobieren. Wer sich auf einen raschen Abschluss versteift und sich nicht die Zeit nimmt, noch etwas anderes als die Uni kennenzulernen, den kann eine Schreibblockade bei der Hausarbeit oder eine schlechte Klausur schnell aus der Bahn werfen.
Ehrenamtliche Lebenshilfe
Susy hat sich nach ihren ambivalenten Erfahrungen als Lesepatin für das kommende Wintersemester eine neue Aufgabe gesucht: Sie hilft einer Organisation, die arabischsprachigen Kindern kostenlosen Nachhilfeunterricht anbietet. Nicht nur für die Kinder ist Susys Arbeit eine große Hilfe. „Eltern haben einen harten Job. Es ist schön, dass ich ihnen dabei etwas unter die Arme greifen kann.“
Wohin mit Kind?
Wenn eine Studentin und ein Student Eltern werden, kann es sein, dass sie ihre bisherigen Lebensentwürfe anpassen und Kompromisse eingehen müssen. Studierende Eltern mit Kind sind deswegen wie kaum eine andere Gruppe auf einen Kitaplatz angewiesen. Jedoch sind Stichworte wie „Betreuungsengpass“, „mangelnde Kitaplätze“, „zu wenig Personal“ die Schlagworte, die man dazu hört und liest. Das Fehlen von Kinderbetreuung ist ein erhebliches Problem für studierende Eltern, denn grade ihnen mangelt es oft an Zeit und Geld. Wie sieht es an den Berliner Hochschulen aus? Wie schaffen Studierende den Spagat zwischen Studium und Kindererziehung? Es ist Freitagnachmittag, 16 Uhr. Direkt beim SBahnhof Tiergarten schallen Kinderstimmen durch die Luft – hier liegt die Kindertagesstätte der Technischen Universität und der Universität der Künste. Helene, elf Monate alt, wird hier seit fünf Monaten betreut. Ihre Mutter Diana, selbst Studentin an der UdK, hat sich bereits ein Jahr im Voraus um einen Platz beworben und ihn zu ihrer Freude auch erhalten. Das Glück haben nicht alle. Sebastian, Vater und Student an der TU Berlin, hat seinen Wunschkitaplatz für Tochter Kara Emilia, vier Jahre alt, auf dem Campus der TU Berlin nicht bekommen. Er und Kara Emilias Mutter hatten sich bereits ein Jahr im Voraus auf den Kitaplatz beworben, um ihre Tochter mit einem Jahr in die Krippe geben zu können. Sie mussten auf den Krippenplatz einer anderen Tagesstätte zurückgreifen. Massive Probleme drohen jedoch, wenn die jungen Eltern gar keinen Platz für den Sprößling finden. Ohne die Betreuung wäre es nicht gegangen: Diana wusste, dass sie ihre Tochter mit einem halben Jahr in die Kita geben muss, damit sie ihr Studium abschließen kann. Diana hatte Glück – besonders Krippenplätze, Betreuungsangebote für Kinder unter zwei Jahren, sind heiß begehrt. Um einen Kitaplatz in Berlin zu erhalten und dabei finanziell unterstützt zu werden, benötigen die Eltern für ihr Kind einen Kitagutschein – Anträge und Amtsrennerei inklusive.
