Jahrhundertelang rümpften Akademiker die Nase über Okkultes. Im Rahmen der Kulturwissenschaften wird dessen Bedeutung jetzt gewürdigt.
Die Kunst der Moderne hat es sichtbar gemacht: Magische und okkulte Weltbilder sind fester Bestandteil unserer sonst so rationalen und wissenschaftlichen Welt. Künstler wie André Breton, Wassily Kandinsky, Umberto Boccioni, Gustav Meyrink oder Johannes Itten haben immer das Geistige in der Kunst als entscheidenden Entwicklungsschritt der Menschen der Moderne betrachtet. Sie ließen sich inspirieren von den okkulten Lehren, von Spiritismus, Okkultismus, Mystizismus und Magie.
Das Unsichtbare um uns
Beharrlich ging es in Kunst und Literatur seit 1900 um einen Aspekt von Welt und Selbst, den der Begründer der Analytischen Psychologie, Carl Gustav Jung, das Numinose nannte. Der Begriff fasst alle Erscheinungen zusammen, die verborgen, geheim, inoffiziell, transzendent sind und sich damit der rationalen Erkenntnis entziehen und höchstens unbewusst erfahrbar sind. Esoterik und Okkultismus sind längst kein Aberglaube mehr. Vielmehr hatten sie weitreichende soziale und materielle Veränderungen zur Folge. Waldorf-Pädagogik, Ökologie-Bewegung und das Bauhaus basieren auf okkulten Weltbildern.
Der Umgang mit Transzendenz (alltagssprachlich: „höhere Mächte“) ist keinesfalls nur das Thema der großen Weltreligionen. Esoterische und okkulte Bewegungen seit der Jahrhundertwende setzten auch in der Religionspraxis die kulturelle Pluralisierung und Individualisierung von zuvor ausschließlich kollektiven Sphären durch. Zu den kollektiven Amtskirchen gesellten sich nichtkonfessionelle Formen der individuellen und privatistischen Bricolage-Religion. Etwas Buddhismus hier, ein wenig Theosophie dort, das Ganze auf christliches Fundament gestellt, mit schiefem Blick auf heidnische Zeiten – fertig ist die Individualreligion!
Zu pluralistischen, westlichen Demokratien mag eine monotheistische Religion der reinen Lehre auch kaum passen. Die vollständige Verweltlichung aller Lebensbereiche blieb dennoch aus. Neureligiöse Vorstellungen prägen bis heute zahlreiche menschliche Praktiken, nicht nur in der Kunst.
Akademischer Okkultismus
Kulturwissenschaftler entdeckten und untersuchten die Verbindungen von Kunst und okkulten Weltanschauungen. Was vor zwanzig Jahren noch naserümpfend aus der Kunstgeschichte des Abendlandes verbannt wurde, wird zunehmend akzeptabel und wichtig. Die Bedeutung des Okkultismus belegt eine Vielzahl von Ausstellungen und Fachtagungen zum Thema. So fanden zum Beispiel die Tagung „Die Enzyklopädik der Esoterik“ 2006 in Wolfenbüttel oder ein Kongress der Europäischen Gesellschaft für Esoterikforschung 2007 in Tübingen statt. Die Hamburger Kunsthalle initiierte 2007 eine Filmreihe zum Thema Spuk und Psychokinese.
Viele Kunsthistoriker blenden die okkulten Inspirationsquellen moderner und zeitgenössischer Künstler nicht mehr aus, längst ist der Okkultismus keine randständige „Metaphysik der dummen Kerle“ mehr, wie ihn Theodor W. Adorno in den 50er Jahren noch bezeichnete. Die wichtige Rolle der Esoterik für die Kunst der Moderne wurde kulturwissenschaftlich nachgewiesen.
Okkultismus- und Esoterikforschung sind jetzt in akademischen Gefilden heimisch geworden. Die Universität in Amsterdam beispielsweise bietet Ba/Ma-Abschlüsse in „Western Esotericism“ an. Das Studium setzt sich aus religions‑, kulturwissenschaftlichen und philosophischen Modulen zusammen. Schwerpunktthemen sind Esoterik, hermetische Philosophie und Mystizismus des Abendlandes.