Blitzschnell vom Ohr ins Hirn

Wis­sen­schaft­ler der FU Berlin und der MRC Cogni­tion and Brain Sci­en­ces Unit in Cam­bridge ver­öf­fent­li­chen Studie über Tempo des Wortverstehens.

Rostlaube FU Berlin (Foto: Reinhard Görner)

For­scher der FU Berlin und der bri­ti­schen MRC Cogni­tion and Brain Sci­en­ces Unit in Cam­bridge haben ent­deckt, dass das Erfas­sen von Wör­tern wesent­lich schnel­ler abläuft als bisher ange­nom­men. Schon inner­halb einer Zehn­tel­se­kunde, nach­dem das rele­vante Wort als Schall­ereig­nis auf das Ohr trifft, zeigen sich der Studie zufolge im Gehirn die ersten Anzei­chen des Ver­ständ­nis­ses. Die Ergeb­nisse wurden in der jüngs­ten Online-Ver­sion der Zeit­schrift nature veröffentlicht.

Tests an FU Berlin und MRC Cognition and Brain Sciences Unit in Cambridge

Die For­scher um den Neu­ro­bio­lo­gen und Sprach­wis­sen­schaft­ler Prof. Dr. Dr. Frie­de­mann Pul­ver­mül­ler von der FU Berlin und Prof. Yury Shty­rov von der MRC Cogni­tion and Brain Sci­en­ces Unit in Cam­bridge spiel­ten ihren Ver­suchs­per­so­nen Wörter wie “Schlag” und sinn­lose Silben wie “Schlad” vor. Im Eng­li­schen wurde bei­spiels­weise statt “note” das Pseu­do­wort “noke” vor­ge­spielt. Am Anfang der Silben, wenn erst “Schla …” gehört wird oder “no .”, kann noch nicht mit Sicher­heit ent­schie­den werden, ob es sich um ein sinn­lo­ses oder sinn­vol­les Ele­ment han­delt. Erst mit der Infor­ma­tion über den letz­ten Kon­so­nan­ten wird klar, dass das sinn­volle Schlag oder das Pseu­do­wort Schlad gemeint ist.

Hirnindikator zeigt Wortverstehen an

Die Arbeits­gruppe um Frie­de­mann Pul­ver­mül­ler von der FU Berlin fand nun heraus, dass schon inner­halb von 50 bis 80 Mil­li­se­kun­den, nach­dem die Ver­suchs­per­so­nen zum ersten Mal die Wörter erken­nen können, ein Hirn­in­di­ka­tor das Wort­ver­ste­hen anzeigt. Dies ist deut­lich früher als eine früher mit Ver­ständ­nis­pro­zes­sen oft in Zusam­men­hang gebrachte Gehirn­ant­wort, die soge­nannte N400-Kom­po­nente, die erst nach etwa einer halben Sekunde deut­lich her­vor­tritt. Die Wis­sen­schaft­ler aus Cam­bridge und von der FU Berlin konn­ten in der Studie auch einen ande­ren Hirn­funk­ti­ons­in­di­ka­tor bestä­ti­gen, der einen Hin­weis auf das Sprach­ver­ste­hen gibt. Er tritt nach 150 bis 200 Mil­li­se­kun­den auf; Pul­ver­mül­lers frü­here Gruppe in Cam­bridge berich­tete dar­über schon in Ver­öf­fent­li­chun­gen. So zeigte diese Kom­po­nente, die auch “seman­ti­sche Mis­match Nega­ti­vity” genannt wird, bei 150 bis 200 Mil­li­se­kun­den an, ob gehörte Hand­lungs­wör­ter etwas mit Mund- oder Fuß­be­we­gun­gen (“tal­king” oder “wal­king”) zu tun haben.

Studie mit Magnetenzephalographie  an FU Berlin

“Ver­hal­tens­ex­pe­ri­mente weisen schon lange darauf hin, dass die mensch­li­che Sprach­ver­ar­bei­tungs­ma­schine schnell arbei­tet”, sagte Frie­de­mann Pul­ver­mül­ler, FU Berlin. “Hier sehen wir jedoch zum ersten Mal einen phy­sio­lo­gi­schen Beleg, der diesen Ver­dacht auch mit Hirn­mes­sun­gen bestä­tigt und die unglaub­li­che Geschwin­dig­keit prä­zi­siert, mit der unser Gehirn zwi­schen Sinn­vol­lem und Sinn­lo­sem unter­schei­det.” Die For­scher aus Cam­bridge und von der FU Berlin hatten für ihre Studie eine neue Methode ver­wen­det, die der Magne­ten­ze­pha­logra­phie sowie der ver­teil­ten Quel­len­lo­ka­li­sa­tion. Mit der Magne­ten­ze­pha­logra­phie können kleinste Magnet­fel­der, die das Gehirn beim Arbei­ten pro­du­ziert, über dem Kopf gemes­sen werden. Mit der ver­teil­ten Quel­len­ana­lyse können die zugrunde lie­gen­den Akti­vie­rungs­mus­ter im Gehirn ver­or­tet werden. Die zeit­li­che Prä­zi­sion dieser Methode ist unübertroffen.

Mehr Forschung über Sprachverstehen an FU Berlin

In der Zukunft möchte das Team um Pul­ver­mül­ler an der FU Berlin das neue Wissen um schnel­les Sprach­ver­ste­hen auch bei der The­ra­pie von Sprach­stö­run­gen nach einem Schlag­an­fall nutz­bar machen: “Die frühen Hirn­ant­wor­ten des Ver­ste­hens helfen uns viel­leicht bei der Mes­sung von Fort­schrit­ten, die Schlag­an­fall-Pati­en­ten mit einem Ver­lust der nor­ma­len Sprach­fä­hig­keit im Laufe von inten­si­ver Sprach­the­ra­pie machen.”