Lehrer auf Zeit

Ein Diplom­che­mi­ker unter­rich­tet Mathe­ma­tik und Eng­lisch an einer Haupt­schule. Als Ver­tre­tungs­leh­rer kommt er auf Zeit an Schulen.

Jeden Tag unter­rich­tet der 26-jäh­rige Alex­an­der Mihouv Mathe, Physik, Eng­lisch und Geschichte an einer Haupt­schule im Ber­li­ner Bezirk Span­dau, obwohl er eigent­lich diplo­mier­ter Che­mi­ker ist. Ein Lehrer ohne abge­schlos­se­nes zwei­tes Staats­examen? Alex­an­der Mihouv arbei­tet als Ver­tre­tungs­leh­rer und ersetzt eine län­ger­fris­tig erkrankte Lehr­kraft. Auf der Home­page des Ber­li­ner Senats für Bil­dung bewarb er sich und wurde so von seiner Schule angeschrieben.

Wie organisieren Berliner Schulen die Vertretungskräfte

Um dem Unter­richts­aus­fall durch feh­lende Lehr­kräfte in Mut­ter­schutz, bei Eltern­teil­zeit oder Erkran­kun­gen vor­zu­beu­gen werden pen­sio­nierte Lehrer, Lehr­amts­stu­den­ten und Stu­den­ten mit abge­schlos­se­nem Stu­dium ande­rer Fach­rich­tun­gen für den Ver­tre­tungs­dienst als Hono­rar­kräfte ver­pflich­tet. Das Geld bezie­hen die Schu­len aus der soge­nann­ten Per­so­nal­kos­ten­bud­ge­tie­rung (PKB). Seit Beginn des Schul­jah­res 2007/2008 haben Ber­li­ner Schu­len durch dieses Budget die Mög­lich­keit, die Ein­stel­lung von [int­link id=“970” type=“post”]Lehrern [/intlink]selbst zu orga­ni­sie­ren. Das Budget dient der Ver­tre­tung von Lehr­kräf­ten und schu­li­schen Pro­jek­ten. Vor­aus­set­zung für eine Anstel­lung ist, dass der Bewer­ber ein Hoch­schul­stu­dium absol­viert hat.

Der­zeit sind 592 Ver­tre­tungs­leh­rer und andere Hono­rar­kräfte ein­ge­setzt. Rund 724 Ber­li­ner Schu­len nehmen im Schul­jahr 2009/2010 an der Per­so­nal­kos­ten­bud­ge­tie­rung teil. Dies ent­spricht etwa 96 Pro­zent aller Ber­li­ner Schu­len, wie der Ber­li­ner Senat auf eine par­la­men­ta­ri­sche Anfrage von Özan Mutlus, Bil­dungs­po­li­ti­ker bei den Grünen, bestätigt.

Personalkostenbudgetierung sinnvoll gegen Unterrichtsausfall?

Wurde die Per­so­nal­kos­ten­bud­ge­tie­rung anfäng­lich als gelun­ge­nes Pro­gramm gegen den Unter­richts­aus­fall betrach­tet, macht sich mitt­ler­weile ver­mehrt Kritik breit. Denn eine wirk­li­che Lösung für das gene­relle Pro­blem des Unter­richts­aus­falls sehen Kri­ti­ker darin nicht. Eher diene es dazu, die Sta­tis­ti­ken zu beschö­ni­gen. Das Budget des PKB dient eigent­lich auch dazu, außer­schu­li­sche Pro­jekte zu för­dern. Tat­säch­lich werden aber mehr als zwei Drit­tel für die Ver­tre­tung von Lehr­kräf­ten genutzt, wäh­rend nur knapp ein Drit­tel der Mittel schu­li­schen Pro­jek­ten dient.

Zudem wird die man­gelnde päd­ago­gi­sche Aus­bil­dung der Ver­tre­tungs­kräfte kri­ti­siert. Auch Alex­an­der Mihouv hat wäh­rend seiner Tätig­keit fest­ge­stellt, dass „ein langes Lehr­amts­stu­dium durch­aus seine Daseins­be­rech­ti­gung hat“. Die Ber­li­ner Zei­tung berich­tet, dass sich die Klagen über nicht aus­rei­chend qua­li­fi­zierte Aus­hilfs­leh­rer häufen.

