Neue Visionen
Erkenne! Erschaffe! Verändere! Für Visionen braucht es Mut, Ausdauer und Kreativität.
Wenn ein Kind seine ersten Bauklötze zu einem Turm aufeinander stapelt, hat es einen kreativen Akt vollzogen. Es hat etwas geschaffen aus der Zusammensetzung zuvor unabhängig voneinander existierender Dinge. Dafür hat es Überlegungen angestellt, Versuche unternommen und schlussendlich die Umsetzung der Gedanken vollzogen. Leider sind Studenten keine Kinder mehr und allzu oft im verschulten Studiengang eingezwängt.
Gerade die Umstellung auf Bachelor und Master nimmt den Studierenden in den Universitäten das individuelle Denken ab. Julian Nida-Rümelin, der an der LMU München Philosophie lehrt, spricht von einer „Verschulung auf breiter Front“. Das Eigenstudium kommt zu kurz und damit das Querdenken. Aber gerade dieses Denken über die gewohnten Bahnen hinaus regt eine Neuschöpfung und damit kreative Prozesse an.
Vorbei sind die Zeiten der Universalgelehrten wie Leonardo da Vinci und Alexander von Humboldt. Das Wissen, das in den Seminaren vermittelt wird, stammt aus Lehrbüchern, bleibt dabei oft unhinterfragt und bildet so den engen Horizont für den Verstand. Wie selten fragt ein Dozent: „Was halten Sie davon?“ oder empfiehlt die Nutzung des eigenen Gehirns. Erst am Ende des Studiums wird eine eigene These gefordert. In der Bachelor-Arbeit soll diese Forschungsfrage untersucht werden. Bis es soweit ist, wird nur aus Büchern Gelerntes wiedergegeben.
Durch Mut zur Chance
Das Potenzial der Studierenden liegt oftmals brach. Für einige Professoren scheint die Lehre lästiges Nebenprodukt ihrer Forschungstätigkeit zu sein. Dabei sitzen vor ihnen die Akademiker von Morgen. Sie sollen die Zukunft gestalten. Das kann nicht ohne Ideen passieren.
Laut einer Umfrage unter den 16- bis 49-jährigen halten diese Berlin mit 61 Prozent für die kreativste Stadt Deutschlands. Das liegt an dem freien Lebensgefühl, das Künstler und Querdenker anzieht. Kreativität speist sich aus drei Grundbedingungen: Man will sich mit etwas auseinandersetzen, weil man beispielsweise neugierig ist. Man kann sich mit etwas auseinandersetzen, weil man die Fähigkeiten besitzt. Und man darf sich mit etwas auseinandersetzen, weil die Regeln es erlauben.
Demnach wählen Studenten Fächer, die sie interessieren, und eignen sich das fachliche Wissen an – es fehlt nur noch die Erfüllung der dritten Bedingung. Karl-Heinz Brodbeck, Kreativitätsforscher, merkt an, „dass Kreativität mit einem Überschreiten von Rationalität in Zusammenhang steht.“ Doch das Überschreiten der Rationalität wird schwieriger. Fehler sind nicht erlaubt. Der Druck in der Hochschule ist hoch und das Studium straff strukturiert. Fehler macht man aber, wenn man konventionelle Pfade verlässt. Es ist Mut gefragt.
Schöner scheitern
Der kreative Kopf sieht Missstände und setzt sich damit kritisch auseinander. Etwas stört ihn, etwas macht ihn unruhig und beschäftigt seine Gedanken. Auf der Suche nach Ideen wird die Phantasie angeregt. Es geht nicht um eine Recherche, sondern es geht um die Schöpfung eines neuen Gedankens. Zu guter Letzt muss dieser Gedanke noch verwirklicht werden. Scheitert man, besteht eine Chance, dem Ziel näher gekommen zu sein. All die Erfindungen, die das moderne Leben ermöglichen, basieren auf endlosem Scheitern und der schlussendlichen Verwirklichung.
Die Aufforderung zur Kreativität muss also die Möglichkeit zum Misserfolg beinhalten. Ein ägyptisches Sprichwort sagt, in jeder Töpferei liegen Scherben. Der Turm des Kindes, der am Ende steht, ist wahrscheinlich nicht das Ergebnis des ersten Versuchs. Doch er ist ein Werk, und man denkt voller Stolz: „Gut gemacht.“ Der nächste Schritt sind ein höherer Turm, eine schwierigere Aufgabe und noch mehr Kreativität.