Aktionen statt Kulturwandel
Die Nachfrage nach Plätzen ist bei allen Kitas des Studentenwerks größer als das Angebot an Plätzen. „Das Problem ist, dass es zu wenig Krippenplätze gibt“, so Carola Wanzek, Leiterin des Familienbüros der TU Berlin. Das Studentenwerk betreibt bisher fünf Kitas, gelegen direkt auf den Campus fünf großer Berliner Hochschulen. Carola Wanzek spricht von einem nötigen Kulturwandel, der an Berliner Hochschulen stattfinden muss. Mehr Verständnis für Studierende mit Kind von Seiten der Lehrenden und Kommilitonen sei unbedingt notwendig. Das Studium mit Kind ist eine große Herausforderung – trotz vieler Projekte und Aktionen wie Begrüßungspaketen für Studierende mit Kind oder dem „TUTandem“, einem Mentoringprogramm, welches im Sommersemester 2013 an der TU Berlin starten soll und sich an Personen mit Kind oder mit zu pflegenden Angehörigen richtet. Seit der Umstellung auf das Bachelor/MasterSystem sei der Druck auf studierende Eltern mit Kind weiter gestiegen, so Wanzek weiter, die Flexibilität der Eltern sei gesunken, das spürten alle Kitas des Studentenwerks. Mangelnde Flexibilität und Zeitdruck sind jedoch die größten Probleme von Studierenden mit Kind. Um dies zu verbessern, wäre es laut Carola Wanzek neben anderen Flexibilisierungsmaßnahmen nötig, eine entsprechende Aufbereitung von Studiengängen für ein Teilzeitstudium einzuführen. Dabei weisen Teilzeitstudiengänge noch immer das Problem auf, dass sich für die Studierenden die finanziellen Rahmenbedingungen verändern. Im Klartext heißt das, volle finanzielle Unterstützung nur für Vollzeitstudierende. Daran etwas zu ändern, liege aber in den Händen des Gesetzgebers. Die Leiterin des Familienbüros empfiehlt Studierenden mit Kind deswegen: „Gut vorplanen! Einfach selbstbewusst sein und sich klar machen, dass es eine ganz große Leistung ist, selbst eine Familie zu haben und gleichzeitig zu studieren!“
Der Blick auf die Rücksicht
Ein Kind im Studium fordert ein Mehr: an Organisation, an Geld, an Fürsorge. Aber nicht nur Kinder und ihre Eltern brauchen Unterstützung. Auch manche kinderlosen Studenten brauchen im Studienalltag Hilfe.
Schwierigkeiten im Seminar
Katrin ist eine solche Studentin. Wenn man von Katrins Leben hört, könnte man meinen, sie sei eine ganz normale Studentin – sie geht gerne Tango tanzen, spielt Gitarre und engagiert sich ehrenamtlich in einer Musikschule. Eine Sache unterscheidet Katrin jedoch von ihren Kommilitonen: sie lebt mit dem AlströmSyndrom. Seit ihrer Geburt ist sie sehbehindert, bereits als Kind wurde eine Einschränkung beim Hören festgestellt. Als Kind konnte sie Farben anhand von Schattierungen erkennen, Gesichter konnte sie noch als Konturen erkennen. Mittlerweile kann sie nur noch leichte Unterschiede von natürlichem Licht wahrnehmen. Sie ist fast vollkommen blind. Bei vielen Umgebungsgeräuschen ist ihr eine normale Unterhaltung nicht möglich. Trotz dieser Einschränkungen geht Katrin ihr Studium an, wie die meisten Studierenden: Zu Beginn des Semesters wählt sie einige Kurse aus und schaut, ob ihr Dozenten und Veranstaltungen zusagen. Vor jeder Veranstaltung bittet Katrin den jeweiligen Dozenten, ein SpezialMikro umzuhängen, damit sie der Veranstaltung folgen kann. Antworten wie „Was? Das soll ich über meinen Schlips hängen, wie sieht denn das aus?“ gehören zu den Ausnahmen. Problematisch wird es in Diskussionsrunden, weil das Herumreichen von Katrins Mikro häufig nicht funktioniert oder sogar als störend empfunden wird. Katrin erlebt Dozenten verschieden: solche, die sie ignorieren; solche, die sie auf eine ihr unerträgliche Weise bewundern und solche, die sie ernst nehmen. Mit dem zweiten Dozentenschlag kann Katrin am wenigsten umgehen. Sie schüttelt widerwillig den Kopf, wenn sie von ihnen berichtet: „Wenn mich schon jemand bewundern muss, dann soll er das tun, weil ich irgendwas toll gemacht habe und nicht, weil ich einfach nur meinen Alltag lebe!“.