Vertretungslehrer ohne pädagogische Ausbildung

Alex­an­der Mihouv wurde ein­ge­stellt, um eine Gruppe von vier ver­hal­tens­auf­fäl­li­gen Schü­lern ein­zeln zu unter­rich­ten. „Zwei Lehrer hätten sie bereits ver­heizt“, erfuhr er von der Direk­to­rin bei seiner Ein­stel­lung. Durch seine lang­jäh­rige Tätig­keit als Nach­hil­fe­leh­rer ver­fügt er zwar über Lehrer­fah­rung, doch die päd­ago­gi­schen Anfor­de­run­gen der Ver­tre­tungs­tä­tig­keit stell­ten auch ihn anfäng­lich vor neue Her­aus­for­de­run­gen. Vier Stun­den täg­lich, an fünf Tagen in der Woche unter­rich­tet er Mathe­ma­tik, Geschichte, Eng­lisch, Erd­kunde und Physik.

Zu Beginn seiner Tätig­keit setzte er sich mit dem Klas­sen­leh­rer zusam­men und hos­pi­tierte im Unter­richt. Anfäng­lich war er etwas unsi­cher. Die feh­lende päd­ago­gi­sche Aus­bil­dung hat er seiner Mei­nung nach durch die prak­ti­sche Arbeit ersetzt. Jetzt fühle er sich sicher und gestal­tet seinen Unter­richt rou­ti­niert. Zwei­mal in der Woche kommen zudem noch ein Sozi­al­ar­bei­ter und eine Kol­le­gin dazu und unter­stüt­zen ihn beim Unter­richt. Die Arbeit macht ihm Spaß, und mit seinen vier Schü­lern kommt er „sehr gut klar“. Mitt­ler­weile kann er sich sogar vor­stel­len ein „rich­ti­ger Lehrer“ zu werden.

Vertretungslehrkraft: ein Job mit Perspektive?

Doch die Ver­tre­tungs­tä­tig­keit bietet lang­fris­tig wenig Per­spek­tive. Die Ver­träge Alex­an­der Mihouvs und seiner Kol­le­gen sind kurz­fris­tig und unsi­cher. Zudem ist die Bezah­lung im Ver­gleich zu voll aus­ge­bil­de­ten Lehr­kräf­ten wesent­lich gerin­ger. Vor allem die Krank­heits­ver­tre­tun­gen seien pro­ble­ma­tisch, wie Katja Metzig, Juris­tin und Refe­ren­tin für Ange­stell­ten und Beam­ten­po­li­tik, der Gewerk­schaft Erzie­hung und Wis­sen­schaft (GEW) Ber­lins, erklärt: „Ein Ver­trag läuft über min­des­tens zwei Wochen, längs­tens aller­dings nur bis zum Schul­jah­res­ende mit der Ein­schrän­kung, den Ver­trag auf­zu­he­ben, wenn die erkrankte Lehr­kraft wieder gene­sen ist.“ Dadurch würde den Ver­tre­tungs­lehr­kräf­ten der Status als „Lücken­bü­ßer“ zuteil, kri­ti­siert sie. Grund­sätz­lich, so die Juris­tin, sprä­che zwar nichts gegen kurz­fris­tige Ver­träge, sofern man aller­dings lang­fris­tig den Ver­tre­tungs­kräf­ten Per­spek­ti­ven biete, sich wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Diese Per­spek­ti­ven seien aber kaum vorhanden.

Alex­an­der Mihouvs Ver­trag läuft dem­nächst aus. Zwei Anfra­gen von einer Real­schule und einer Gesamt­schule hat er schon. Er möchte weiter unter­rich­ten, trotz der unsi­che­ren Zukunfts­aus­sich­ten. Als Che­mi­ker zu arbei­ten kann er sich heute nicht mehr vorstellen.