Russland: Sankt Petersburg

Man muß nicht unbe­dingt ein zwei­ter Chris­to­pher Kolum­bus sein, um sich nach Ruß­land zu wagen, ein wenig Ent­de­cker­geist und eini­ges an Impro­vi­sa­ti­ons­ver­mö­gen sollte man jedoch trotz­dem mit­brin­gen. Und sei es nur für einen Semes­ter­auf­ent­halt in einer an sich sehr west­li­chen Stadt wie Sankt Petersburg.

Als ich mich ent­schloß, für ein Semes­ter nach Sankt Peters­burg zu gehen, stieß ich über­all auf Unver­ständ­nis. Diese Reak­tion ist völlig nahe­lie­gend, ver­bin­det man doch mit Ruß­land zual­ler­erst Armut, Rechts­un­si­cher­heit und Ver­fall. Sprich: wer da frei­wil­lig hin­geht, muß zumin­dest einen Knall haben. Ruß­land ist eben nicht stu­dents paradise. 

 

Daß ein Auf­ent­halt trotz­dem lohnen kann, bewei­sen meine Erfah­run­gen. Auch wenn es nicht immer die schöns­ten Erfah­run­gen waren. Im post-sozia­lis­ti­schen Ruß­land ticken die Uhren noch immer anders und das kann unbe­darfte West­eu­ro­päer schon manch­mal in den Wahn­sinn trei­ben — man denke nur an die ganze Büro­kra­tie! Wollte man z.B. als Aus­lands­stu­dent im Semes­ter ein­fach nur aus Heim­weh für zwei Wochen nach Hause fahren, mußte man zusätz­lich zum Antrag auf ein Visum eine schrift­li­che Begrün­dung abge­ben, warum die Fahrt not­wen­dig sei; und wehe, der Grund war nicht schwer­wie­gend genug! Hier kommt das Impro­vi­sa­ti­ons­ver­mö­gen ins Spiel: dann war der Grund eben eine wich­tige Prü­fung, die man auf keinen Fall ver­pas­sen durfte. Zumin­dest lernt man eins dabei: mehr Gelas­sen­heit. Die Russen würden sagen: wsjo budjet, alles wird gut. 

 

Ich stu­dierte an der Uni­ver­si­tät für Wirt­schaft und Finan­zen direkt im Zen­trum Sankt Peters­burgs. Ein Stu­di­en­platz an dieser Uni­ver­si­tät ist unter Russen sehr begehrt, ein Abschluß einer Wirt­schafts­uni bietet noch immer die sicherste Arbeits­platz­ga­ran­tie. Die aus­län­di­schen Aus­tausch­stu­den­ten — vor­wie­gend aus den bal­ti­schen Staa­ten, Finn­land und Groß­bri­tan­nien — wurden auf dem Unige­lände in einem sepa­ra­ten Wohn­heim unter­ge­bracht. Die Unter­brin­gung war nach unse­rem Stan­dard spar­ta­nisch, nach rus­si­schem Stan­dard purer Luxus. Zumin­dest hatten wir — im Gegen­satz zu eini­gen ande­ren rus­si­schen Wohn­hei­men — Duschen und flie­ßend heißes Wasser! 

 

Aus­län­di­schen Stu­den­ten wurde an unse­rer Uni die Mög­lich­keit gebo­ten, Rus­sisch-Sprach­kurse zu besu­chen. Bei mir erwies es sich als drin­gend not­wen­dig, denn mein Rus­sisch war ziem­lich ein­ge­ros­tet. Nach einem form­lo­sen Sprach­test kam ich dann mit zwei wei­te­ren Deut­schen und einer Finnin in eine Gruppe, wir hatten von da an jede Woche 12 Stun­den Rus­sisch­un­ter­richt. Da unsere Leh­re­rin kein Eng­lisch und auch kein Deutsch sprach, fand der gesamte Unter­richt ein­spra­chig auf Rus­sisch statt, was teil­weise sehr anstren­gend, aber trotz­dem die beste Art war, die Spra­che zu lernen. Wer es sich zutraute, konnte natür­lich auch alle wei­te­ren Kurse der Uni­ver­si­tät besuchen. 

Ein aus­ge­präg­tes Stu­den­ten­le­ben wie in einer typi­schen Universitä­tsstadt habe ich in Sankt Peters­burg nicht erlebt. Dazu ist die Stadt wahr­schein­lich auch viel zu groß. 

 

Eine der besten Mög­lich­kei­ten, Spaß zu haben und neben­bei auch noch ein biß­chen die Spra­che zu üben, sind rus­si­sche Par­ties. Im all­ge­mei­nen wird man von den Leuten sehr offen und herz­lich auf­ge­nom­men. Und wenn man dann auch noch mit dem obli­ga­to­ri­schen Wodka (wahl­weise) auf die Freund­schaft, die rus­si­sche Seele und die rus­si­schen Frauen / Männer ange­sto­ßen hat, ist man im Nu im per­fek­tes­ten Rus­sisch in aus­ge­dehnte Dis­kus­sio­nen ver­wi­ckelt, findet die thea­tra­lisch dar­ge­bo­te­nen Lieder nicht etwa pein­lich, son­dern wun­der­schön und ver­gnügt sich prächtig. 

Ein Bericht über Sankt Peters­burg ist ohne die Erwäh­nung seiner Sehens­wür­dig­kei­ten nicht voll­stän­dig. Man denke nur an die Ere­mi­tage, die Zaren­schlös­ser und unzäh­li­gen Museen der Stadt! Wo man sich auch befin­det, diese Stadt atmet Geschichte. Ein guter Rei­se­füh­rer ist ein abso­lu­tes Muß. 

 

Leider ist die ein­gangs erwähnte Armut auch in Sankt Peters­burg all­ge­gen­wär­tig. Das Trau­rige daran ist, daß es nicht nur Rand­grup­pen betrifft, son­dern wirk­lich den Groß­teil der Bevöl­ke­rung. Viele Russen haben aus der Not eine Tugend gemacht und ver­die­nen sich zusätz­lich zu ihrem mage­ren Gehalt noch ein Zugeld, indem sie Gemüse von ihrer Dat­scha auf dem Markt ver­kau­fen. Es gibt natür­lich auch sehr reiche Russen, die Neuen Russen. Sie haben meis­tens früher schon ein­fluß­rei­che Posi­tio­nen beses­sen und waren kor­rupt genug, sich in den Wirren der ganzen Umwäl­zung im Land an den volks­ei­ge­nen Betrie­ben zu berei­chern. Man sieht auf den Stra­ßen St. Peter­burgs viele Luxus­li­mou­si­nen, mehr als ich jemals in Berlin gese­hen habe. Dieser Kon­trast zwi­schen den abso­lut Armen und der klei­nen Min­der­heit der Rei­chen ist teil­weise erschrekkend. 

Gene­rell gilt, das ver­steht sich schon fast von selbst, daß man bloß nie über­heb­lich auf­tre­ten und als rei­cher Deut­scher mit der dicken Brief­ta­sche wedeln sollte, in keiner Situa­tion. Für die Mehr­heit der Men­schen sind wir reich, auch als Studenten. 

 

Wei­tere Infor­ma­tio­nen über Sankt Peters­burg findet man (auf rus­sisch) im Inter­net unter http://www.piter.ru.

Uta Jan­n­asch