Dieser Alltag gestaltet sich jedoch häufig schwierig. Katrin ist es wichtig, ein selbstständiges Leben zu führen und so viel wie möglich ohne fremde Hilfe zu schaffen. Im Studium braucht sie Unterstützung, deshalb stellt das Studentenwerk Katrin Studienassistenten zur Seite, die sie zu Veranstaltungen begleiten und Recherchearbeiten erledigen. Mit ihrem Computer kann Katrin die meisten digitalen Dokumente lesen. Dafür hat sie einen BrailleDisplay, der die Bildschirminhalte in Punktschrift wiedergibt. Dank dieses Geräts kann sie Texte in Brailleschrift ertasten. Die Studienassistenten sind ein wichtiger Bestandteil von Katrins Leben geworden. Und manche sind während und nach dieser Zeit zu Freunden geworden. Viele Menschen sind im Umgang mit Katrin unsicher. „Sie wissen nicht, wie sie sich mir gegenüber verhalten sollen“. Katrin sieht eine ganz einfache Lösung: mehr Mut, Fragen zu stellen. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht: „Ich beiße nicht.“ Dass das Studentenwerk Studienassistenten bezahlt, hat Katrin durch eine Freundin erfahren. Zum Glück, wie sie sagt. „Ohne meine Assistenten wäre ich im Studium baden gegangen“. Nicht nur im Studentenwerk, auch in der studentischen Selbstverwaltung jeder Hochschule findet sich eine Beratungsstelle für Studierende mit Behinderung. Der Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Freien Universität Berlin etwa bietet Hilfestellung in über zwölf Bereichen, auch zum Thema Datenschutz oder Bafög.
Prüfungen und Parlamente
Engagement in den Hochschulgremien kostet Zeit, die man zwar für die Uni aufbringt, aber nicht für sein Studium. Stephan Otto saß drei Jahre im Studierendenparlament (Stu Pa) der HumboldtUniversität und weiß, wie zeitaufwändig Gremienarbeit ist. Sieben Jahre hat er für den Bachelor gebraucht. „Eigentlich wollte ich möglichst schnell fertig werden“, am Ende seines sechsten Semesters hatte er schon rund 80 Prozent seiner benötigten Studienpunkte. Ihm fehlte allerdings noch ein geeignetes Thema für seine Bachelorarbeit. Dann kamen verschiedene Dinge zusammen: Er hatte mit einer Krankheit zu kämpfen, pendelte zwischen Berlin und Bielefeld, zog ins StuPa ein, begann wieder zu arbeiten. Das gab ihm eine gewisse Gelassenheit, um nicht nur den Weg Richtung Abschluss entlang zu eilen, sondern auch die Seiten und Parallelstraßen zu erkunden.
Berufserfahrung überall
Man gewinne viel durch die Gremienarbeit, was mit Fachwissen nicht aufzuwiegen sei, meint Stephan: „Die Studenten können sich politisch ausprobieren.“ Denn eine Funktion darf seiner Meinung nicht unter den Tisch fallen. „Das StuPa ist auch eine Kaderschmiede für angehende Politiker und Funktionäre, hier sammeln sie Erfahrungen für ihren späteren Beruf.“ Stephan hat aus seiner Zeit im StuPa einiges mitgenommen: das Gefühl, vor 70 Leuten eine Rede zu halten; die Erfahrung, in der rauen Atmosphäre des StuPas verbale Prügel einstecken zu müssen; die rhetorischen Fähigkeiten, um anderen argumentativ das Wasser reichen zu können. Für Stephan ist das Engagement in der Hochschulpolitik ein wichtiger Schritt in seiner Persönlichkeitsentwicklung gewesen. Susy und ihren Kommilitonen, die noch am Anfang ihres Hochschullebens stehen, empfiehlt er den Zugang zur Hochschulpolitik im Kleinen, in den Fachschaften und Diskussionsgruppen in Studentencafés. Schnell findet man dann Studierende, die auch interessiert sind und bei denen man sich wohl fühlt, um in einer Gruppe aktiv zu werden. „Das Wichtigste ist, dass Ihr Spaß daran habt“, sagt Stephan.
