Anonyme Fachidiotie versus Modularer Klassenverband?
Wer sich nach der Schule gegen eine Ausbildung und für ein Studium entscheidet, wird gleich mit der nächsten Frage konfrontiert: Hochschule oder Universität?
Der scheinbar gleichwertige Abschluss vermittelt den Eindruck, die Wahl der Lehre würde keinen Unterschied machen. Doch so manches Vorurteil spricht für das Gegenteil, so dass eine große Kluft zwischen den Ausbildungsstätten entsteht: Während sich der Universitätsstudent fragt, wie sich der Fachhochschüler aufs Neue dem Kurssystem des Klassenverbands unterstellen kann, ist den an der Fachhochschule Eingeschriebenen unklar, wie sich ein Student an der Universität in dem Wust an Massenvorlesungen zu einem fristgerechten Abschluss motivieren kann.
Studieren an Hochschule: Mengenkontraste
Der gewichtigste Unterschied zwischen Universitäten und Hochschulen liegt eindeutig bei der Zahl ihrer Besucher. Während Berlins Universitäten durchschnittlich 20.652 Immatrikulierte beherbergen, zählen die staatlichen Hochschulen nur durchschnittlich 3023 eingeschriebene Studierende. Der Grund: Es gibt deutlich mehr Hochschulen als Universitäten – gerade in Berlin. Sie entstanden vor ungefähr vierzig Jahren in Deutschland und nahmen sich zur Aufgabe, Personen mit dem mittleren Schulabschluss und Berufserfahrung ein kurzes Studium mit Praxisbezug zu ermöglichen. Nach diesen Praxisbereichen sind die Hochschulen auch unterteilt, sie bieten zumeist nur Studiengänge an, die den folgenden Richtungen angehören: Ingenieurwesen, Wirtschaft, Sozialwesen, Pflegen und Gesundheit, Land- und Forstwirtschaft oder Gestaltung. Universitäten dagegen vermitteln vorrangig Theorie und das für viele Fächer unter einem Universitätsdach. Die Menge an Angebot bringt daher auch die Masse an Studierenden und sorgt oft für eine anonyme Stimmung und fächerübergreifende Unbekanntheit zwischen den Studierenden. Die Vermutung liegt nahe, dass eine Hochschule eher familiäre Gefühle beim Studenten weckt als eine Universität.
Studieren an Hochschule: Heimisch fühlen am Studienplatz
Mit den durchschnittlich 20 bis 30 Semesterwochenstunden plus diverser Bibliotheksbesuche verbringt ein Student den Großteil seiner Zeit in den Gebäuden seiner Universität oder Hochschule. Während die Hochschule Vorgaben zum Zeit- und Aufwandsmanagement ihrer Schützlinge macht, bleibt dem Universitätsstudenten die freie Wahl, wann welche Veranstaltungen besucht werden. Das hat oftmals die Folge, dass die Regelstudienzeit schnell überzogen wird. Besucher einer Hochschule studieren dagegen in einer Art Klassenverband, haben einen festen Stundenplan und damit die Garantie, ihren Bachelorabschluss bei erfolgreichen Prüfungen in drei Jahren zu schaffen. Dafür hat man es wiederum schwieriger, sich zeitlich flexibel durch einen Studentenjob zu finanzieren.
Studieren in Berlin: Wo?
Beide Studienmöglichkeiten haben ihre Vor- und Nachteile. Auch bei der Orientierung in dem vertrauten oder fremden Umfeld könnten die beiden Institutionen kaum unterschiedlicher sein. Ein Stimmungsbild der Spree ergab, dass sich 81% der Studierenden an Hochschulen vertraut fühlen, aber nur 62% der Universitätseingeschriebenen. Ein Grund dafür könnte neben der deutlich höheren Anzahl an Studierenden an den Universitäten auch die örtliche Verteilung der Studienorte auf dem Campus sein. Zum Beispiel besteht die Humboldt Universität aus dem Campus Mitte und dem Campus Adlershof – beide sind sehr groß und für Außenstehende unübersichtlich. Dagegen bestehen die meisten Hochschulen aus nur einem Campus mit wenigen Gebäuden – die Studenten finden sich hier schnell zurecht, zumal sich die Seminare oft im gleichen Haus befinden wie die dazugehörigen Verwaltungsräume. Außerdem trägt die Anzahl der Studierenden zum Gefühl der Vertrautheit bei – bei einer überschaubaren Menge lassen sich schneller Bekanntschaften knüpfen und Lerngruppen finden als bei Studiengängen mit mehreren hundert Studenten.
