Anonym zur Kreativität

Soge­nannte Memes machen das Inter­net zum Spiel­platz. Jeder kann sie in die Welt setzen, wie ein Lauf­feuer ver­brei­ten sie sich über die sozia­len Netze. 

Anonym Surfen (Foto: Albrecht Noack)

„Like a sir“,„Challenge accep­ted“ oder „Ridi­cu­lously Pho­to­ge­nic Guy“: Wer täg­lich im Inter­net surft, kommt an den soge­nann­ten Inter­net-Memes nicht vorbei. Die kurz­wei­li­gen Krea­tiv­schnip­sel haben wir auch einem Umstand zu ver­dan­ken, der nicht selbst- ver­ständ­lich ist: der Anony­mi­tät des Internets.

Anonym surfen

Wäh­rend Poli­ti­ker auf der ganzen Welt ver­su­chen, das Inter­net mit Sper­ren und mul­tila- tera­len Abkom­men zu regu­lie­ren, haben sich Inter­net­nut­zer bereits ihre eige­nen Regeln auf­ge­stellt. 47 dieser „rules of the inter­net“ gibt es, sie sind eine Mischung aus puber­tä­rem Witz, prak­ti­schen Anwei­sun­gen und pathe­ti­scher Geheim­nis­tue­rei. Dem Durch­schnitt­su­ser sagen die Regeln nichts und den­noch rücken sie lang­sam in den Blick der Öffent­lich­keit, gemein­sam mit der Gruppe, die sie auf­ge­stellt hat: Anonymous.

Brillant und Menschenverachtend

Die Anony­mi­tät im Inter­net ist ein zwei­schnei­di­ges Schwert. Sie treibt teils geniale, teils ver­stö­rende Blüten. Wer starke Nerven hat, kann dies auf 4chan.org beob­ach­ten. Hier wird alles gepos­tet, was man im Schutz der Anony­mi­tät für mit­tei­lens­wert hält. Japa­ni­sche Ten­ta­kel­por­nos stehen neben süßen Kätz­chen­bil­dern. Der Umgangs­ton ist belei­di­gend, jeder wird hier als „fag“, Schwuch­tel, bezeich­net, Ras­sis­mus und Sexis­mus sind in dieser dunk­len Ecke des Inter­nets an der Tages­ord­nung. Das Buch „We are Anony­mous“ bezeich­net 4chan als Ursuppe von Anony­mous, diesem wab­be­li­gen Kol­lek­tiv, das mit teils kri­mi­nel­len Mit­teln für die Frei­heit des Inter­nets kämpft. Und noch etwas bringt diese Seite in rasen­der Geschwin­dig­keit hervor: Memes.

Meme: Anonym bekannt werden

Meme, dieser Begriff geht auf den Evo­lu­ti­ons­for­scher Richard Daw­kins zurück. Er be- zeich­net damit bei­spiels­weise einen Gedan­ken, der sich durch Kom­mu­ni­ka­tion ver­brei­tet und stän­dig erneu­ert. Dachte Daw­kins dabei noch an Ideen wie Reli­gio­nen, benutzt das Inter­net den Begriff schon infla­tio­när. Die Seite KnowYourMeme.com zählt weit über sie­ben­tau­send Ein­träge. Die Kätz­chen­bil­der, lol­cats genannt, sind ebenso ein Meme wie der Song „Friday“ von Rebecca Black. Das fas­zi­nie­rende an sol­chen Inter­net­phä­no­me­nen ist, dass sie jeder erschaf­fen kann, der sie versteht.

Anonym kreativ

Die tech­ni­sche Hürde ist nied­rig; wer mit dem Inter­net auf­ge­wach­sen ist, ver­steht es als selbst­ver­ständ­lich, Bilder zu kopie­ren und zu bear­bei­ten, Inter­net­sei­ten wie Meme­ge­nera- tor.net ver­ein­fa­chen die Pro­ze­dur sogar noch. Das Prin­zip ist ein­fach: Ein vor­han­de­ner In- halt, bei­spiels­weise das Bild eines nach­denk­lich erschei­nen­den Dino­sau­ri­ers, wird mit einem neuen Text ver­se­hen, meis­tens einer para­do­xen Frage, und schon ent­steht eine neue Varia­tion des Philosoraptors.

Das Mittelalter erobert das Internet

Das Prin­zip erin­nert an das Autoren­bild des Mit­tel­al­ters. Nicht die ori­gi­nelle Schaf­fung von Inhal­ten steht im Vor­der­grund, son­dern die Ver­wen­dung und Auf­be­rei­tung von vorhan- denem Mate­rial. Irrele­vant war dabei, wer der Erschaf­fer dieser neuen Inhalte war, von vielen Texten aus dem Mit­tel­al­ter bleibt der Autor auch heute anonym, da er demü­tig hinter seinem Werk zurück­tritt. Und tat­säch­lich kehrt dieses Prin­zip in der Meme-Kultur wieder: Wer seinen Namen auf ein Meme stem­pelt, wird von der Fan­ge­meinde schnell ver­höhnt. Nicht der ein­zelne Urhe­ber steht im Vor­der­grund, man spricht viel­mehr von einer ano- nymen Schwarm­krea­ti­vi­tät, die sich für die­sel­ben Dinge begeis­tert. Schließ­lich leben Memes von ihrem Wie­der­erken­nungs­wert: Es ist wie ein Insi­der-Witz in einer Clique zu Schul­zei­ten – nur dass diese Clique mitt­ler­weile das Inter­net ist.

Anonym Spaß haben

Dass diese Clique groß und welt­weit zuhause ist, zeigen Seiten wie 9gag oder das ICan- HasCheez­bur­ger-Netz­werk. Hier werden lus­tige Sta­tus­mel­dun­gen, Bilder und Texte gesam­melt, sodass sie zu belieb­ten Anlauf­punk­ten im Netz wurden, gerade für Stu­den­ten, für die das Inter­net ein Teil ihrer Jugend war. Wer in einer Lern­pause schnell etwas zum Schmun­zeln sucht, bleibt hier schnell für län­gere Zeit hängen. Auf­grund der großen Nut­zer­zahl werden minüt­lich neue Inhalte geschaf­fen. Der Witz bestimm­ter Memes ver­brei­tet sich von da an wie ein Virus. Sozia­len Netzen wie Face­book und Twit­ter kommt dabei eine wich­tige Rolle zu, denn nun haben Inhalte die Mög­lich­keit, einen beträcht- lichen Teil der Mensch­heit zu errei­chen – sodass mitt­ler­weile die ganze Welt über süße Kätz­chen­bil­der lacht.

Über Jan Lindenau (25 Artikel)
kann sich nicht daran erinnern, jemals gesagt zu haben, dass er „irgendwas mit Medien machen will“. Ist trotzdem irgendwie Chefredakteur der spree geworden. Große Leidenschaft für Sprache, Literatur, Russland - und ja, Medien.