Suche nach der Perspektive
Trotz der zahlreichen Möglichkeiten im Studium macht sich Susy schon Gedanken über die Zeit nach dem Bachelorabschluss. Erst Berufserfahrung oder gleich Masterabschluss? An der Universität bleiben oder das Glück in der freien Wirtschaft suchen? Nach dem Abitur sah sie sich mit ähnlichen Fragen konfrontiert und nahm sich ein Jahr Zeit, um Antworten zu finden. Zunächst war sie ein halbes Jahr im Libanon, dem Heimatland ihres Vaters. Danach sammelte sie Erfahrungen in mehreren Praktika, ihre Stationen zogen sich durch die unterschiedlichsten Berufszweige: Steuerkanzlei, Anwaltsbüro, Krankenhaus, Grundschule, Radiosender. Die Arbeit beim Rundfunk hat sie so begeistert, dass sie ein Studium in diesem Bereich aufnahm. Ihr Studiengang, in dem sie sich unter anderem mit der Moderation von Sendungen befasste, wurde jedoch schon nach anderthalb Jahren eingestellt. Für Susy hieß es wieder: Universitäten auswählen, Studiengänge durchforsten, Bewerbungen abschicken, Pläne für den zukünftigen Beruf schmieden. Im vergangenen Wintersemester wurde Susy dann für den Studiengang Germanistische Linguistik an der HumboldtUniversität angenommen. Die Begeisterung war groß: Noch während ihrer Schulzeit, mit 16 Jahren, stand Susy vor dem Hauptgebäude der HumboldtUniversität und wurde von dessen geschichtsträchtiger Atmosphäre in den Bann gezogen. „In diesem Moment hatte ich mich in die HU verliebt“, erinnert sie sich heute. Doch auch wenn das Gebäude der Universität dasselbe geblieben ist, so hat sich die Konzeption des Studiums seit der Gründung vor über 200 Jahren zu Großteilen verlagert. Soweit muss man allerdings nicht zurückgehen, um sich bewusst zu machen, wie sich die Auffassung der universitären Lehre in deutschen Hochschulen verändert hat.
Humboldt im 21. Jahrhundert?
Neben der Aufgabe, den Studierenden Werte und Ideale mitzugeben, um sie bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen, muss ein heutiger Absolvent außerdem gut für den Arbeitsmarkt gerüstet sein: Ein Studium ohne konkreten Praxisbezug und berufsqualifizierenden Anteil scheint nicht in die heutige Hochschullandschaft zu passen. Wer nach dem Abschluss weiter an der Universität bleiben möchte, wird dies stets im Auge behalten müssen. Studenten, die eine wissenschaftliche Karriere planen, achten zwar darauf, so schnell wie möglich einen Platz als studentische Hilfskraft zu ergattern und erste Erfahrungen im wissenschaftlichen Betrieb zu sammeln; zum anderen wird auch ihnen geraten, noch einen Plan B für den Notfall in der Tasche haben. Wie soll man die eigene akademische Laufbahn nun in die Wege leiten?
Kein Plan in der Schublade
Dass Karrieren, gerade im Hochschulbereich, selten von vorne bis hinten durchgeplant werden, wird Susy von ihrer Dozentin erfolgreich vorgelebt. Professorin Anke Lüdeling, Direktorin des Instituts für deutsche Sprache und Linguistik an der HumboldtUniversität zu Berlin, befindet sich schließlich auf den obersten Sprossen der Karriereleiter. Zugetraut hätte Lüdeling sich das als Studentin, wie sie sagt, niemals. Die feste Absicht einer Wissenschaftslaufbahn kam ihr laut eigener Aussage erst nach der Doktorarbeit. Abgezeichnet hatte sich das im ersten Semester nicht: Ihr Studium der Sprachwissenschaft begann sie 1988, „ohne zu wissen, was das eigentlich ist.“ „Ich wusste nicht recht, was ich machte“, erzählt Lüdeling heute, „und ich wusste nicht, was ich werden wollte.“ Was für die Ohren mancher Kommilitonen Susys nach einer unerhörten Leichtsinnigkeit klingt, war Ende der 80er Jahre nichts Ungewöhnliches. Es waren andere Zeiten, meint Lüdeling. „Es herrschte Vollbeschäftigung, man kriegte irgendeinen Beruf. Wir haben uns keine Gedanken darüber gemacht. Wir hatten nicht so viel Angst. Heute muss man sich auch überlegen: Muss ich hier noch ein Praktikum machen? – Ich habe in den Sommerferien halt Sommerferien gemacht.“
Studiumsniveau damals/heute
In ihrem Hauptfach Sprachwissenschaften empfand sie die Lehre an der Universität Hamburg damals als sehr schlecht. Als es darum ging, ihre Magisterarbeit bei IBM zu schreiben, fehlten ihr jegliche Grundlagen. „Ich wusste nicht, wie irgendwas geht“, gesteht sie, „und ich habe dann die ganze Zeit gekämpft und nachts gelesen und gelesen. Sachen, die Sie alle im ersten Semester lernen.“ Mit der Zeit habe es ihr dann aber doch großen Spaß gemacht, und so entwickelte sich auch der Wunsch, ihre Dissertation außerhalb der Wirtschaft zu schreiben. Mit einem Stipendium promovierte sie dreieinhalb Jahre in einem Graduiertenkolleg. Mit den Worten ihrer Doktormutter betont sie: „Die wissenschaftliche Persönlichkeit entwickelt sich während der Promotionszeit.“ Erst hier lerne man, sich selbst zu organisieren und zu motivieren.