Einsame Wölfe und Facebookfreunde
Das hat Auswirkungen auf die Anonymität an der Hochschule und das soziale Miteinander im Kreis der Studenten. Wer sich einmal als Uni-Student in eine Hochschule setzt, erkennt, dass die man hier miteinander deutlich vertrauter umgeht. Die Studierenden haben ihre Kommilitonen zu den neuen Klassenkameraden gemacht, feiern am Wochenende gemeinsam die Partys, teilen ihre Fotos untereinander bei Facebook. Sie unterstützen sich bei der Vorbereitung auf Klausuren und schmieden Pläne gegen unbeliebte Dozenten. Sie verbringen sowohl Frei- als auch Studienzeit miteinander und schaffen sich eher eine Freundschaft auf längere Sicht.
Anonym studieren an Universitäten in Berlin
Ein wenig anders verhält es sich hier tendenziell mit den Universitätsstudenten. Sie sind zunächst von dem Wust an Studenten im ersten Semester und der daraus resultierenden Unsicherheit und Planlosigkeit etwas überfordert. An dieser Stelle teilt sich die Masse in zwei verschiedene Formen von Studenten auf: Die eine Art stellt sich dem Unbekannten, traut sich Bekanntschaften zu schließen und findet am im Laufe des Studiums Anschluss. Zudem muss sich der Universitätsstudent seine Freunde aus mehreren Seminaren und Übungen zusammensammeln, so dass die Bekannten untereinander nicht immer vertraut sind und mehre kleine Freundeskreise entstehen. Andererseits können so auch wertvolle Kontakte für die Berufswelt aus mehreren Bereichen gesichert werden. Die andere Sorte von Universitätsstudent, der einsame Wolf der Hochschule, hat es schwerer, Freunde zu finden – ein Teufelskreis, wenn man bedenkt, dass man so kaum zu den Partys eingeladen wird, auf denen man weiteren Kommilitonen vorgestellt wird. Oft hört man von Uni-Absolventen Sätze wie: „Ach keine Ahnung… Man hat sich schnell aus den Augen verloren.“ Oder: „Ich habe immer noch viele Freunde aus der Uni, im ganzen Land verteilt – man sieht sich zwar selten, aber wenn doch einmal, dann geht´s meistens richtig ab.“
Wer hat tatsächlich die Wahl?
Macht man seine studentische Karriere aber wirklich von der Atmosphäre oder einem etwas engerem Verhältnis zu seinen Dozenten abhängig? Wir fragten in unserer Umfrage die Studenten auch, weswegen sie sich für ihre Hochschule oder Universität entschieden haben. Tatsächlich machte der Großteil der Befragten ihre Wahl vom Studienfach abhängig. Der spätere Beruf steht also im Vordergrund, der Wunsch nach einem familiären Umfeld oder einem studentischerem Feeling auf dem Campus spielen hier eher eine untergeordnete Rolle.
Am Ende bleibt die Kluft und Unkenntnis
So erneuern sich die Vorurteile immer wieder aufs Neue: Universitätsstudenten werden sich wohl immer für die fachlich besser Ausgebildeten halten, Studierende an Hochschulen bleiben dabei, in Betrieben deutlich bessere Chancen zu haben, da ihr Studium einen größeren Praxisbezug hat. Nicht jeder angehende Student lässt sich von solchen Überlegungen bewegen. Am Ende, meinte ein Teilnehmer der Umfrage, komme es doch darauf an, wo man angenommen wird.