Bup – Kommunikation ist alles
Sascha Lobo erzählt extrem und extrem unterhaltend aus den Anfängen der Kommunikationsagenturen.
Berlin ist die Stadt der Kreativen. Berlin klaut auch mal gern amerikanische Lebensverhältnisse, wenn es schick aussieht. So war es Anfang des neuen Millenniums, als sich das große Business ins Internet verlagerte. Jeder konnte seine Internetfirma gründen, zeigen was nicht da ist und konnte sein, was man nicht ist. Sascha Lobo, Held der ersten Stunde, schrieb einen Roman über die Zeit der New Economy. „Strohfeuer“ gibt es seit April nun auch als Taschenbuch.
Delivern? Kein Problem
Wer schon einmal in die Welt der Kommunikationsagenturen hinein schnuppern durfte, wird in diesem autobiografisch angehauchten Roman (Lobo hatte selbst eine Agentur) einiges wieder erkennen. Stefan, Protagonist der Story, macht seinen Einstieg in die Kommunikationsbranche nicht bewusst. Er rutscht er rein, so wie er in das Jahr 2000 reinrutschte. Völlig unwissend, aber mit den richtigen, wenigen Worten. Er lernt die richtigen Leute kennen und dank der Begabung, zu sagen, was andere hören wollen, findet er sich als angehender PR-Stratege wieder.
„Eine tolle Branche!“, dachte ich und erfand die Summe 16 450,- DM. Mein erstes Angebot war fertig.
In den Anfängen der New Economy sind die Strukturen noch nicht klar. Gerade entdeckte man das World Wide Web, Google war gerade erst online gegangen. So kommt Stefan mit einem wahren Geschoss an Worthülsen durch:
Ich rief acht Freunde zusammen, beim Bier malten wir uns aus, was eine Fokusgruppe wohl so erzählen würde. Ich schrieb alles auf, klebte Fotos von meinen Freunden dazu und es mit plausibel erscheinenden Flunkereien.
Zu dem privat wie auch beruflich planlosen Stefan gesellt sich Thorsten, ein laufender Running Gag des Romans. Thorsten ist der Prototyp eines Agenturlers. Er hat schon einige „Firmen gemacht“, „delivert“ ganz gern und überhaupt baut er aus der dümmsten Idee ein Konzept, dass zwar zu nichts führt, aber Kunden findet. Man achte beim Lesen auf seine Erläuterung des „Aromamarketings“. Hinter jede seiner Agenturweisheiten setzt er das Wort „bup“. Ende aus fertig.
Praktikanten: Die Brut heranziehen
Agenturen sehen immer ähnlich aus: die Räumlichkeiten sind schick, aber auch cool. Glas ist wichtig. Besonders toll ist es, wenn es keine geschlossenen Räume gibt, sondern alle Abteilungen nur durch Glasscheiben voneinander getrennt sind. Wie im Zoo. Dieses Bild passt auch zu der Personalpolitik. Der heutige Stellenmarkt für Uniabsolventen verspricht viel: es gibt ungezählte Praktikumsstellen, die auch prompt besetzt werden. Wer eine wirkliche Anstellung findet, der wird mit Glück gut bezahlt und Teil der Familie. Für einen hohen Preis. Auch die neu gegründete Agentur, der man in „Strohfeuer“ beim Wachsen zusehen kann, setzt auf dieses Konzept:
Wir stellten weiterhin jede Woche einen neuen Mitarbeiter ein. Die Brut hatte sich als guter Filter erwiesen.
Die Brut. Das sind die jungen, engagierten Mitarbeiter, die einen Job brauchen. So verschwindet munter und frisch die Grenze zwischen Arbeit –und Privatleben.
Alles für die Arbeit: Wir nehmen auch deine Seele
Dafür, dass man sich ganz und gar dem jeweiligen Projekt opfert, darf man sich dann auch mal spontan einen freien Tag nehmen. Dann muss man aber wieder Spalier stehen:
Wir arbeiteten wie selbstverständlich auch am Wochenende. Beinahe ernsthaft sagte Thorsten häufig den Spruch: „Wie –du kommst Sonntag erst um elf rein?“
Das kann man natürlich hinnehmen, wenn man voll und ganz bei der Sache ist und die Unternehmensziele die eigenen sind. Im Gegensatz zu den Beginnen der New Economy ist man heute daran gewöhnt, dass man nicht nur seine Leistungen zu erbringen hat, sondern auch mit dem Herzen dabei sein sollte. In Lobos Roman spürt man diese Mentalität in ihren positiven Auswirkungen:
Langsam fühlten wir uns in den Agenturräumen zu Hause, es herrschte ständige Klassenfahrtsstimmung. Die Hälfte der Mitarbeiter blieb fast jeden Tag länger, die anderen gingen schon zwischen acht und neun nach Hause.
