Die erste Enthüllung

Der nackte Körper hat sich kom­plett in unser Leben inte­griert. Man kann ihm kaum ent­ge­hen. Sex sells. Nackte-Körper-Poster in der U‑Bahn ani­mie­ren zu Laser­kör­per­ent­haa­rung. Nackte New Yor­ke­rin­nen sind auf der Suche nach Mr. Big. Nach den Frauen wird nun die männ­li­che Nackt­heit entdeckt.

Spä­tes­tens seit dem Simp­sons-Film dürf­ten nackte Schnie­del­wutze häu­fi­ger zu sehen sein. Doch was völlig unver­krampft auf der Lein­wand zu sehen ist, bedeu­tet für die sich Aus­stel­len­den harte und oft­mals unan­ge­nehme Arbeit.

Wie nackt auf einer Baustelle

Katha­rina wurde für ein Kurz­film­pro­jekt enga­giert. Gedreht wurde in einer Ber­li­ner Alt­bau­woh­nung. Som­mer­li­ches Mor­gen­licht, Schlaf­zim­mer­at­mo­sphäre. In ihrer Rolle sollte Katha­rina auf­wa­chen, das Laken weg­zie­hen und hül­len­los zum Spie­gel schauen. Dieser würde eine fron­tale Nackt­auf­nahme von ihr offen­ba­ren. Im Grunde kein Pro­blem, denn auch der schau­spie­lernde Körper ist Instru­ment und Aus­drucks­mit­tel der Sze­ne­rie. Als ich das Dreh­buch las, erschien der Kon­text völlig logisch. Aber als die Umset­zung erfolgte, fühlte es sich für die Szene kom­plett falsch und unäs­the­tisch an.

In dem Foto­buch ‚Tabla Rosa — Retra­tos‘ prä­sen­tiert der chi­le­ni­sche Foto­graf Luis Poirot Katha­rina hüllenlos.

Mal abge­se­hen davon, dass eine Sequenz von zehn Sekun­den oft über eine halbe Stunde braucht, um im Kasten zu sein, steht man dabei auch noch split­ter­fa­ser­nackt vor einer mehr­köp­fi­gen Crew und einem rie­si­gen Kameraobjektiv.?g Der Spie­gel ent­hüllt alle Vor- und Nach­teile des Kör­pers. Die jetzt 21-Jäh­rige war irgend­wann nur noch am Zwei­feln: Super, Po zu groß Busen zu klein!

Katha­rina findet es wich­tig, dass solche Szenen und die Hand­lungs­mo­tive der Rolle bespro­chen werden. So etwas hilft, Beden­ken zu zer­streuen und sichert das Wohl­be­fin­den aller Set­be­tei­lig­ten. Ein sol­ches Gespräch gab es aber in dem Fall nicht.

Stell dir ein­fach eine Bau­stelle vor, mit Hand­wer­kern, Tech­ni­kern und Licht­mon­teu­ren. Mit­ten­drin stehst du kom­plett nackt!?g Irgend­wann war das sie anstar­rende Auge des Objek­tivs ins Uner­mess­li­che gewach­sen. Da ver­ab­schie­dete sich Katha­rina vom Set; der Regis­seur solle das nehmen, was bereits im Kasten war.

Inner­lich und äußer­lich nackt

Diese Erfah­rung hatte Katha­rina skep­tisch werden lassen. Solche Nackt­auf­nah­men kämen für sie nicht mehr infrage. Doch die Zeit heilt nicht nur Wunden, son­dern kann mit ihren Wen­dun­gen über­ra­schen. In Chile lernte Katha­rina einen 65-jäh­ri­gen Foto­gra­fen kennen. Der Ästhet gehörte mit seiner 24-jäh­ri­gen Freun­din kei­nes­wegs zum alten Kali­ber und hatte schon eine Menge Aktauf­nah­men von schö­nen Frauen aus­ge­stellt. Er wollte auch Katha­rina hül­len­los ver­ewi­gen, doch sie wei­gerte sich lange Zeit. Zwar wollte ich gern schöne Akt­fo­tos von mir besit­zen, aber wäh­rend ich mich bei der Schau­spie­le­rei hinter einer Rolle ver­ste­cken darf, wäre es hier ich selbst gewe­sen, die sich auszieht.?

Nach Mona­ten von Foto­gra­fien und Gesprä­chen änderte sich ihre Ein­stel­lung lang­sam. Sie und den Foto­gra­fen trenn­ten fast vier­zig Jahre, doch zwi­schen ihnen ent­stand ein enges künst­le­ri­sches und freund­schaft­li­ches Ver­hält­nis. Er war ein Ästhet, er sah mich nicht als Sex­ob­jekt, son­dern als eine schöne Form der Kunst.?

Plötz­lich war da ein Moment, in dem Katha­rina fühlte, jetzt könnte ein groß­ar­ti­ges Bild ent­ste­hen. Sie zog sich aus. Was heißt es denn, nackt zu sein? Man hat Angst ent­blößt zu werden.?g In all den vielen inten­si­ven Dia­lo­gen hatte sie ihr Inners­tes offen­bart, sie fühlte sich inner­lich nackt. Dann hat es nicht mehr viel aus­ge­macht, mich auch kör­per­lich nackt zu zeigen.?

Katha­rina weiß, dass sie als Schau­spie­le­rin sich öffnen können muss. Daran sind der Regis­seur oder Foto­graf wesent­lich betei­ligt. Nur wenn innere Ein­stel­lung und äußere Umstände im Ein­klang sind, ent­steht eine natür­li­che und auch stolze Nacktheit.