Perspektiven

Das Pro­jekt „Neu­köll­ner Talente“ möchte die ver­steck­ten Bega­bun­gen von Kin­dern aus sozial schwa­chen Fami­lien fördern.

Foto: A. Noack

Deutsch­lands Bil­dungs­sys­tem ist sozial unge­recht – seit den PISA-Stu­dien gehört das zu den All­ge­mein­plät­zen. Kinder werden zu früh auf die Haupt­schule abge­scho­ben, die immer noch nicht abge­schafft wurde. Nur 16 Pro­zent der Kinder aus Arbei­ter­fa­mi­lien wagen den Sprung an die Uni. Die umju­belte Ganz­tags­schule bleibt als brei­tes Ange­bot ein Wunschtraum.</p>Die För­de­rung und Bil­dung der Kinder bleibt somit zu einem beacht­li­chen Teil Auf­gabe der Eltern. Häufig fehlt es an Zeit, Geld oder den Fähig­keiten, um dem Kind eine höhere Schul­lauf­bahn zu ermög­li­chen. Die Eltern wün­schen sich für ihr Kind einen guten Arbeits­platz und Aner­ken­nung, wissen aber nicht, wie sie es auf dem Weg dahin unter­stüt­zen können.

Diesen Fami­lien will das Pro­jekt „Neu­köll­ner Talente“ geeig­nete Ansprech­part­ner zur Seite stel­len. Das von der „Aktion Mensch“ geför­derte Pro­jekt wurde im Okto­ber ver­gan­ge­nen Jahres von der Bür­ger­stif­tung Neu­kölln ins Leben geru­fen. Vor­bild ist das Men­to­ren­pro­gramm „Big Bro­thers Big Sis­ters“, das mitt­ler­weile in zehn Län­dern eta­bliert ist. Die Idee ist, jedem Kind einen Paten zu ver­mit­teln, der hilft, Inter­es­sen und Bega­bun­gen zu ent­de­cken und gezielt weiterzuentwickeln.

Patenschaft als Chance

„Neu­köll­ner Talente“ ist bereits das zweite Men­to­ren­pro­jekt der Bür­ger­stif­tung. Das erste unter­stützt Jugend­li­che beim Über­gang von der Schule in den Beruf. Die Erfah­run­gen mit den Jugend­li­chen regten dazu an, bei der Beglei­tung von Kin­dern früher anzu­set­zen. Schwie­rig­kei­ten würden im Kin­des­al­ter ange­legt, erklärt Idil Efe (33), die das Pro­jekt betreut: „Wenn man dann nicht vor­sorg­lich han­delt, muss man sich nicht wun­dern, wenn man sich im Jugend­al­ter nicht durch­set­zen kann.“

Bisher haben sich 65 Leute bereit erklärt, eine Paten­schaft zu über­neh­men. Davon sind 80 Pro­zent Stu­den­ten. Idil ist von der Reso­nanz ange­nehm über­rascht, betont aber, dass sich nicht jeder als Pate eignet: „Wich­tig ist mir die Moti­va­tion des Bewer­bers.“ Wer meint, er hätte als Erwach­se­ner alle Rätsel des Lebens schon geknackt, sei in dem Pro­jekt fehl am Platze. „Ein Pate muss sich selbst reflek­tie­ren und in Frage stel­len können“, meint Idil. Er sollte die Paten­schaft als Chance sehen, nicht nur zu för­dern und Inter­esse zu wecken, son­dern selbst her­aus­ge­for­dert zu werden und dabei zu lernen.

Katrin (21) ist so eine Patin. Die umtrie­bige Medi­zin­stu­den­tin tanzt in ihrer Frei­zeit Hiphop und Salsa, macht Tai-Chi und bezeich­net sich selbst als Bücher­wurm. Später möchte sie viel­leicht als Kin­der­ärz­tin arbei­ten. Auch darum ver­sucht sie, Erfah­rung im Umgang mit Kin­dern zu sam­meln. Beson­ders wich­tig ist ihr aber der Gedanke der Chan­cen­gleich­heit: „Dank meiner Eltern konnte ich meine Frei­zeit viel­sei­tig gestal­ten, ein Instru­ment lernen und Schreib­ma­schi­nen­kurse bele­gen. Viele Eltern können sich das aber nicht leis­ten“, sagt sie und ergänzt: „Ich möchte bei dem anset­zen, was die Eltern nicht können.“

Ehrgeizige Pläne

Vor kurzem hat Katrin ihr Paten­kind ken­nen­ge­lernt – einen 12-jäh­ri­gen Jungen, den sie als „sehr ernst und sehr schüch­tern“ beschreibt. Zusam­men mit Idil und seiner Fami­lie haben sie sich bei tür­ki­schem Tee unter­hal­ten. „Mein Paten­kind war erst sehr still, aber beim Abschied hat er gelä­chelt und gesagt, er freue sich schon auf das nächste Mal“, erzählt Katrin. Sie selbst ist „über­glück­lich“ mit ihrem Patenkind.

Für die kom­mende Zeit hat sie ehr­gei­zige Pläne: „Ich möchte ihn in einer Biblio­thek anmel­den. Und in einem Sport­ver­ein.“ Oder sie möchte ein­fach mit ihm spa­zie­ren gehen und Pflan­zen- und Tier­ar­ten ken­nen­ler­nen. Eines jeden­falls hat sie sich fest vor­ge­nom­men: „Mein Paten­kind soll die glei­chen Start­be­din­gun­gen haben wie ich – unab­hän­gig davon, wo es herkommt.“

 

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