Angeleitet anstatt selbstständig
Von heutigen Studienverhältnissen im Bachelor/MasterSystem hat Lüdeling eine zwiespältige Meinung. Einerseits sei das alte System vollkommen untauglich gewesen, um mit der enormen Zunahme an Studenten fertig zu werden. Mit dem neuen System wurde den Dozenten eine bessere Anleitung der Studenten ermöglicht. Andererseits bedaure sie auch den Verlust an Selbständigkeit und Freiheit der Studierenden, der mit den neuen Studienformen einhergehe. Den Einstieg in den akademischen Beruf hat jedenfalls das neue System in ihren Augen weder erschwert noch erleichtert. Promotionsstellen bekomme man einigermaßen gut und danach wurde es auch zu ihrer Zeit schwer. Dem wissenschaftlichen Nachwuchs empfiehlt sie am besten in einem Projekt zu promovieren, da man dort stark von dem Austausch mit anderen profitiere und nicht allein zuhause auf die eigene Arbeit zurückgeworfen sei. Außerdem solle man seine Promotionsstelle nicht nach der Lieblingsstadt, sondern nach Thema und Betreuer auswählen. Für Promovieren de sei nichts schlimmer, als drei Jahre in einer unangenehmen Arbeitsatmosphäre zu verbringen.
Bitte nur bei Interesse
Auch wenn sie ihren Beruf liebt und nicht wüsste, was sie sonst machen würde, hält sie die Vorzüge einer akademischen Karriere für eher überschaubar. Geld kann man, wie sie sagt, „woanders besser verdienen“ und Sicherheit bekommt man erst mit der Professur, also allerfrühstens mit 35. Bis dahin hat man „nur befristete Stellen, immer mit dem Risiko, woanders hingehen zu müssen.“ Die eigene Motivation ist entscheidend, um diesen Weg einzuschlagen. Trotz aller Zweifel rät Anke Lüdeling den angehenden Wissenschaftlern, sich stets daran zu erinnern, weshalb sie das alles auf sich nehmen: „Weil Sie das interessiert!“ Es ist auch für Susy essentiell, dass sie später etwas machen kann, dass sie fasziniert. Sie wagt es, sich die Zeit und den Raum zum Ausprobieren zu nehmen, den man in der Studienordnung nicht findet. Sie ist sich sicher, dass ein Großteil der Reize nicht bei ihr angekommen wären, wenn sie sich anfangs nur auf ihre Seminare gestürzt hätte. „Nicht nur durch das Ehrenamt habe ich einen anderen Umgang mit Menschen kennengelernt. Und das bringt mich nicht nur im Privatleben weiter, sondern auch im Studium.“ Es ist also gut investierte Zeit. Zeit, die man sich auch im BachelorMasterSystem nicht nehmen lassen sollte.
Autoren: Kimjana Curtaz, Jan Lindenau, Pia Linscheid, Leo Schwarz