Man lebt für die Sache, man ist auf Arbeit Zuhause. Was heute aber grundsätzlich anders ist: Es wird evaluiert, es wird genau kalkuliert und es gibt eine Struktur im Netz der Agenturen. Das war vor einigen Jahren noch anders. Deshalb darf man sich fragen, wie realistisch einige Strecken des Romans sind.
Goldschürfen in Berlins Hinterhäusern
Als die Hinterhausagentur in „Strohfeuer“ in ihren Anfängen steckt und sie den ersten Auftrag an Land gezogen haben, wird nicht lange gefackelt. Das Büro steht kaum, qualifiziertes Personal gibt es noch nicht (der Roman spielt eben einige Zeit vor Bologna), aber es müssen drei Fachkräfte her, die man für den großen Auftrag in die Pampa schicken will:
Philipp schlug vor, Rod zu nehmen und als Dritten einen Schauspieler hinzuschicken. Ein Bekannter von ihm, Jürgen, sei technisch halbwegs begabt, ein großartiger Darsteller und hätte gerade kein Engagement.
Vor allem der Macher Thorsten geht in seiner Gier nach Geld voll auf.
Ab Sommer möchte ich nur noch sechsstellige Rechnungen schreiben.“ „Bitte? Hast du deine Haare wieder in der Mikrowelle getrocknet?
Der meint das vollkommen ernst. Was man hier nie macht: sich Grenzen eingestehen, personelle Grenzen, Leistungsgrenzen, Grenzen des Machbaren. Warum auch? Alles schien möglich in der Zeit der großen Internetblase. Strohfeuer lebt von seinem Wortfeuer. Man muss nicht lange sinnen, beim Lesen dieses Buches. Es ist ein rasanter Ritt durch das Erblühen und Absterben eines Unternehmens, von Start Up-Idee und Internetfirmen, in einer Zeit, als man mit Kommunikation Geld verdienen konnte – ohne Plan.
Sascha Lobo ‑Meister des morbid-humorigen Humors
Als autobiografische Schrift sollte man „Strohfeuer“ nicht verstehen, auch wenn es manchmal schwer fällt. Spätestens als man mit vermeintlichen Mafia-Methoden einen abgesprungenen Kunden mit einem toten Tier auf dessen Haustreppe einschüchtern will, überwiegt der Unterhaltungswert und nicht die Authentizität des Buches – hofft man.
Geile Scheiße, Alter, genau das machen wir“, sagte Thorsten. „Ein Schweinekopf, das ist ja wohl die beste Demütigung überhaupt! Und das Allerbeste wisst ihr ja noch gar nicht. Ich kenne eine, der auf einer Schweinefarm arbeitet. Der kann uns mal ganz locker ein echtes Schwein besorgen!“
Die Moralkeule holt Lobo an keiner Stelle heraus. Obwohl Protagonist Stefan mit dem tobenden Thorsten Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entließ, seine Freundin –gelinde gesagt – vernachlässigt hat und relativ wenig Gewissensbisse hatte: zum Ende hin siegt der Unternehmer. War aber irgendwie auch klar. Wenn Lobo moralisch werden würde, wäre doch unklar, warum er selber auch heute noch in Kommunikation macht. Als Thorsten Stefan nach einiger Zeit von dem nächsten „großen Ding“ berichten will, sagt der nur: „Erzähl.“ Kommunikation ist halt seine Branche.
Verlosung
Wir verlosen vier Exemplare von Sascha Lobos “Strohfeuer”.
Alles was Ihr tun musst, ist das unten stehende Formular bis zum 1. Juni 2012, 24 Uhr auszufüllen.
Update: 2.6.2012: Die Verlosung ist beendet. Die Gewinner werden informiert.